Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Comic im Stil der großen Meister: Unbeholfene Väter
> Der belgische Comic-Künstler Olivier Schrauwen orientiert sich am
> klassischen Zeitungsstrip des frühen 20. Jahrhunderts. Nun ist sein Comic
> "Mein Junge" erschienen.
Bild: Ausschnitt aus Oliver Schrauwens "Mein Junge": Mit Stolz präsentiert der…
Ein Pastiche beruht auf der bewussten Nachahmung eines Stils, der Ideen und
der Haltung eines historischen Werks. Das muss per se nichts Schlechtes
sein, führt doch die Verwendung altbekannter Stilelemente unter neuen
Gesichtspunkten oft zu interessanten Ergebnissen. So auch im Falle des
flämischen Künstlers und Comicautors Olivier Schrauwen, dessen Debütalbum
"Mein Junge" gerade auf Deutsch erschienen ist.
Olivier Schrauwen, geboren 1977, studierte Animation in Gent und grafische
Literatur in Brüssel. Nach einigen Beiträgen, unter anderem für das
berühmte französische Comicmagazin Spirou und Kollaborationen mit anderen
Künstlern, schuf er 2006 "Mein Junge". Zeichnerisch ist der Comic im Stil
der großen Meister des Zeitungsstrips des beginnenden 20. Jahrhunderts
gehalten. Auch von der verblassenden Farbgebung erinnert er an diese
vergangene Epoche, was innerhalb dieses Mediums besonders effektiv wirkt
und die beabsichtigte künstlerische Aussage von "Mein Junge" für die
Gegenwart wesentlich unterstützt.
Der Zeitungsstrip erfährt als Genre seit einigen Jahren eine Renaissance,
regelmäßig erscheinen Nachdrucke klassischer Serien, aber auch
Neuadaptionen. So hat Pulitzerpreisträger Art Spiegelman ("Maus"),
ausgelöst durch den Angriff auf das World Trade Center, 2004 seine
traumatischen Erfahrungen unter dem Titel "In The Shadow Of No Towers" im
charakteristischen Überformat der Zeitungsseite zu Papier gebracht.
Schrauwens Technik der Kolorierung erinnert an die Art des historischen
Sonntagsstrips von George McManus ("Bringing up father"), die surrealen
Handlungsverläufe an Winsor McCay ("Little Nemo") - die er aber in zynische
Absurdität umkippen lässt, wenn zum Beispiel im Zoo von Antwerpen gehaltene
Pygmäen den Aufstand gegen ihre Wärter proben. Aber auch der Einfluss von
Harold Grays ("Little Orphan Annie") ist erkennbar. Die leeren Augen seiner
Figuren deuten darauf, aber auch das paternalistische Verhältnis von Kind
und Vaterfigur. Wie im historischen Vorläufer ist bei Schrauwens "Mein
Junge" die Frau beziehungsweise die Mutter des Kindes abwesend und bereits
tot.
Und dies muss zumindest bei Schrauwen noch für eine Pointe herhalten, die
den eigentümlichen belgischen Humor repräsentiert, den man ebenso bei
seinem Landsleuten Kamagurka (Titanic) oder Jerry Frissen ("Als die Zombies
die Welt auffraßen") finden kann. Ein Geburtshelfer weiß nichts Besseres,
als mittels Schlägen mit einem Reisigbesen die Geburt des Kindes zu
beschleunigen. Dabei stirbt die Mutter, während das Baby dann doch noch
lebendig zur Welt kommt - und zwar während der Beerdigungsfeier, als der
Sarg mit der toten Mutter auf den Boden fällt.
Die Zentrierung des Blickes auf das Verhältnis zwischen Vater und Sohn,
besonders in der ersten Episode "Mein Junge spricht", betont die
Unsicherheit des nach außen hin sicher agierenden Vaters. Bei den
gemeinsamen Unternehmungen mit dem Kind gewinnt man oft den Eindruck, eher
einer Dressur als wohlmeinender Erziehung beizuwohnen.
Letztendlich handelt "Mein Junge" von der Unbeholfenheit väterlicher Liebe,
den tragikomischen Versuchen, den anderen nach dem eigenem Willen zu
formen, um ihn für sich liebenswerter zu machen, im Ringen zwischen
vergilbender Vergangenheit und ängstlich auflachender Zukunft.
Olivier Schrauwen: "Mein Junge", Reprodukt, Berlin 2008, 64 Seiten,
farbig/Großformat, 15 €
4 Jul 2008
## AUTOREN
Oliver Ristau
## TAGS
Comic
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: „Auf Reisen“ von Kamagurka
Der Wahrheit-Comic am Samstag.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.