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# taz.de -- Stammesrituale auf dem Campingplatz: Nimm dein Bett und wandle
> Mit Mann, Kind und Kegel zum Wochenend-Camping: Eine Annäherung an mobile
> Wahlheimaten. Im Selbstversuch.
Bild: Vorschriften und verbotsschilder gibt es auf dem Campingplatz so einige -…
Seit Tagen waren es in der Stadt über dreißig Grad - die Hitze flimmert
über dem Asphalt und die Kleider kleben am Leib. Selbst in den eigenen vier
Wänden ist es wie in einer Schwitzhütte. Zeit für eine kleine Flucht, Zeit
für einen Campingausflug!
In Brandenburg gibt es fast 3.000 Seen, an einem davon werden wir unser
Zelt aufschlagen. Aber zunächst wird erst einmal eingepackt: Kochgeschirr,
Essgeschirr, Besteck, Dosenöffner, Flaschenöffner, Proviant, Wäscheleine,
Spielzeug, Campingtisch und -stühle, Sonnensegel, Gummiboot, Paddel,
Blasebalg, Taucherbrille, Angel, Badezeug, Duschzeug, Mückenschutz,
Pflaster, Fotoapparat: Das Auto ist bis zum Rand gefüllt, und wir haben für
eine Nacht auf dem Campingplatz mehr dabei als für vierzehn Tage Kanaren,
buchstäblich einen ganzen Hausstand. Dafür sind wir aber schneller da, nach
knapp einer Stunde stehen wir vor der Schranke zum Campingplatz - die sich
die nächsten eineinhalb Stunden nicht öffnen wird, denn zwischen 13 und 15
Uhr ist Mittagsruhe.
Eine eiserne Regel auf diesem Campingplatz, und Vorschriften gibt es so
einige - davon zeugen die vielen Verbotsschilder, die sich mehr oder
weniger unauffällig in die Campingdorf-Idylle einfügen. Irgendwie will das
Miteinander bei 120 Dauercampern, 100 Touristen und weiteren 60 zu
vermietenden Bungalows auf engem Raum ja geregelt sein. Und nicht nur die
Camper untereinander müssen miteinander auskommen, sie müssen sich auch mit
den umliegenden Ortschaften arrangieren. Deshalb endet auch jedes noch so
gesellige Campingfest mit viel Bier und Gesang um 23 Uhr, zumindest
offiziell. Im echten Leben wurden wir leider noch um halb drei mit
Schifferklavier und Gelalle durch benachbarte Dauercamper malträtiert. Aber
dagegen sind Urlauber oder gar Tagesgäste machtlos, denn den Dauercampern
sind auf den Campingplätzen alle Privilegien zugestanden. Dauerkarte für
die Hüpfburg? Nur für Dauercamper. Schlüssel für das Eingangstor? Nur für
Dauercamper. Brötchenreservierung? Nur für Dauercamper.
Dauercamper wie Hans und Monika, die auf dem Campingfest "Nur nach Hause
gehen wir nicht" nach der Melodie von Rod Stewarts "Sailing" laut
mitsingen. Sie kommen seit über 30 Jahren jedes Wochenende und jede Ferien
auf diesen Campingplatz. Das Zuhause, wohin sie nicht gehen wollen, liegt
100 Kilometer entfernt, in Dessau. Ihre Kinder sind auf dem Platz
aufgewachsen, und auch ihre Enkelin. Die ist allerdings nicht so gut auf
ihre mittlerweile schwer alkoholisierten Großeltern zu sprechen und lungert
lieber mit den anderen Jugendlichen vor dem Waschhaus rum. Urlaub im
Ausland, andere Campingplätze? "Wollen wir nicht." Wenn Hans nächstes Jahr
endlich aufhören kann zu arbeiten, wollen er und Monika den ganzen Sommer
in ihrem Wohnwagen verbringen.
Die meisten der Dauercamper sind ohnehin Rentner, erzählt die Inhaberin des
Platzes. Die Wagen, die so abenteuerlich am Hang stehen, sind vor Jahren
mit dem Kran dorthin gesetzt worden. Jetzt haben sie häufig ein
Garagendach, Steinplatten oder Kieswege davor, Beete, Wasserpumpen, Zäune
und Gartentore, über denen "Ponderosa" steht, Fahrräder, Gartenzwerge,
Planschbecken. Hier haben sich diejenigen ihr Eigenheim mit Garten
geschaffen, die im Alltag darauf verzichten müssen, ebenso wie in den
Schrebergärtenkolonien am Stadtrand. Linderung für die geschundenen
Arbeiterseelen, schon seit Bismarck lässt sich auf diese Weise sozialer
Druck entschärfen. Die eigenen Parzellen werden gehegt und gepflegt und
hergezeigt, es entsteht auf dem Campingplatz ein Dorf mit einem Stamm und
Stammesältesten. Es wird schwadroniert und sich gegenseitig beigepflichtet,
ein "Wir" gegen den Rest der Welt.
Neuankömmlinge werden freundlich, aber distanziert erst einmal begutachtet,
ob sie den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen Folge leisten. Sie
können in dem Dorf schalten und walten, zum Kern werden sie vorerst nicht
vordringen. Das führt die ursprüngliche, wirtschaftliche Idee des
Campingplatzes, möglichst viele neue Gäste an Land zu ziehen und für ein
ständiges Kommen und Gehen zu sorgen, etwas ad absurdum. Denn letztendlich
sind es die Touristen, die einen Campingplatz am Leben erhalten, und die
verweilen im Schnitt dreieinhalb Tage auf einem Platz.
Ihre Zahl nimmt indes immer weiter zu, jeder zehnte der halben Milliarde
EU-Bürger nächtigt mittlerweile regelmäßig im mobilen Zweitheim, und vor
allem Deutschland ist - unter deutschen Urlaubern - das beliebteste
Reiseland. Ob es an den hohen Spritpreisen, den hohen Temperaturen oder an
dem sinkenden Wohlstand liegt? Im vergangenen Jahr haben jedenfalls dreißig
Prozent der deutschen Touristen Ferien im eigenen Land gemacht. Dabei
besonders beliebt: die Binnengewässer. Viele Campingplätze locken
inzwischen mit unterschiedlichen Aktivitäten rund ums Wasser, von
Surfschulen über Motor-, Tret- und Ruderbootsverleih bis hin zu Kajak-,
Fahrrad- oder Wandertouren. Volleyballfeld und Kinderspielplatz unweit der
Badestelle sind schon so gut wie obligat.
Trotz des vielfältigen Angebots und der vielen mit Grillen und Putzen
beschäftigten Camper heißt das aber nicht, dass der Aufenthalt auf einem
Campingplatz in Freizeitstress ausarten muss. Im Gegenteil. Während die
Kinder baden, buddeln oder mit anderen Fußball spielen, kann der Blick
entspannt in die Ferne schweifen. Ein Schwan stürzt aus dem gestutzten
Schilfbart des Sees, und eine kleine Brise verursacht eine leichte
Gänsehaut während des Dösens im Gummiboot. Leider ist die ungestörte Idylle
von kurzer Dauer: "1-2-3-4-Test-Test". Christine probt für ihren Auftritt
beim Campingfest, sie hat Country und Western im Programm und macht einen
ausgiebigen Soundcheck.
Eine Mutter ein paar Meter weiter auf ihrem Handtuch sagt, das habe sie ja
noch nie erlebt, und sie kommt sehr häufig übers Wochenende auf den Platz.
Man lernt so viele Leute kennen und hat dabei keine Verständigungsprobleme,
das finden auch ihre Kinder gut. Die Gören sind außerdem glücklich, wenn
die Fahrt nicht so lange dauert und es das von zu Hause gewohnte Essen
gibt. Wer jemals behauptet hat, Kinder seien Pioniere und Entdecker, offen
für alles Neue und dem Unbekannten gegenüber aufgeschlossen, hatte keine.
Kinder sind die größten Spießer - insofern, als dass sie sich durch eine
starke Abneigung gegen eine Veränderung der gewohnten Lebensumgebung und
ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit auszeichnen. Der Campingplatz ist
überschaubar, das Campen erträglich mäßig aufregend, und es gibt jede Menge
andere Kinder zum Spielen. Auch die Rentner finden sich auf dem
Campingplatz unter ihresgleichen wieder. Und da die Kinder nicht allein
anreisen, sind alle Generationen vertreten.
Tatsächlich gibt es vergleichsweise wenig kinderlose Paare auf dem
Campingplatz, und wenn, dann handelt es sich zumeist um sehr aktive
Wassersportler oder Wandersleut. Zum Glück ist es auf den meisten deutschen
Campingplätzen trotz aller Ver- und Gebote den Urlaubern dennoch möglich,
den Urlaub so zu gestalten, wie es ihnen beliebt - vorausgesetzt sie sind
in der Lage, nach dem altbewährten Motto "leben und leben lassen" über
unliebsame Mitcamper hinwegzusehen. Eine alleinerziehende Mutter mit ihren
vier Kindern im Dreimannzelt wird nicht unbedingt Freundschaft schließen
mit der jungen Familie, die schon in zweiter Generation mit dem stets
beflaggten Campingwagen am feudalsten Stellplatz vor Ort residiert, und die
wiederum nicht mit der evangelischen Jugendgruppe. Aber vielleicht begegnet
man sich beim Duschen, Baden oder abends in der einzigen Kneipe am Platz.
Soll das vermieden werden, heißt es, am eigenen Zeltplatz bleiben. Auf
diese Weise wird einfacher, naturnaher Urlaub praktiziert. Was für den
einen die perfekt arrangierte Heimat im Idealzustand darstellt, ist dem
anderen ein notwendiges Übel, über das es um des lieben Friedens willen
hinwegzusehen gilt. Wem das zu viel Kompromiss ist, muss so lange nach dem
perfekten Campingplatz suchen, bis das eigene Ich mit dem Umfeld vollends
verschmelzen kann.
Das Einswerden mit der Umgebung ist aber gar nicht Ziel und Anliegen eines
jeden Campingurlaubers. Das Interesse an Land und Leuten kann durchaus auch
beobachtender Natur sein und das Partizipieren an Stammesritualen eine
Möglichkeit, die viele Touristen lieber ungenutzt vorbeiziehen lassen. Ein
deutscher Tourist auf einem deutschen Campingplatz ist mit dem Habitus der
eigenen Landsleute größtenteils vertraut - und weiß bereits zum Zeitpunkt
der Urlaubsplanung in der näheren Umgebung, dass dort manche gleicher sind
als andere. Es gibt also einen Homo campicus, der immer schon da ist, wenn
neue kommen und der eine gewisse Grundstimmung auf dem Platz vorgibt. Wers
mag, macht mit. Wer nicht, macht sein eigenes Ding - und kommt im
Zweifelsfall nicht wieder.
"Nur nach Hause gehen wir nicht" klingt der alkoholschwere Gruppengesang am
Morgen nach dem Campingfest noch im Ohr nach. Kleine Schnapsflaschen
pflastern den Weg zum Kiosk, der Kaffee ausschenkt. "Nur nach Hause" will
das Ich. Die zelebrierte Mischung aus Ignoranz und Patriotismus an diesem
Ort ist schwer anzunehmen, doch ignorieren lässt sie sich auch nicht. Ein
Gefühl der Bedrängnis wächst gleichzeitig mit dem der Einsamkeit. Der
Ballast des eigenen Haushalts wiegt noch schwerer außerhalb des gewohnten
Kontextes und stiftet keineswegs ein Gefühl der Sicherheit, sondern der
Entfremdung und Verlorenheit. Der Vorteil eines seinen Besitzer auf Rädern
begleitenden Hausstands erschließt sich nicht automatisch. Camping will
eben gelernt sein. Es hat diese Menschen viele Jahre und viel Arbeit
gekostet, sich an diesem Fleck zu Hause zu fühlen. Manche schaffen es nie.
Ein letzter Blick auf den mit Motorbooten rege befahrenen Brandenburger See
ruft eine Sehnsucht nach dem räudigen Idyll des vertrauten Berliner Sees
hervor. Keine Motorboote, nur Hundegebell und Kindergeschrei und quakende
Frösche. Wir packen unsere mehr als sieben Sachen zusammen und los gehts -
leider erst mal nicht, denn die Schranke hat noch genau zwanzig Minuten
geschlossen. Von beiden Seiten bildet sich eine Autoschlange. Punkt 15 Uhr
öffnet sich das Tor zur Freiheit, Punkt 16 Uhr liegen wir am vertrauten
Badeplatz. Zu Hause ist es eben doch am schönsten.
14 Jul 2008
## AUTOREN
Julia Niemann
## TAGS
Jugendarbeit
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