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# taz.de -- Ende einer Autobahngeschichte: Letzte Ausfahrt Michendorf
> Die Raststätte am Berliner Ring wird am Montag abgerissen. Vor dem Fall
> der Mauer war Michendorf einer der wenigen Begegnungsorte zwischen Ost
> und West.
Bild: Schnief!
Michendorf, Hermsdorfer Kreuz, Magdeburg-Börde – das waren für den
Schriftsteller Friedrich Christian Delius „mehr als Raststätten“ auf der
ehemaligen Transitstrecke zwischen Westberlin und Westdeutschland. In
seinem Buch „Transit Westberlin“, das er zusammen mit Peter Joachim Lapp
verfasst hat, nennt Delius die Raststätten deshalb „traurig utopische Orte,
halb erlaubte, halb verbotene Begegnungsstätten zwischen Ost und West“.
Eine dieser Begegnungsstätten muss nun dem Bagger weichen. Am Montag wird
die 1938 im Landhausstil erbaute Raststätte Michendorf-Süd abgerissen.
Michendorf-Nord, das einst über eine Brücke mit seinem Pendant verbunden
war, war schon vor acht Jahren der Garaus gemacht worden.
Grund für den Abriss ist der Ausbau der A10, des Berliner Rings, auf acht
Fahrspuren. Mitverantwortlich ist allerdings auch der Denkmalschutz. Der
war erst aktiv geworden, als Michendorf-Nord schon plattgemacht und der
Abriss der Südgaststätte beschlossene Sache war. „Vielleicht würde man
heute anders entscheiden“, räumt Marie-Luise Buchunger vom Landesdenkmalamt
Brandenburg ein. Schließlich bestünden am Denkmalwert der Raststätten keine
Zweifel.
Tatsächlich war Michendorf ein besonderer Ort im Berliner Umland. Für
Westberliner auf dem Weg nach Helmstedt oder Hof war er die erste
Autobahnraststätte der DDR. Nicht nur Schweinesteak mit Kräuterbutter für
3,95 Westmark gab es da, sondern auch direkten Kontakt zu DDR-Bürgern.
Als DDR-Tramperin, erinnerte sich Ingeborg Bannier in „Transit Westberlin“,
musste man sehen, dass man erst einmal bis Michendorf kam. Neben
ahnungslosen Wessis, die nicht wussten, dass es verboten war, DDR-Tramper
mitzunehmen, so Bannier, „gab es aber auch politisch engagierte Studenten
und westdeutsche Jugendliche, die ein Interesse hatten, Leute aus der DDR
kennenzulernen und uns Tramper ganz bewusst mitnahmen.“
Michendorf war neben Hermsdorf und der Magdeburger Börde aber nicht nur
Begegnungsstätte, sondern auch ein Stück Vorzeige-DDR, das das SED-Regime
dem Westen präsentierte. Im Intershop bogen sich die Regale unter Schnaps,
Krimskoje Schampanskoje und Zigaretten zum Schnäppchenangebot. In den
Tankstellen gab es Benzin zu Preisen, die in der Rückschau tatsächlich
sozialistisch waren, auch wenn der Kraftstoff bald schon wegen seiner
miesen Qualität „klingelte“.
Vor allem für Westberliner und Westdeutsche war der Transit samt seinen
Raststätten ein Erfahrungsraum der deutschen Teilung, wie er sinnlicher
kaum sein konnte. Anders als die Mauer zeigte er nicht die Grenze, sondern
das dazwischen – und ermöglichte so einen, wenn auch selektiven, Vergleich
beider deutschen Staaten. Natürlich in ständiger Begleitung der
Volkspolizei und der Staatssicherheit. Auch in den Gaststätten, wie F.C.
Delius in seinem im Chr.Links-Verlag erschienenen Buch schreibt: „Da
vermuteten die Westler in jeder Kellnerin – oft nicht zu unrecht – eine
Stasifrau, da trafen sich Westbürger und Ostbürger nebeneinander am
Pissbecken und fühlten sich auch da beobachtet – wahrscheinlich zu
unrecht.“
Bärbel Großmann vom Heimatverein Michendorf hat die Besonderheit des Ortes
schon 2003 erkannt. Kurz nachdem die Pläne für den Abriss auch von
Michendorf-Süd bekannt wurden, hat die Mitarbeiterin des dortigen
Heimatmuseums eine Ausstellung organisiert. „Wir haben alte Speisekarten,
Fotos und viel Erinnerung zusammengetragen“, sagt Großmann. Dem Abriss am
Montag sieht sie mit großer Traurigkeit entgegen, auch weil die Raststätte
für sie eine persönliche Bedeutung hat. „Ich habe hier gelernt und mich
später auch heimlich mit meinem Bruder getroffen. Der war zuvor in den
Westen gegangen.“
So wichtig der Erinnerungsort Transit für viele – DDR-Bürger, Westberliner
und Westdeutsche – war und ist: In die offiziellen Gedenkstätten- und
Erinnerungskonzepte ist er bislang nicht eingegangen. Das Land Brandenburg
zum Beispiel konzentriert sich in seinem „Konzept zur aktiven
gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur“ vor allem auf
die ehemaligen Stasi-Gefängnisse in Frankfurt (Oder) und Potsdam sowie auf
das Speziallager in Sachsenhausen. Die Mauer als Symbol der Teilung, wie
auch der Transit durch die DDR spielen eine eher untergeordnete Rolle.
In Berlin hat der Senat nach vielen Jahren des Nichtstuns zwar ein
„Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer“ beschlossen. Dieses
Konzept konzentriert sich aber im wesentlichen auf die Bernauer Straße und
das Brandenburger Tor. Selbst Dreilinden, das zu den „dezentralen Orten“ im
Konzept gehört, wird vorwiegend als Grenzübergang begriffen. Im Vordergrund
steht einmal mehr das Grenzregime und nicht die oft schwierige Begegnung
zwischen Ost und West, für die vor allem der Transit steht.
Dass es auch anders geht, zeigt der private Verein „Checkpoint Bravo“, der
den ehemaligen Kommandantenturm auf der Drewitzer Seite des Grenzübergangs
Dreilinden vor dem Abriss retten konnte. Zum zwanzigsten Jahrestag des
Falls der Mauer soll es 2009 eine Ausstellung geben, sagt der
Vereinsvorsitzende Peter Böger. „Im Turm, dem Ort der Täter, wollen wir
zeigen, wie die Grenze funktionierte. Zum Beispiel wie die Tanks der Autos
mit Cäsium 137 durchleuchtet wurden.“ Außerhalb des Turms aber geht es
darum, wie die Grenze den Alltag der Menschen prägte. „Dabei spielt auch
die Transitstrecke eine wichtige Rolle“, sagt Böger. „Der steht ja für
vieles, für Flucht, Kontrolle, Begegnung.“
Manchmal aber ging die Begegnung auch daneben. „Im Sommer 1977“, erinnert
sich der Ex-DDR-Oppositionelle Klaus Wolfram, „sollte es einen großen
Bücherschmuggel geben“. Bei einem westdeutschen Mittelsmann hatte Wolframs
Trotzkistengruppe 110 Bücher bestellt – von kommunistischen Autoren der
20er-Jahre bis zu Autoren wie André Gorz. „An einer bestimmten Kreuzung
sollte der Mittelsmann das Paket ablegen, wir wollten es dann aufsammeln.“
So weit der Plan. Die Realität sah anders aus. Anstelle der Bücher wartete
die Stasi auf Klaus Wolfram – und der Mittelsmann, der heute in einer
Berliner Senatsverwaltung arbeitet, ging für fünf Monate in den Knast.
17 Jul 2008
## AUTOREN
Uwe Rada
Uwe Rada
## TAGS
Autobahn
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