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# taz.de -- Nelson Mandela wird 90: "Du hast uns gezeigt, wie man wirklich frei…
> Er war Befreiungskämpfer, der bekannteste politische Gefangene der Welt,
> Staatspräsident. Für manche ist er ein Heiliger: Sein Weggefährte Denis
> Goldberg gratuliert Nelson Mandela zum Geburtstag.
Bild: "Immer bereit, gnädig nachzugeben - aber nicht, wenn es seine Grundprinz…
taz: Herr Goldberg, wie haben Sie Nelson Mandela kennen gelernt?
Denis Goldberg: Ich habe ihn zum ersten Mal bei einem Geheimtreffen
gesehen. Da war er gerade von einer Reise durch Afrika und nach
Großbritannien zurückgekehrt. Wir trafen uns in einem Haus, auch andere
comrades (So nannten sich die Befreiungskämpfer untereinander, Anm. der
Red.) waren da. Nelson Mandelas Anwesenheit war sehr eindrucksvoll. Sein
sorgfältiger Vortrag, ohne falsche Dramatik und von klarer Vernunft, war
sehr überzeugend. Als wir ihn nach dem strategischen Ziel des bewaffneten
Kampfs fragten, gab er eine eindeutige Antwort: Politische Gleichstellung
der schwarzen Bevölkerungsmehrheit. Ich bat ihn, deutlicher zu werden, weil
damals verschiedene Ideen für eine zukünftige Verfassung existierten: "Ein
Mensch, eine Stimme" oder 50 Prozent mehr Sitze für Schwarze im Parlament
und weitere Variationen dieser Ideen. Nelson Mandela sagte, das Endziel sei
ganz klar "Ein Mensch, eine Stimme". Aber wir müssten abwarten, wie sich
der Widerstand entwickle und wie lang er dauern werde. Würden unsere Leute
die Ausdauer haben, einen langen Kampf durchzustehen oder würden sie -
erschöpft und voller Leid - weniger als die vollständige Gleichstellung
akzeptieren müssen?
Wie war Nelson Mandela damals, als junger Befreiungskämpfer, der gerade
eine bewaffnete Untergrundorganisation gegründet hatte?
Er war ein Mensch mit großem Selbstvertrauen, aber er ließ auch mal Walter
Sisulu, dem Gründungsmitglied der ANC-Jugendliga, den Vortritt. Nelson war
zweifellos fest entschlossen und sehr mutig. Seine Aufzeichnungen, die die
Polizei bei ihrer Razzia im Untergrund-Hauptquartier auf der Liliesleaf
Farm in Rivonia nahe Johannesburg fand, zeigen deutlich, dass er viel
gelesen hatte, Literatur aus allen Bereichen: militärische Texte, etwa von
von Clausewitz, viel über politische Theorie und revolutionären Kampf. Er
wollte Entscheidungen treffen, die auf Informationen und Analysen beruhten
und nicht nur auf einem emotionalen Drang des Wunschs nach Freiheit.
Letztendlich führte dies zu seinem Verlangen, die Menschenwürde der
Unterdrückten unseres Landes wieder herzustellen.
Sie sind zusammen mit Nelson Mandela nach dreijähriger Untersuchungshaft im
Rivonia Prozeß 1964 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Wie haben Sie
ihn in dieser angespannten Zeit erlebt?
Nelson Mandela war sehr, sehr würdevoll und hat als Anwalt unsere
Verteidigungsstrategie mitbestimmt. Er war sich seiner Führungsrolle sehr
bewusst, betrachtete sich als Anführer und akzeptierte seine besondere
Verantwortung. Auf die Frage des Richters: "Bekennen Sie sich schuldig oder
nicht schuldig?" antwortete er mit fester Stimme: "Nicht schuldig. Die
Regierung sollte hier vor Gericht stehen." Als er dann zum Ende seiner
berühmten Rede kam, war seine und unsere Belastung und Anspannung in seiner
Stimme zu hören. Er sagte, er hätte das Ideal von Menschen, die in Harmonie
zusammen leben und er hoffe, dass er die Verwirklichung dieses Ideals
erleben werde. Wenn es aber nötig sei, sei er auch bereit, für dieses Ideal
zu sterben. Würdevoll war er auch am Ende des Prozesses. Obwohl er klar
gemacht hatte, dass er bei einem Todesurteil nicht in Berufung gehen werde
- lachte er schließlich, als der Richter uns alle zu lebenslänglich
verurteilte.
Hatten Sie während Ihrer langen Haftzeit im Gefängnis in Pretoria Kontakt
zu ihm und den anderen politischen Gefangenen auf Robben Island?
Nein, wir hatten keinen direkten Kontakt mit unseren comrades auf The
Island. Einige von uns wollten gerne aus dem weißen Gefängnis auf The
Island überführt werden, aber das wurde nicht genehmigt. Als das Komitee
des Internationalen Roten Kreuzes uns besuchen durfte, begannen die
Vertreter ihren Besuch jedes Jahr auf Robben Island und beendeten ihn bei
uns, den männlichen, weißen politischen Gefangenen in Pretoria. Sie gaben
unsere Grüße aus dem Vorjahr weiter an die Gefangenen auf Robben Island und
überbrachten uns deren Grüße, wenn sie ein paar Wochen später zu uns kamen.
Wie war das Wiedersehen mit dem berühmtesten politischen Gefangenen der
Welt Anfang der 90er Jahre?
Wir flogen zusammen mit anderen exilierten comrades von Großbritannien nach
Stockholm. Wir warteten auf der Rollbahn des Arlanda Airports auf Nelson
Mandela. Nach der Landung schritt er die langen Reihe der Gratulanten ab
und wir sahen ihn schon in unserer Nähe, als eine Kameracrew uns
anrempelte, die ihn von vorne bei seinem Gang aufnahm. Dann aber stand er
plötzlich vor mir, sah mich an und ich ihn. Er sagte: "Hallo Boy, wie geht
es Dir? Es ist gut, dich zu sehen." Ich stotterte etwas von "gut gehen" und
"sehr erfreut sein, ihn zu sehen", nahm dann spontan mein ANC-Halstuch und
schlang es ihm um den Hals. Seine Frau Winnie, die ihm folgte, nahm mich
mit einem strahlenden Lächeln bei den Armen und sagte: "Oh, dieses Gesicht
kenne ich!"
Was halten sie von dem Staatspräsidenten Mandela, der von 1994 bis 1999
regierte?
Nelson Mandela war ein bemerkenswerter Präsident. Diese Rolle hatte für ihn
bereits mit seiner Freilassung oder vielleicht sogar früher begonnen. In
seiner Autobiografie schreibt er, dass er mit der Zeit begriffen habe, dass
in einem neuen, nichtrassistischen Südafrika auch der Unterdrücker befreit
werden müsse, genauso wie die Unterdrückten ihre Freiheit begreifen
müssten. Er fasste seine Philosophie zusammen mit den Worten: "Frei zu sein
reicht nicht, um die Ketten abzuwerfen. Man muss so leben, dass man die
Freiheit der anderen fördert und verbessert." Er lebte diese Philosophie
ganz bewusst. Damals musste er ja auch versuchen, eine Konterrevolution der
verbliebenen Militärs des Apartheidstaates zu verhindern, die alle ihre
Jobs behalten hatten.
Wie ging er mit denen um?
Nelson Mandela sprach auf seine Art mit ihnen, überzeugte noch die
härtesten alten Rassisten, dass sie einer sicheren Zukunft im neuen
Südafrika entgegen gingen. Er behandelte diejenigen mit Toleranz, die
meinten, er sei zu nachsichtig mit den alten Wächtern und "Gläubigen" der
Apartheid. Mein Respekt war umso größer als er sich entschied, nur eine
Amtzeit, also fünf Jahre, Präsident zu bleiben. Er etablierte das Prinzip
der steten Erneuerung, um unsere Demokratie zu festigen.demokratiefähig zu
bleiben. Ich habe auch nie gehört, dass er sein als Sohn eines chiefs
ererbtes Amt eingefordert hätte, also als traditionelle Autorität. Seine
Autorität gründet sich auf seine ureigenen Qualitäten als Leader in
kollektiven Führungsgremien des ANC. Ich bewunderte auch seinen Respekt
gegenüber dem Verfassungsgericht, als es seine Absicht zurückwies, das
Prozedere bei den nächsten Wahlen etwas zu verändern. Er wollte die
fragilen Institutionen unseres neuen demokratischen Systems stützen statt
mit seiner parlamentarischen Mehrheit eine Entscheidung zu erzwingen. Seine
Präsidentschaft war eine Übergangsphase, und solche Zeiten sind immer
voller Gefahren. Er hat das Land erfolgreich zusammengehalten, und das war
die Grundlage für seine Nachfolger beim weiteren Wiederaufbau unseres
Landes.
Nelson Mandela ist weltweit einer der berühmtesten Politiker - manchmal
erscheint er geradezu als Heiliger. Kennen Sie auch den Menschen dahinter?
Ja, ich kenne den Menschen. Er hat all die potentiellen Schwächen eines
menschlichen Wesens, vor allem einen Sinn für seine eigene Unfehlbarkeit.
Aber er war immer willens, der Vernunft und vor allem der Weisheit Walter
Sisulus Gehör zu schenken, und - falls nötig - gnädig nachzugeben. Aber
nicht, was seine Grundprinzipien betraf. Er hat eine leise Selbstironie und
er kann andere geradezu entzücken: Denken Sie an einen Staatspräsidenten,
der seinen eigenen kleinen Tanz aufführt; denken Sie an seine informelle
Kleidung. Seine Bereitschaft zur Vergebung wurde manchmal von seinen
eigenen Anhängern kritisiert; aber das ist wohl kaum ein größere Schwäche.
Irgendwie hat er es auch vermieden, zu kritisch gegenüber seinen
Kampfgenossen und ihren Anhängern zu sein, weil er sich da auf Erzbischof
Tutu als moralisches Gewissen unserer Gesellschaft verlassen kann.
Vielleicht, aber nur vielleicht, sollte Nelson Mandela seine moralische
Autorität ein bisschen stärker zur Geltung bringen. Vielleicht kann man
sagen, dass er sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er anscheinend all
der Lobhudelei widerstanden und nicht erlaubt hat, dass sie ihn nachteilig
beeinflusst.
Möchten sie Nelson Mandela gratulieren?
Herzlichen Glückwunsch, dear comrade. Ich hatte das Privileg mit vielen
anderen einige Schritte mit dir auf dem langen Weg zur Freiheit zu gehen.
Als du noch im Gefängnis warst, sangen die Leute in London: "Rolihlahla
Mandela, show us the way to freedom, freedom is in your hands, show us the
way to freedom, freedom is in your hands." Du hast uns gezeigt, wie man
prinzipientreu, entschlossen und vor allem frei von Vorurteilen und
Bitterkeit und so wirklich frei sein kann.
INTERVIEW BIRGIT MORGENRATH
18 Jul 2008
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