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# taz.de -- Otto Waalkes zum 60. Geburtstag: Wollen wir ihm gratulieren?
> Heute wird der "ostfriesische Blödelbarde" Otto 60 Jahre alt. Ist er ein
> längst überholter Flachwitze-Reißer oder gar avantgardistischer 68er?
> Zwei Meinungen.
Bild: Bespöttelt und geliebt: Otto.
## Gratulation? Jan Feddersen sagt Ja!
Als er aus Emden - gemessen an allem, was Ostfriesland so bietet - in die
Weltstadt kam, gab es das Wort Szene noch nicht. Im vokabularischen Sinne
natürlich schon, aber mit diesem speziellen Klang des Eingeweihten, des
Besonderen, des Wissenden hatte das Wörtlein Szene, korrekt englisch
ausgesprochen: ßien, noch Bedeutung. In Biografien heißt es über ihn, er
debütierte in Hamburger "Szenekneipen". Später sollte daraus die Hamburger
Szene werden. Aus der Menschen wie Udo Lindenberg oder Marius
Müller-Westernhagen hervorgingen, aber auch er: Otto Waalkes,
Malermeistersprössling, ein Fitzelmann, dürr und mit Haaren auf dem Kopf,
die eigentlich nur hingen und nie wie Frisur aussahen. Er ist das beste
Zeugnis der Hamburger Studentenbewegung, das diese je kulturell
hervorgebracht hat, er war der Witz, den man in den Seminaren und
Vorlesungen nie hatte.
Im Audimax, dem zentralen Auftrittsort von Künstlern wie Waalkes, gastierte
er mehrmals. Vor tausenden von Zuschauern. Und es war absolut neu, was er
damals so zu bieten hatte. Während das halbe ästhetische Milieu der
Achtundsechziger auf Relevanz setzte, jeden Pinselstrich wie
Mikrofonhaucher auf politische Nützlichkeit zuvor überprüfte, bot Otto
Waalkes nichts als Blödelei. Grimassierte, gab den Schelm, die Pippi
Langstrumpf auf männlich für Erwachsene und Pubertierende. Er verballhornte
den drögen Religionswahn vom "Wort zum Sonntag", er kreierte Figuren wie
Susi Sorglos, ließ einen Fön sprechen, parlierte mit Körperlichen
("Großhirn an Milz") und arbeitete mit physischem wie wörtlichem Witz. Dass
ihm seine spiddelige Physiognomie für dieses Entertainment zupasskam, muss
nicht besonders betont werden: Er war und ist so alt wie ein Kind, das sich
auch als alter Sack nicht schämt, sich über die Scherze in der
"Sesamstraße" krumm zu lachen.
Dass Otto Waalkes sich aus dem Fundus der Ideen von Robert Gernhardt
bediente und sich von dem wie anderen Titanic-Autoren Gags schreiben ließ,
spricht nicht gegen ihn, sondern für das gute Empfinden von dem, was echt
witzig ist oder was nur, wie man aus heutiger Perspektive sagen würde,
einem Mario Barth möglich ist. Waalkes hingegen wirkte selbst bei seinen
Zoten über Weibliches wie ein großer Junge, der ungelenk wie
appetitangeregt mit den Augen rollt, wenn er einen Rock hochwehen sah.
Diese infantile Aura war ein reiner Quell der Freude, da doch im Fernsehen
sonst nur Humoristen wie Theo Lingen , Heinz Rühmann, Heinz Schenk oder
Peter Alexander am Lachkommandohebel saßen. Waalkes war aber der
Witzereißer der Achtundsechziger, die es nicht auf militante Pfade
vertrieben hatte.
Ja, auf Klassenreisen kamen seine Schallplattenaufnahmen sogar mittels
eines Kassettenrekorders zur Aufführung. So wie andere heute Loriots
Figuren nachahmen können oder Evelyn Hamanns Fernsehansagerin, so
bevorzugte das schülerhafte Publikum die anarchische, leicht schlüpfrige,
andeutungsweise Weise des Komikers Waalkes. Der nahm nix ernst, der
vergackeierte alles und nichts, der machte aus Vicky Leandros "Theo, wir
fahrn nach Lodz" eine Perle der Kritik am Pfaffentum, indem er aus Theo
eine antitheologische Figur der halbgaren Gottesinbrunst strickte. Wer das
nicht komisch fand in der Szene, der ßien oder dem eigenen Milieu, der
konnte nicht cool sein. Eine Kritik, die am heutigen Schaffen Waalkes
moniert, er zitiere sich nur selbst und brächte Neues nicht mehr, ist
wohlfeil.
Er hat wie viele Achtundsechziger das Außenseiterdasein als Ansporn
genommen, um kein Outcast mehr zu sein. Das hat er geschafft. Er hat seine
allerbesten Tage hinter sich. Und zuvor viel Kurzweil verbreitet. Danke!
## Gratulation? Dörte Schütz sagt Nein!
Vielleicht ist Otto Waalkes eine der letzten Reminiszenzen an die alte
Bonner Republik. Ganz sicher ist er einer der ganz wenigen, die den
Zeitenwechsel überstanden haben, ohne sich in irgendeiner Weise an die
neuen Verhältnisse anzupassen. Feste Bestandteile der vergangenen Epoche:
Kalter Krieg, Spießbürgertum und "Dalli, Dalli" als humoristisches
Wochenhighlight. Nur in einem solchen Habitat konnte das klamaukige
Pflänzchen namens Otto Waalkes, dem in dieser Republik das Amt des
Hofnarren zukommen sollte (und für den der exklusive Titel des
"ostfriesischen Blödelbarden" kreiert wurde), zu einem der beliebtesten
Komiker und Urheber der erfolgreichsten deutschen Filme überhaupt werden.
Jedoch: Die Bonner Republik ist Geschichte. Und auch Otto Waalkes hätte
sich und uns einen Gefallen getan, hätte er sich 1989 mit "Der
Außerfriesische", dem letzten seiner halbwegs akzeptablen Filme, aus der
deutschen Humorlandschaft verabschiedet. Diesen Zeitpunkt hat Otto
verpasst.
Die erste LP, "Otto", platzt 1973 in eine Zeit, in der der Bayerische
Rundfunk sich aus einer laufenden Homodoku Rosa von Praunheims ausblendet
und besorgte Eltern die Spätfolgen der neuen "Sesamstraße" diskutieren.
Spaßgesellschaft? Bis dahin war es noch ein weiter Weg. Ottos Humor war vor
diesem medialen Hintergrund tatsächlich einmal anarchisch, dadaistisch,
subversiv. Aber die Suche nach dem schnellen Gag verhindert jeglichen
Tiefgang, der dafür gesorgt hätte, dass der Humor seine Zeit überlebte.
Ottos Witze wirken heute so platt wie seine ostfriesische Heimat.
Das größte Problem dabei: Der Film-Otto ist 100 Prozent deckungsgleich mit
der Privatperson "Otto Waalkes". Er kann niemand anderen verkörpern als
sich selbst. Darüber vermag auch kein hastig übergeworfenes Zwergenkostüm
oder das Verstecken hinter einem Zeichentrick-Ottifanten hinwegzutäuschen.
Seine treuen Anhänger erwarten, dass Otto Otto bleibt - ungeachtet dessen,
dass er inzwischen 40 Jahre älter ist als zu Karrierebeginn. Wo Gags und
Pointen aber nur von einem Menschen zu einer bestimmten Zeit in einer
bestimmten Manier vorgetragen funktionieren, besteht die Gefahr, dass das
Festhalten am ewiggleichen Erfolgsrezept mit fortschreitendem Alter nur
noch peinlich wirkt. Im Fall Otto bedeutet das: Ein 60-Jähriger, der, mit
langen blonden Haaren in weiter Bollerhose und bunten Ottifanten T-Shirts
gehüllt, "Holladahiti" trällert, ist nur noch armselig.
Nachhaltigkeit: Diese derzeit geradezu inflationär eingeforderte Tugend ist
exakt das, was Otto fehlt. Beste Beispiele für Satire von bleibendem Wert
kommen von Loriot, der Wandelbarkeit in Person und Ottos genauem
Gegenstück. Niemals würde dieser sich als Vicco von Bülow auf eine Bühne
stellen. Das überlässt er zeitlosen Gestalten wie den Müller-Lüdenscheids
und Doktor Klöbners, die humoristisch persiflierend immerwährende,
daueraktuelle Konflikte austragen. Ob nichts sagende Politiker,
Kleingeister oder Hundebesitzer - Loriot würde heute genauso aktuelle
Figuren zu schaffen wissen wie vor zwanzig Jahren. Sein eigentliches Alter
spielt dabei keine Rolle, denn Loriot verkörpert seine Rollen. Er lebt sie
nicht.
Die ausschließliche Darstellung des eigenen Ichs: In dieser Beziehung dient
Otto der "neuen deutschen Comedy-Szene", die sich auf Pro 7 quotentechnisch
nicht unerfolgreich zum "Quatsch Comedy Club" trifft, geradezu als
Blaupause. Oder kennt jemand die bürgerlichen Namen von Atze Schröder und
Hausmeister Krause? Und interessiert irgendjemanden, was die realen
Personen hinter ihrer medialen Rampensau-Fassade zu sagen hätten? Das
"Prinzip Otto" ist somit eigentlich hochmodern. Dass es trotzdem
erschreckend ewiggestrig wirkt, sagt eine Menge über die aktuelle deutsche
Comedyszene aus.
21 Jul 2008
## AUTOREN
J. Feddersen
D. Schütz
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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