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# taz.de -- Langsam & komfortabel: Rollendes Wohnzimmer
> In 70 Tagen um die halbe Welt: Auf der langen Fahrt im knallroten
> Luxusbus nach Peking entstehen Eindrücke fürs Leben. Im Bus sitzen ist
> Kino, draußen laufen ständig wechselnde Filme
Bild: Zwischen Turfan und Hami in der Wüste Gobi
Hans-Werner zieht seinen Translator aus der Tasche. Es ist nicht einfach,
nach zwei Tagen Reise durch Xinjiang eine Wassermelone im Restaurant zu
bestellen. Im "Wilden Westen" Chinas sehen die Menschen westliche Besucher
eher sehen. Die Kellnerin schaut auf das Display, ist verwirrt. Aber als
das chinesische Wort für Wassermelone aus dem Gerät erklingt, legt sich ein
Lächeln über ihr Gesicht. Überhaupt Lächeln, der erfolgreichste Weg, mit
Menschen hier in Kontakt zu kommen.
Hans-Werner von Wedemeyer und seine Frau Thea gehören sicherlich zu den
ungewöhnlichsten Chinareisenden, die gegenwärtig im Land unterwegs sind.
Sie sind im äußersten Nordwesten via Kasachstan eingereist und seit 50
Tagen aus Deutschland unterwegs - in einem knallroten Luxusbus.
Eine fast beiläufig wahrgenommene Zeitungsnotiz war es, die auch Ulrike
dazu brachte, ihre Planung für die nächsten zwei Jahre umzustellen.
Stationsschwester in einem Freiburger Krankenhaus zu sein, heißt, mit wenig
Geld, Urlaub und zusätzlichen freien Tagen auszukommen. Auch sie ist seit
1. Juni unterwegs. Sie ist die jüngste in der Gruppe von 27 Reisenden, die
auf dem Landweg von Freiburg nach Peking fahren. Der Bus, das bequeme
rollende Wohnzimmer - fast eine Art Mehrgenerationenhaus. Sitzgruppen,
First Class Sitzabstand mit dem besten Café zwischen Patras und Peking.
Während der langen Reisetage sitzen verteilt im Bus kleine Gruppen, lesen,
schreiben, reden miteinander oder genießen einfach nur die an den großen
Panoramascheiben vorüber ziehende Landschaft.
Manchmal sieht es aus wie im ICE. Laptops surren für den laufenden Bericht
über die lange Reise, von den Reisenden selbst aktualisiert und bei
nächster Gelegenheit für alle abrufbar unter busblog.athen-peking.de ins
Netz gestellt. Die Bordbibliothek am Mitteleingang bietet Stoff zum
Schmökern. Ulrike ist vertieft in eine Erzählung über die Zeit der
Kulturrevolution, während Thea endlich mal Zeit hat, in Ruhe auf der Karte
die Route nachzuverfolgen.
Eine bunte Mischung - Sekretärinnen, Krankenschwestern,
Softwareunternehmer, pensionierte Justizbeamte, Sozialarbeiter,
Journalisten und Lebenskünstler, es ist nie langweilig. Und nach fast 50
Tagen immer noch harmonisch. Da passen die Leute einfach zusammen, im Bus
ist viel Platz, sagt Thea von Wedemeyer, mit über 80 Jahren die älteste
Teilnehmerin.
"Natürlich ist es auch anstrengend, mit so vielen Menschen zu reisen.",
sagt Ulrike, früher typische Rucksackreisende. "Du machst immer wieder
Kompromisse, darfst nicht zu spät kommen, würdest gerne hier mal eben
schnell aussteigen, lieber erst in 2 Tagen weiterfahren, mal nur deinen
Rhythmus haben. Aber mal ganz ehrlich - alleine wäre ich gar nicht hier."
Turfan - 150 Meter unter dem Meeresspiegel, 48 Grad im Schatten, auf den
ersten Blick eine trostlose Ansammlung einfallsloser Architektur. Am späten
Nachmittag, als die Hitze nachlässt, das Leben wieder so richtig erwacht,
geht es auf den Basar. Die Luft brennt, ein einziges Durcheinander. Die
Hauptstrasse wird neu geteert, der Gehweg neu gepflastert, alles bei
laufendem Verkehr. Leute kommen aus Geschäften, deren Eingang gerade neu
gemauert wird. "Hello, do you speak English?" Diesmal kein Kind, sondern
ein Lehrer aus Turfan, der Ulrike anspricht. Einfach neugierig, Englisch zu
sprechen und etwas aus der Fremde zu erfahren, stellt sie fest. Erstaunt,
dass er sehr direkt etwas über die knallharten Arbeitsbedingungen, das
wenige Geld und über Tibet erzählt. "Wir haben doch gar kein Geld für die
Olympiade", fährt er fort. Ein Arbeiter verdient im Schnitt monatlich etwa
das, was Ulrike in 3 bis 4 Tagen auf der Reise ausgibt.
Im Bus sitzen ist Kino. Draußen laufen ständig wechselnde Filme -
Hügelketten, eben noch Pappelhaine und Baumwollfelder mit Wasser aus den
schneebedeckten Fünftausendern. Schlagartig Geröllwüste, ohne Bewässerung
geht hier gar nichts. Getrocknete Melonen an Stangen aufgehängt,
Werbetafeln so groß wie Einfamilienhäuser. Unmengen zerdepperte Flaschen
auf der Straße, modische Klamotten in denen junge Chinesinnen stecken, die
auf Elektromopeds vorbeisirren. Reifenstapel vor Werkstätten, Internetcafés
und schmuddlige Fernfahrerrestaurants. Chinesen sind wahre
Transportkünstler. Fahrräder quer auf dem Moped, LKW's hochgetürmt
überladen, halbe Baumstämme auf dreirädrigen Motorrädern und Taxis ohne
Ende, meist VW Passat.
Mittagsrast? Essen vorbestellen in China ist schwierig und auch unnötig.
Der Bus hält vor einem kleinen Restaurant an der Fernstrasse 312. Essen für
25 Leute? Unser Reiseleiter spricht kurz mit dem Koch, der schlachtet
schnell 4 Hühner, und eine halbe Stunde später gibt es Gebratenes.
Unsere Straße nach Osten windet sich durch ein enges Tal, wo an einem der
größten asiatischen Verkehrsprojekte gearbeitet wird - der Autobahn vom
Chinesischen Meer nach Moskau. Über hunderte von Kilometern erstreckt sich
die gigantische Baustelle. Tausende von Wanderarbeitern, darunter viele
Frauen, leben in Verschlägen und Jurten direkt auf der Trasse - neben
Moniereisen für Brücken und Dämme. Betonwände werden mit der Hand auf
wackligen Leitern verputzt. Hangsicherung für die Trasse ist
selbstverständlich vorhanden, aber keine Sicherung für die, die sie
anbringen. Helme, Fehlanzeige. Frauen ziehen schwer beladene Schubkarren.
Über 4.800 Kilometer ist die Straße eine der wichtigsten Lebensadern.
Parallel dazu wird die Eisenbahn elektrifiziert, nur einen Kilometer
entfernt von unseren Panoramafenstern wird die Erdgaspipeline nach Westen
verlegt.
Noch 3 Wochen bis Peking, 12 Hotels, etwa 4.000 Kilometer - und Eindrücke
fürs ganze Leben.
26 Jul 2008
## AUTOREN
Wolfram Goslich
## TAGS
Reiseland China
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