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# taz.de -- Strategien gegen Lohn- und Sozialdumping: Plädoyer für ein WTO-Pa…
> Was hilft gegen Auswüchse der Globalisierung? Transnationale
> Gewerkschaften sind keine Lösung. Aber vielleicht die "politische
> Rahmung" des Freihandels?
Bild: Wie genau will der Kunde wirklich wissen, ob die "freiwilligen sozial-ök…
Gewerkschaften und Arbeitnehmer büßen in der Globalisierung ihr klassisches
Drohpotenzial ein. Denn Unternehmen können sich sozialen und auch
ökologischen Forderungen, etwa nach anständigen Löhnen, zunehmend durch
Betriebsverlagerungen ins Ausland entziehen. Also muss man verstärkt
globale Perspektive und Lösungen suchen. Diese Diagnose zu einem zentralen
Themenfeld des 21. Jahrhunderts stellte Ulrich Beck kürzlich an dieser
Stelle - und er tat es zu Recht. Beck bediente dabei reichlich linke
Stichworte wie Globalisierungskritik, Bewegung von unten, Gewerkschaften,
Marx, Kapital und Arbeit sowie latente Kapitalismuskritik.
Allerdings bestehen Zweifel an Ulrich Becks konkreter Lösungsstrategie:
transnationale Gewerkschaften, die statt Streiks die globale Gegenmacht der
ebenfalls mobilen Konsumenten für mehr sozial-ökologische Produkte
organisieren (siehe Kasten). Nicht nur Beck, sondern auch
wirtschaftsliberale Ökonomen sagen zwar gern: Wenn die Konsumenten
beispielsweise soziale Arbeitsbedingungen oder Klimaschutz hierzulande oder
weltweit wollen, sollen sie doch passende Firmen per Kaufentscheidung
"wählen". So löse der Markt von selbst jedes Problem. Diese
"Konsumentendemokratie" sei zudem der etwas verbrauchten politischen
Demokratie überlegen. Dennoch: Becks Bürger und Gewerkschaften werden nicht
mit vorrangig konsumentendemokratischen Mitteln den globalen Kapitalismus -
wie es dringend nötig wäre - politisch einhegen können. In
oligopolistischen Märkten, also solchen, die von wenigen großen
Marktteilnehmern beherrscht werden, etwa scheitert Konsumentendemokratie
schon an fehlenden Wahlmöglichkeiten der Käufer.
Vor allem aber hat der Verbraucher oft weder Zeit noch Wissen, durch seine
Kaufentscheidung "gute" Produkte zu prämieren. Die sozial-ökologischen
Produktionsverhältnisse sind sehr häufig zu komplex und das Wissen darum
beim einzelnen Verbraucher unweigerlich zu begrenzt. Schon die vollständige
Klimabilanz jedes einzelnen von mir gekauften Produkts ist von mir oft nur
schwer zu durchschauen. Erst recht kann ich die Arbeitsbedingungen,
Lohnniveaus, Abwesenheit von Kinderarbeit und so weiter unmöglich für einen
substanziellen Teil meiner Kaufentscheidungen vorher "prüfen". Komplexe
Unternehmensverflechtungen und Zulieferverhältnisse machen alles noch
schwieriger. Nicht zuletzt deshalb ist die globale Armutsbekämpfung und
Klimapolitik durch Freihandel und Konsumentenmacht - plus zielschwache
globale Abkommen - gescheitert.
Für eine konsumentendemokratische Strategie sind auch die Interessen der
Menschen weltweit einfach zu unterschiedlich. Uns ist etwa unser Wohlstand
und unsere Selbstentfaltung wichtig. Das schadet aber nicht nur dem Klima,
sondern macht auch "teure" anständige Arbeitsbedingungen in China erstmal
unattraktiv. Würden etwa auf der Südhalbkugel - oder bei diversen deutschen
Billiganbietern und Discountern - faire Löhne gezahlt, könnten sich auch
einige taz-Leser manch liebgewonnenes Produkt wohl nicht mehr leisten.
Umgekehrt wollen Chinesen vielleicht gar keinen Konsumentendruck aus
Deutschland für höhere Löhne bei ihnen, wenn das doch den chinesischen
Produktionskostenvorteil kaputtmacht, der ihre Jobs sichert - und bei uns
die Jobs kostet. Die weltweit Ärmsten können am Markt erst gar keinen Druck
erzeugen.
Oft behindert auch Allzumenschliches meine Rolle als "sozial-ökologischer
globaler Konsument". Etwa Konformität: Lasse ich den klimapolitisch
inkorrekten Februar-Kurzurlaub auf Gran Canaria sein, obwohl er so schön
billig ist, werde ich zum Sonderling. Zudem kann ich mir vom Gefühl her
raumzeitlich fernliegende, unsichtbare Klimaschäden in Indien oder in 80
Jahren nicht vorstellen. Der Drang nach Bequemlichkeit, Gewohnheit und
Verdrängung unliebsamer Folgen meines Tuns kommt dazu. Außerdem: Warum
verzichten, wenn ich allein doch ohnehin weder das Klima retten noch für
sozial annehmbare Verhältnisse weltweit sorgen kann?
Dass wir Kunden so ticken, wissen auch die Unternehmen. Das heißt dann aber
auch, dass sich Unternehmen mit nur noch ökologisch-sozial korrekten
Produkten eventuell in den Konkurs treiben. Außerdem reichen
Lippenbekenntnisse zu "freiwilligen sozial-ökologischen
Unternehmensstandards in China" den Kunden oft. Die Einhaltung können oder
wollen die Kunden ohnehin selten prüfen, und auch
Nichtregierungsorganisationen - das überschätzte Lieblingskind vieler
Linker - können das häufig nicht. Zu vieles ist von außen undurchschaubar,
die Datenflut der Informationsgesellschaft tut ihr Übriges. "Mehr
Information" wäre daher wohl die falsche Forderung.
Wichtiger als mehr Konsumentendruck wäre deshalb eine politische Einrahmung
des globalisierten Freihandels in Richtung sich weltweit angleichender
Sozial-, Umwelt- und Unternehmenssteuerstandards, verbunden mit einem
Kostenausgleich zugunsten der Entwicklungsländer. Die
Welthandelsorganisation (WTO) müsste also von Europa lernen: den Weg von
der reinen Wirtschaftsgemeinschaft zur partiell politischen Gemeinschaft -
und wie man Schwächere (im Fall der EU Osteuropa) integriert. Andernfalls
bewirkt der unreglementierte freie Weltmarkt sozial- und klimapolitisch
weiter einen Wettlauf um die niedrigsten Standards, von dem Beck spricht.
Immer weniger Sozialstaat im Westen, zu wenig Armutsbekämpfung im Süden -
und weltweit zu wenig Klimaschutz sind die Folge.
Markt und Konsument lösen das Problem speziell im Klimaschutz eben nicht.
Becks Konsumentenoffensive wird hier nicht zustandekommen, übrigens auch
mangels Kaufkraft der Hauptklimageschädigten: künftiger Generationen und
der vielen extrem Armen in Afrika, Südamerika, Asien oder Russland. Deren
Interessen erscheinen am politisch nicht eingerahmten Markt belanglos, und
das Globalklima, dessen Schädigung sich primär in der Zukunft auswirkt,
erscheint kostenlos.
Aber auch sozialpolitisch reichen Markt und Konsumentendruck nicht. Nicht
nur der globale Konsumentendruck pro gute Arbeitsbedingungen wird
ausbleiben. Auch so etwas wie "transnationale Lohnstreiks" wird es wegen
der Interessengegensätze etwa zwischen chinesischen und deutschen Arbeitern
wohl kaum geben. Bestimmte (!) globale Sozialstandards wie sich (zu unserem
Nachteil) angleichende Löhne für viele Deutsche und Chinesen (und das
bewirken auch globale Sozialstandards plus ein von uns steuerfinanzierter
Kostenausgleich für den Süden) schafft dagegen auf Dauer auch der freie
Markt. Doch erneut bleiben so die vielen Armen weltweit auf der Strecke.
Sie können "global mobilen Unternehmen" mangels ökonomischen Drohpotenzials
keine "global mobile Konsumenten- und Arbeitnehmermacht" entgegensetzen.
Nicht umsonst wurde der Kapitalismus in Ländern wie Deutschland oder
Frankreich erst dadurch zu einem Erfolg für die breiten Massen, dass im 20.
Jahrhundert handlungsfähige Instanzen für eine umverteilende Sozialpolitik
existierten.
Indem man den "Wettlauf um die niedrigsten Standards" durch globale Regeln
beendet, kommt auch die eigentliche, die politische (Wahl-)Demokratie
wieder zu ihrem Recht. Denn erstens wird die Politik damit global
entscheidungsfähig; und eines Tages hat man dann wie ein EG- vielleicht
auch ein WTO-Parlament. Zweitens helfen globale Regeln der nationalen
Demokratie. Die ist nämlich durch den globalen Wettstreit um
Unternehmensansiedlungen zuletzt sozial-ökologisch oft arg
sachzwanggeschädigt gewesen. Drittens bewirken globale Standards im
Idealfall einen gleichmäßigeren, zugleich aber ressourceneffizienteren
weltweiten Wohlstand und dürften damit der Demokratieentstehung im Süden
nützen. Viertens bleibt Konsumentendemokratie ja trotzdem eine Ergänzung
der gesellschaftlichen Meinungsbildung; und als solche ist sie nützlich.
Allerdings unterliegen nicht nur Bürger und Unternehmen, sondern auch
Politiker Faktoren wie Eigennutzen (Wiederwahl), Bequemlichkeit,
Konformität. Druck in Richtung auf die nötigen politischen Veränderungen
ist darum die Hauptaufgabe für aufgeklärte Bürger - und erst nachrangig die
Nutzung ihrer konsumentendemokratischen Macht.
Vielleicht der wichtigste sozial-ökologische Standard, inklusive
Kostenausgleich für den Süden, wären weltweit gleiche
Treibhausgasemissionen pro Kopf. Dann wäre der falsche Anreiz "Klima ist
kostenlos" beseitigt. Und es flösse Geld - das aber eine Zweckbindung
bräuchte - für den Kauf von Emissionsrechten von den westlichen Staaten
nach Süden. Was gerecht wäre, weil wir Westler pro Kopf dem Klima mehr
schaden. Das Ganze würde nicht nur dem Klimaschutz, sondern vor allem auch
dem Kampf gegen die Armut im Süden helfen - und damit indirekt den
westlichen Sozialstaat vor dem Wettlauf um die niedrigsten Standards
schützen. Solange eine globale Einigung fehlt, kann die EU aber durchaus
vorangehen. Wettbewerbsnachteile durch endlich wirklich einschneidende
Klimaschutzvorgaben in Europa könnte man nämlich an der Grenze durch einen
Kostenausgleich auf Im- und Exporte kompensieren. So kann man
wirtschaftlich vertretbare Klimapolitik vormachen, den USA, Indien oder
China ein Beispiel geben und die Bereitschaft für wirklich globale
Regelungen stärken.
26 Jul 2008
## AUTOREN
Felix Ekardt
## TAGS
Mercosur
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