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# taz.de -- Debatte Leistungssport: Drogen, Rekord und Sieg
> Sport ist Theater, und wir wollen Spektakuläres sehen. Doping ist die
> unmittelbare Folge dieses Wunsches. Sparen wir uns also die moralische
> Empörung darüber, sie ist bigott.
Bild: Wann sie wieder auf dem Court stehen wird, ist ungewiss: Maria Scharapowa…
Was waren das für Zeiten! Als Lance Armstrong sich noch einmal umdrehte, um
Jan Ullrich tief in die Augen zu blicken, bevor er antrat und den Berg
hinauf verschwand. Schöne Zeiten für Doper, weil sie nur selten erwischt
wurden. Noch schönere Zeiten für uns Zuschauer, weil wir zwar wissen
konnten, dass gedopt wird, es aber nicht jederzeit wissen mussten. Die
Theaterillusion der Sportaufführung war einigermaßen intakt. Helden durften
Helden sein, und Sieger waren Sieger. Wir durften sie lieben und hassen.
Heute setzt sich jeder Sieger dem Verdacht aus, dass das nicht mit rechten
Dingen zugegangen sein kann. Ist das fair?
Manuel Beltran wurde bei der Tour positiv auf EPO getestet. Man führte ihn
in Handschellen ab wie einen Verbrecher. Die dramatische Inszenierung war
eine pure Entschlossenheitsdemonstration jakobinischer Dopingbekämpfer.
Justiz wurde zum Spektakel. Da konnte man sehen, dass das Sporttheater
längst auf einer anderen Bühne oder vielmehr im Bühnenhintergrund gespielt
wird. Medizinische Kontrollen, juristische Auseinandersetzungen,
bürokratische Normierungen schaffen Rahmenbedingungen, unter denen der
eigentliche Wettkampf nur noch mit Vorbehalt zu führen ist. Niemand weiß,
wessen Name hinterher gestrichen und wer stattdessen zum Sieger erklärt
wird. Man muss also gar nicht mehr zuschauen, sondern nur noch die
Gerichtsverhandlung abwarten. Floyd Landis hat den Toursieg verloren. Der
mit EPO gedopte Bjarne Riis bleibt offiziell in der Siegerliste
eingetragen. Ist das gerecht? Wer hat den besten Anwalt?
Ein Sportler muss nicht nur siegen, sondern der oder die Beste überhaupt
sein. Asafa Powell, mit 9,4 Sekunden über 100 Meter bis vor kurzem
Rekordhalter, hat das so formuliert: "Da draußen tobt ein Krieg. Jeder will
der Schnellste der Welt sein. Aber nur einer kann siegen." Die
Verpflichtung zum Rekord gehört zum Sport wie das Wirtschaftswachstum zum
Kapitalismus. Stillstand ist Rückschritt; nur die Verbesserung zählt. Es
ist abzusehen, dass ungebremstes Wirtschaftswachstum katastrophale Folgen
hat, trotzdem machen wir immer weiter. Ersatzweise treiben wir den
Dopingteufel aus. Aber was bleibt vom Sport dann am Ende übrig?
Sportler allein wären längst nicht mehr in der Lage, immer neue Rekorde zu
produzieren. Ohne Ingenieure, Mediziner, Physiologen,
Ernährungsspezialisten, Trainingsoptimierer, Videoanalytiker usw. wären sie
hilflos. Selbst Yoga gehört zum modernen Methodencocktail.
Es ist allzu leicht, mitreisende Ärzte und Apotheker zu diffamieren. Die
Forscher, die spezielle Legierungen für Schlittschuhkufen oder
ultraschnelle Schwimmanzüge erfinden, stören uns ja auch nicht. Dabei
stellen sich bei Material und Maschine dieselben Fragen wie beim
Menschenkörper: Was ist erlaubt und was nicht? Ja, schlimmer noch: Ist
heute noch erlaubt, was gestern erlaubt war, und wird es morgen verboten
sein? Die Grenzen zwischen Doping und medizinischer Fürsorge sind nur
willkürlich festzulegen. Zu begründen sind sie nicht.
Doping ist ein unlösbarer Widerspruch. Es findet statt, darf aber nicht
sein. Zur Optimierung der Körperkondition ist es so notwendig wie
fragwürdig: Es zerstört die Chancengleichheit (falls es die überhaupt
jemals gab) und den Glauben an die "Authentizität" - ein Begriff aus der
Kunst, der neuerdings auch auf den Körper anwendbar ist. Doping ist das
Schmiermittel zwischen Fairplay und Konkurrenz oder zwischen der großen,
imaginären, friedlichen Weltgemeinschaft des Sports und der (symbolischen)
Vernichtung des Gegners. Doping ist aber auch eines der großen
Heuchelthemen der Öffentlichkeit, weil es uns Zuschauern erlaubt, risikolos
auf der Seite des Guten zu stehen. Den Widerspruch zwischen Siegeswillen
und Sportlerethos müssen ja die anderen, die Athleten, aushalten. Wir
verkleistern ihn mit Moral. Doping ist das Schweigen im Zentrum des Sports
und zugleich die Lüge im Reden über den Sport.
Es gibt keinen reinen Naturzustand des Körpers. Sport ist definitionsgemäß
dessen Spezialisierung, Modulierung und Manipulierung. Die Olympischen
Spiele werden reichlich Gelegenheit bieten, seltsam schöne und monströse
Körper in ihrer wunderlichen Vielfalt zu bestaunen. Es führt kein Weg
zurück zum Idealbild der griechischen Antike, als nackte (männliche) Körper
göttergleich miteinander konkurrierten wie später nur noch bei Leni
Riefenstahl. Denn schon der antike Körper wurde sorgfältig eingeölt, damit
er schöner glänze und die Muskeln zur Geltung kämen: Wenn Illusion Lüge
ist, dann war auch das schon falsch.
Aber Sport ist Illusion. Sport ist das große Als-ob: eine Welt neben der
Welt, in der dieselben Regeln gelten, die aber doch nur als Spiel
konzipiert ist; eine Welt, die besser sein soll und moralischer als das
Alltägliche. Zugleich ist Sport aber immer der Ernstfall. Sportler müssen
dazu bereit sein, ihren Körper mit vollem Risiko für ihre Sache einzusetzen
und sich selbst bis in die letzte Muskelfaser auszubeuten. Eine
Todesbereitschaft gehört dazu - im Boxen wie in der Formel 1, im Radsport
wie beim Military. Und auch wenn Leistungssport nicht immer gefährlich ist,
ist er extrem ungesund und verkürzt die statistische Lebenserwartung.
Doping mit dem Argument zu verbieten, man müsse die Gesundheit der Sportler
schützen, ist so halbherzig wie heuchlerisch. Es verkennt zudem das Risiko,
das zur Faszinationskraft des Sports gehört. Sport ist keine
sozialstaatliche Veranstaltung, sondern ein darwinistisches Prinzip. Nur
weil das so ist und weil er zugleich die "Friede, Freundschaft, ich lass
dir den Vortritt"-Illusion bedient, taugt er als Spiegelbild unserer
gesellschaftlichen Verfasstheit.
Doping ist vermutlich so alt wie der Sport selbst. Die Kriminalisierung des
Dopings ist dagegen vergleichsweise jung. Es sind besonders die Deutschen,
die sich dabei hervortun, während Italiener und Spanier gelassener bleiben.
Der Philosoph Peter Sloterdijk hat das kürzlich in einem Interview auf
deren "katholische Tradition der fröhlichen Selbstzerstörung"
zurückgeführt. "Italiener und Spanier sind Angehörige einer Kultur, in der
die Abspaltung des Scheins vom Sein zur populären Metaphysik gehört. Die
Deutschen, speziell die protestantischen, wollen dagegen die Wörter und die
Dinge wieder zur Deckung bringen. Wir sind, glaube ich, die einzige Nation
auf der Welt, wo man an ehrliche Neuanfänge glaubt. Wir bleiben
unberechenbar, 1945 wurden wir demokratisch, 2007 dopingfrei." So viel zu
Authentizität und Theater.
Doch siegen wollen wir ja auch, wir Deutschen. Vielleicht sind Siege sogar
wichtiger als der jeweilige Sport. Tennis ist langweilig geworden, seit
Boris Becker und Steffi Graf abgetreten sind. Die Tour de France ohne Jan
Ullrich funkt nicht mehr. Und die Olympischen Spiele werden auch ziemlich
öde, wenn es nicht Dressurreiter, Kanuten und Pistolenschützen rausreißen.
Dafür werden wir dann aber - gefühlt - die Saubersten gewesen sein. Wie
immer, seit 1945. JÖRG MAGENAU
6 Aug 2008
## AUTOREN
Jörg Magenau
## TAGS
Tennis
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