# taz.de -- Debatte Internationaler Gerichtshof: Subtiler Angriff auf die Poten… | |
> Der internationale Gerichtshof ist umstritten und ohne eigene Polizei. | |
> Doch aus dieser Machtlosigkeit ist Macht erwachsen: Der Schutz der | |
> Menschenrechte kommt voran. | |
Bild: Auf dem Weg zum ICC nach Den Haag: der vermutliche Kriegsverbrecher Ali K… | |
Auf der Jalta-Konferenz im Februar 1945 soll Josef Stalin seine Verbündeten | |
Roosevelt und Churchill gefragt haben: "Wie viele Divisionen hat der | |
Papst?" Die beiden hatten angeregt, der Pontifex Maximus könne doch bei der | |
Neuordnung Europas mitwirken. Mit gleicher Ironie könnte man heute fragen: | |
Über wie viele Polizeikräfte verfügt der Internationale Strafgerichtshof in | |
Den Haag (ICC), um Haftbefehle gegen mutmaßliche Staatsverbrecher zu | |
vollstrecken? | |
Mit dem sudanesischen Staatspräsidenten al-Bashir hat das ICC jetzt | |
erstmals einen amtierenden Politiker im Visier. Diesem Beschuldigten steht | |
jedoch die bewaffnete Macht seines Landes zur Verfügung, während eine | |
internationale Polizeitruppe unter UN-Kommando nicht existiert. Zudem ist | |
der UNO-Sicherheitsrat hinsichtlich des Sudan und des fortdauernden | |
Massenmordes in Darfur gespalten, so dass auch eine Verhaftung al-Bashirs | |
im Rahmen einer UN-Militäraktion ausscheidet. Bliebe als letzte | |
Möglichkeit, den Haftbefehl als Folge einer einseitigen militärischen | |
Intervention westlicher Mächte zu vollstrecken - doch wäre dann der | |
Strafgerichtshof nicht selbst von eben diesen Mächten abhängig? H. P. Kaul, | |
Richter am ICC und einer der wichtigsten Vorkämpfer für die internationale | |
Strafgerichtsbarkeit, hat diesen Mangel an Verfolgungsorganen als | |
"Achillesferse" des Gerichts benannt. | |
Dennoch ist der Haftbefehl gegen al-Bashir weit mehr als eine leere | |
symbolische Geste. Er trifft auf eine öffentliche Meinung, die zumindest in | |
den entwickelten, demokratisch verfassten Ländern auf massive Verletzungen | |
der Individualrechte weit sensibler reagiert als noch zur Zeit des Kalten | |
Krieges. Motoren dieser Entwicklung sind die zivilgesellschaftlichen | |
Initiativen wie amnesty international. Obwohl die meisten dieser | |
Organisationen ihre politische Neutralität betonen, ist ihre Aktivität | |
dennoch in dem Sinne politisch, dass sie die Grenzen des Nationalstaates | |
nicht respektieren - und auch nicht respektieren können. Denn die These von | |
der Universalität der Menschenrechte bildet die Grundlage ihrer Arbeit. | |
Seit Jürgen Habermas Klage über die "Unterinstitutionalisierung" des | |
humanitären Völkerrechts hat es zweifellos Fortschritte gegeben: Dazu | |
gehören auch die von der UNO eingerichteten internationalen Gerichtshöfe | |
für schwerste Menschenrechtsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, in Ruanda | |
und in Sierra Leone, die dann wiederum 2002 die Gründung des ICC ermöglicht | |
haben. Doch noch immer verträgt sich die Konstruktion des ICC schlecht mit | |
der Ratio der UN-Institutionen. Schließlich beruht die UNO auf dem Prinzip | |
der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates - was | |
gerade für kleinere Länder nach wie vor eine legitime Schutzfunktion gegen | |
die ungewünschte Einflussnahme von Großmächten bedeutet. Allerdings ist | |
nicht zu übersehen, dass dieses Prinzip von tyrannischen Regimen gern zur | |
Rechtfertigung ihrer Verbrechen in Dienst genommen wird. Gerade aus diesem | |
Grund wurde im ICC-Statut festgelegt, dass ein Regierungsamt nicht vor | |
Strafverfolgung durch den Gerichtshof schützt. Eine Erfahrung, die nun auch | |
al-Bashir machen musste. | |
Damit widerspricht der Staatsgerichtshof diametral der Auffassung, wonach | |
die Strafverfolgung ausschließlich Sache des Staates bleiben sollte, auf | |
deren Territorium die Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Allerdings | |
haben die Staaten, die die Gründung des ICC vorantrieben, versucht, den | |
Anhängern der absoluten Staatssouveränität entgegenzukommen. Sie haben die | |
Kompetenz des Gerichts auf schwerste Verbrechen (Völkermord, Verbrechen | |
gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen) begrenzt, die schon jetzt | |
völkerrechtlich normiert sind. Das Gericht ist ferner nur zuständig, wenn | |
der involvierte Staat nicht in der Lage oder willens ist, die | |
Strafverfolgung durchzuführen. Schließlich kann der ICC nur tätig werden, | |
wenn die betroffenen Staaten dem ICC-Abkommen beigetreten sind - oder wenn | |
der UN-Sicherheitsrat einen Fall an das Gericht überweist wie etwa beim | |
Sudan wegen des Mordens in Darfur. Trotz dieser ursprünglich | |
einvernehmlichen Überweisung an das ICC haben China und Russland später im | |
Sicherheitsrat gegen den Erlass des Haftbefehls protestiert - was die | |
Überweisung des Falls an den ICC nachträglich entwertet. | |
Obwohl die Unterstützer des ICC-Projekts ihren Kritikern so weitreichend | |
nachgegeben haben, haben bis heute eine Reihe wichtiger Staaten das | |
ICC-Abkommen nicht ratifiziert -darunter die Großmächte USA, China und | |
Russland. Zwar ist das ICC-Statut mittlerweile dennoch in Kraft getreten | |
und das Gericht hat seine Arbeit aufgenommen, aber der Anspruch des | |
Gerichts auf internationale Anerkennung - und damit seine Legitimität - | |
hängt von einer möglichst umfassenden, weltweiten Ratifizierung ab. | |
Der wichtigste Einwand gegen den ICC hängt eng mit diesem Manko zusammen: | |
Dem Gerichtshof wird die Selektivität seiner Ermittlungsverfahren und | |
Urteile vorgeworfen. Selbst schwerste Menschenrechtsverletzungen bleiben | |
ungesühnt, weil die involvierten Staaten den ICC nicht anerkennen und/oder | |
seine Ermittlungstätigkeit faktisch verhindern. Dies gilt etwa für den Fall | |
Chinas (Tibet), Russlands (Tschetschenien) und der USA (vom Irak bis | |
Guantánamo). Die Ermittlungsbehörden des ICC sind zwar, sobald sie | |
zuständig sind, unabhängig - auch vom UN-Sicherheitsrat, der ein Verfahren | |
nur aufschieben, aber nicht unterbinden kann. Dennoch kennt der ICC kein | |
Legalitätsprinzip, also die Verpflichtung zur Strafverfolgung aller | |
Verbrechen, die unter seine Jurisdiktion fallen. | |
Aus diesem strukturellen Grund sieht sich das Gericht dem Vorwurf | |
konfrontiert, nur schwache Staaten, sprich Dritte-Welt-Staaten mit seiner | |
Strafjustiz zu überziehen. Dieses Argument verbindet sich häufig mit der | |
Behauptung, nicht nur die Rechtsprechung zu den Menschenrechten, sondern | |
die Idee der Menschenrechte selbst entstamme dem individualistischen | |
westlichen Kulturkreis und sei nicht anwendbar für Gesellschaften, die dem | |
Kollektiv und Kollektivrechten den Vorrang vor individuellen Rechten | |
einräumten. Solche unter dem gemeinsamen Nenner "Kontextualismus" laufenden | |
Auffassungen hört man allerdings meist von den Machthabern in autoritären | |
Staaten, nicht aber von deren Opfern. | |
Es sind die wehrlosen Opfer staatlicher oder quasi-staatlicher Gewalt, die | |
heute die Dringlichkeit des Kampfs für die Menschenrechte, damit aber auch | |
des ICC begründen. Täglich werden wir darüber belehrt, dass die menschliche | |
Würde nicht unantastbar, sondern äußerst leicht verletzbar und zerstörbar | |
ist. Jedes Urteil des Internationalen Gerichtshofs, so wenig er auch | |
gegenwärtig den Ansprüchen auf Universalität genügen mag, hilft den Opfern | |
und schreckt potenzielle Täter ab. Darin liegt seine Rechtfertigung. | |
11 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Christian Semler | |
## TAGS | |
Sudan | |
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