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# taz.de -- Segelflug-WM: Abgehobener Sommerurlaub
> Im brandenburgischen Lüsse kämpfen 129 Flieger um Titel bei der 30.
> Segelflug-WM. Mit dabei:Trainer, Betreuer und die Familien. Für sie sind
> die Wettkämpfe gleichzeitig der Jahresurlaub im Wohnwagen oder
> Campingzelt
Bild: Himmlischer Sport: Flugleiter Ronald Liepold bei einem Übungsflug währe…
Die Atmosphäre in Lüsse, 80 Kilometer südlich von Berlin, erinnert an
sommerliches Campen. Zwei Frauen sitzen vor ihrem Wohnwagen, lesen und
sonnen sich. Drei Männer plauschen in lockerer Runde am großen Tisch, der
zwischen vier Zelten und Wohnwagen steht, ein weiterer sitzt am Laptop. In
die Idylle hinein ertönt ein knarrender Funkspruch: "Das wars. Ich bin
unten." Plötzlich setzt Trubel ein. Hatte man zuvor maximal sechs Personen
in Sichtweite, stehen nun ein Dutzend Leute um den Tisch herum. Und auf
einmal wird klar, dass hier kein Urlaub, sondern eine Weltmeisterschaft
stattfindet.
Das eigentliche Geschehen spielt sich einige hundert Kilometer entfernt ab,
in diesem Fall bei Lübben. Der deutsche Segelflieger Martin Theisinger muss
eine sogenannte Außenlandung hinlegen. Er wird nun mit dem Auto
eingesammelt, sein Segelflugzeug über Bundes- und Landstraßen wieder nach
Lüsse gebracht. Die deutsche Gruppe scherzt, dass man sich Theisingers
Abendbrot wohl aufteilen könne. Die vermeintliche Camping-Gruppe ist die
Entourage der deutschen Segelflug-Nationalmannschaft: drei verantwortliche
Trainer, ein Meteorologe, ein Betreuer für jeden Piloten sowie die
Familien, die auch komplett eingebunden sind und nützliche Aufgaben
erfüllen. Seit Anfang August kämpfen sie um die Titel in den verschiedenen
Klassen.
Nichts ohne Wetterfrosch
Das Segelfliegen hat seine ganz eigenen Abläufe. Morgens gibt es eine
offizielle Lagebesprechung für alle 129 Teilnehmer aus 34 Ländern. Dort
werden die Aufgaben für den Tag verteilt und die Wetteraussichten
geschildert. Mittags erfolgt dann eine mehrstündige Startphase, abends
landen die Piloten wieder auf dem Flugplatz - sofern sie ihn erreichen.
Dazwischen sieht man mehrere Stunden nichts von dem eigentlichen Wettbewerb
über, unter und zwischen den Wolken. Auch die Basis hat dann nicht mehr
allzu viel Einfluss. Telefonieren ist verboten, also muss gefunkt werden,
jedes Land auf einer eigenen Frequenz, genauso wie Rennleitung und
Wetterdienst. Die internationalen Gegner können dabei mithören, weshalb nur
die wichtigsten Informationen knapp durchgegeben werden.
Die deutschen Segelflieger gehören zu den besten. Neben der materiellen
Ausstattung und dem eigenen Meteorologen haben sie auch einen Heimvorteil.
In Lüsse fand bereits vor drei Jahren und im vorigen Jahr die deutsche
Meisterschaft statt: "Zwischen Lüneburger Heide und Polen könnten unsere
Piloten beinahe ohne Karte fliegen", erzählt Bundestrainer Ulrich Gmelin.
Segelflieger sind gewiefte Taktiker, geschulte Geografen und gekonnte
Meteorologen. Dort liegen die qualitativen Unterschiede. Fliegen können sie
alle. So findet auch Gmelin, dass das "Handwerkliche nicht entscheidend
ist". Wenn man das Starterfeld begutachtet, kann man durchaus feststellen,
dass eine gewisse Erfahrung von Vorteil ist: Bis auf wenige Ausnahmen sind
sämtliche Teilnehmer älter als 30 Jahre. Trotzdem gehört zum Segelfliegen
auch eine körperliche Komponente. Gmelin verweist vor allem auf die
Kreislaufanstrengung, die ein mehrstündiger Flug in großer Höhe und unter
direkter Sonneneinstrahlung mit sich bringt. Pilot Holger Karow, der in der
offenen Klasse für das deutsche Team fliegt, ergänzt: "Richtig anstrengend
ist es, wenn die Bedingungen schlecht sind. Dann muss man fünf bis sechs
Stunden die Konzentration hoch halten. Ohne Pausen." Die Landschaft können
sich Karow und die anderen trotzdem anschauen, sie müssen sogar. Es gilt,
Wetter und Wolken zu beobachten, auch gewisse geografische Punkte können
Indizien für den so wichtigen Aufwind sein.
Organisatoren aus Berlin
Städte gehören nicht dazu. Über Berlin, genau wie über sämtlichen anderen
Städten, ist das Segelfliegen verboten. Deshalb verwundert es ein wenig,
dass der Veranstalter der Weltmeisterschaft der Flugsportclub
Charlottenburg ist. Die Berliner haben sich seit Jahren auf dem Flugplatz
Lüsse angesiedelt, wo auch die Weltmeisterschaft stattfindet. "Wir sind da
Vorreiter. Für uns gibt es nur noch die Region Berlin-Brandenburg", sagt
Herbert Märtin, Wettbewerbsleiter und Cheforganisator. Berlin ist die
eigentliche, Lüsse die fliegerische Heimat.
Märtin, selbst passionierter Segelflieger, zählt die Besonderheiten seines
luftigen Sports auf. So sind Segelflieger vollwertige Mitglieder im
Flugverkehr: "Das ist alles gesetzlich geregelt. Sollte zum Beispiel ein
Segelflieger einem Motorflugzeug zu nahe kommen, muss dieses ausweichen.
Selbst wenn es eine Boeing-Linienmaschine ist."
Bundestrainer Gmelin ist der Einzige im deutschen Team, der vom
Segelfliegen leben kann. Die Starter gehen dagegen ihrem liebsten Hobby
nach als bessere Freizeitsportler. Es gibt keine Prämien oder Preisgelder,
im Gegenteil: Jeder Teilnehmer musste für die WM 950 Euro Antrittsgeld
zahlen. Auch jeder morgendliche Start mit einem sogenannten Schlepper, mit
dem die motorlosen Segelflieger in die Luft gezogen werden, kostet 50 Euro.
So stellt Organisator Herbert Märtin fest: "Die machen das hier alle des
Wettkampfs und des Sports wegen. Man selbst investiert sehr viel, neben
Anreise und Geld auch in die Fluggeräte und das Material." Und auch die
Zeit ist ein Faktor: Immerhin stellen die insgesamt drei Wochen - inklusiv
sieben Tagen Training vorab - in Lüsse für die meisten Teilnehmer quasi den
Sommerurlaub dar. Tagsüber wird geflogen, abends gecampt, mit der ganzen
Segelflug-Familie.
18 Aug 2008
## AUTOREN
John Hennig
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
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