# taz.de -- Russisches Militär bleibt in Georgien: Symphonie im Ausnahmezustand | |
> Waleri Gergijew, Stardirigent und Leiter der Londoner Symphoniker, gibt | |
> in der südossetischen Hauptstadt ein Solidaritätskonzert. | |
Bild: Mit Werken von Schostakowitsch und Tschaikowsky gab der ossetische Waleri… | |
ZCHINWALI taz "Den Lebenden und den Gefallenen - dir - Südossetien" steht | |
auf dem Transparent, das vor den Sims des Parlaments in Zchinwali gespannt | |
wurde. Der klassizistische Bau aus der Sowjetzeit war durch die | |
Kriegshandlungen vor zwei Wochen auch beschädigt worden. Die Inschrift der | |
Gedenkveranstaltung ist auf Russisch und Englisch. Der ossetische | |
Stardirigent Waleri Gergijew war mit dem Mariinski Orchester aus Sankt | |
Petersburg angereist und spielte für die Opfer in seiner kaukasischen | |
Heimat. Rund tausend Südosseten kamen zu dem Konzert auf dem zentralen | |
Platz. Zwei russische Schützenpanzer bewachten die Terrasse des Parlaments, | |
wo das Orchester untergebracht war, und die Zuschauerbühne. | |
Gergijew ist ein internationaler Star, der zurzeit die Londoner Symphoniker | |
dirigiert. Der Aggressor und an der Tragödie Schuldige sei das Regime | |
Michail Saakaschwilis, sagte er auf Englisch für die Weltöffentlichkeit. | |
Ein Schwall von Lügen über die Kriegsereignisse werde verbreitet, meinte | |
der Maestro, der sich ansonsten aber um verbindliche Worte bemühte. Jedoch | |
wiederholte auch er die Zahl von 2.000 Todesopfern der Kämpfe, die Moskau | |
anfangs verbreitete, mittlerweile aber auf 131 korrigiert hat. Gergijew | |
dirigierte die 7. Leningrader Symphonie, die Schostakowitsch während der | |
Blockade Leningrads durch die Deutschen im 2. Weltkrieg komponierte. Auch | |
Tschaikowskys tragisches Finale der 6. Symphonie zog den Bogen von | |
Südossetien zu den schlimmsten Leidens- und Bewährungsproben in der | |
jüngeren russischen Geschichte. Die Veranstaltung erinnerte an den Auftritt | |
des russischen Cellisten Mstislaw Rostropowitsch, der nach den Massakern in | |
Srebrenica für die Opfer spielte. Moskaus Regie des Kaukasusfeldzuges, | |
meinen russische Militärbeobachter, halte sich eng an das Vorgehen der Nato | |
im Kosovokrieg. Wie das Kosovo will auch Südossetien in die Unabhängigkeit | |
entlassen werden. | |
Die Südosseten interessiert es nicht, wer die Dramaturgie entwirft. Viele | |
verloren zum dritten Mal in den vergangenen 18 Jahren Haus, Hof und | |
Angehörige. Dass der Angreifer aus Georgien stammt, steht für alle fest und | |
lässt sich auch nicht widerlegen. "Wenn die Russen nicht gekommen wären, | |
hätten sie uns alle umgebracht", sagt Raja Kolumbegowa. Die Rentnerin sitzt | |
auf einem zerschlissenen Sofa, dem einzigen Möbelstück, das sie retten | |
konnte, im Hof vor der Sommerküche. Von ihrem Haus im ehemaligen jüdischen | |
Viertel ist nach den Artillerieangriffen nichts stehen geblieben. "Gott sei | |
Dank", sagt sie, "wurden meine Kinder und Enkel nicht verletzt." Sie hat | |
sie in das Bergdorf geschickt, aus dem sie vor 40 Jahren nach Zchinwali | |
heiratete. Dort gebe es wenigstens Milch und etwas zu essen für die Enkel. | |
In Zchinwali sind die meisten Geschäfte geschlossen. Nur ein paar Kioske | |
mit Arzneimitteln haben geöffnet. Beruhigungsmittel verlangen die meisten. | |
Die Strom-, Gas- und Wasserversorgung ist unterbrochen. Sie funktioniert | |
auch in ruhigeren Zeiten nur einige Stunden am Tag. Südossetien ist arm und | |
wurde von Moskau stiefmütterlich behandelt. Geld für Waffen und ein | |
bisschen humanitäre Hilfe versackte in den Taschen des korrupten Regimes | |
von Präsident Eduard Koikoty. Dessen Stunde ist gekommen. Vor der | |
Gedenkfeier spricht der ehemalige Meisterringer und Türsteher auf dem | |
Theaterplatz zum Volk, verspricht die Unabhängigkeit von Georgien und den | |
Eintritt in die Russische Föderation in den nächsten Tagen. Er schilt den | |
Westen, er wolle Russlands Aufstieg verhindern. Der Applaus kommt, aber er | |
ist nicht überwältigend. | |
In der Stalinstraße ist Asiad Dschagajewa in das untere Geschoss des Hauses | |
umgezogen. Ihr Wohn- und Schlafzimmer wurden verwüstet. Georgische Truppen | |
hätten mehrere Granaten hineingeworfen. Die frühere Erzieherin harrte mit | |
Schwester, Tochter, Nichten und Tante drei Tage im Keller aus. Dschagajewa | |
erzählt von Kindern aus der Nachbarschaft, die verdurstet seien. Die | |
Tankwagen mit Trinkwasser, die die Stadt in Friedenszeiten versorgen, sind | |
während der Kämpfe nicht gekommen. Sie nennt den Krieg einen Genozid am | |
ossetischen Volk und spricht von den "Faschisten aus Georgien", wie alle | |
hier, die nur russische Fernsehprogramme empfangen. Und doch ist sie nicht | |
hasserfüllt. Zwei georgische Familien wohnen nebenan. "Sie sind anständige | |
und nette Leute", sagt sie. Die Tscharikaschwilis seien zu Kriegsbeginn | |
geflohen. "Wir bewachen das Haus. Marodeure sind überall." | |
23 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
## TAGS | |
Musikfestival | |
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