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# taz.de -- Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn: Von der Zone in die Sphäre
> Kein DDR-Bürger reiste höher als er: Vor 30 Jahren startete Sigmund Jähn
> als erster Deutscher ins All - und ist bis heute eine Ikone für seine
> Heimat.
Bild: Ins All samt Kommunistischen Manifest: Sigmund Jähn.
Touristischer Heldenausbeutung wird man in Morgenröthe-Rautenkranz nicht
begegnen. An den berühmtesten Sohn der sächsisch-vogtländischen Gemeinde
erinnern lediglich eine versteckte Stele, ein vorm Bahnhof aufgebocktes
Jagdflugzeug vom Typ MiG-21 und ein nüchterner Museumsbau.
Morgenröthe-Rautenkranz ist die Heimat von Sigmund Jähn, erster
Fliegerkosmonaut der DDR, erster Deutscher im All. In der MiG drehte er
seine Runden, bevor es noch höher hinausging für ihn.
Am 26. August 1978, 15.51 Uhr, steigt Jähn im Raumschiff Sojus 31 an der
Seite des Russen Waleri Bykowski ins All auf. Nach neun Minuten erreicht er
die Umlaufbahn, nach 18 Erdumrundungen dockt er mit einer Geschwindigkeit
von 28.000 Kilometern pro Stunde an die Raumstation Saljut 6 an, eine Luke
geht auf, "und du siehst die beiden Männer wieder, die du ein Vierteljahr
vorher auf der Erde verabschiedet hast", beschreibt Jähn das Rendezvous
drei Jahrzehnte später.
Die sowjetischen Kosmonauten Wolodja Kowaljonok und Sascha Iwantschenkow
erwarten die beiden Weltraumreisenden in den Weiten des Alls mit Brot und
Salz. Jähn hat Marx "Kommunistisches Manifest", Goethes "Faust" und einen
DDR-Bildband bei sich sowie einen Sandmann, den die Stammbesatzung der
Station später mit ihrer Puppe Mascha vermählt.
An Bord muss Jähn ein straffes wissenschaftliches Programm absolvieren. Hat
er Zeit, blickt er aus dem Fenster. Die Schilderung, die er in seinem Buch
"Erlebnis Weltraum" davon gibt, liest sich wie eine Szene aus Stanislaw
Lems "Solaris": "Nicht nur, dass wenige Tage vor dem Start eigenartige
senffarbene Wolken aufgetaucht waren und kurz nach dem Überflug des
Bermudadreiecks sonderbare blaue Blitze aufleuchteten, nein, nicht genug
damit, es boten sich uns auch noch einzigartige Bedingungen für die
Polarlichtbeobachtung. Die geheimnisvoll anmutenden Bewegungen dieser
grauen Wände, die sich plötzlich zu riesigen Säulen, Bögen und Schleiern
formten und sogleich wieder zusammenfielen, erzeugten in mir den Eindruck,
überdimensionalen Märchenspielen beizuwohnen."
Nach knapp acht Tagen kehrt Jähn als Superstar der DDR auf die Erde zurück.
Das Land jubelt über den Punktsieg im interstellaren Wettrüsten und holt
sogar das vier Jahre zuvor entsorgte Konzept der gemeinsamen Nation aus der
Kiste: Jähn wird ganz offiziell als erster Deutscher im All gefeiert. An
der Seite der Staatsführung absolviert er Triumphzüge, Menschenmassen
stehen Spalier. Jähn bleibt bescheiden. "Ich war nie ein Superheld", sagt
er.
Der Westen tut sich schwer mit dem Griff der DDR nach den Sternen. Eine
Tageszeitung schreibt damals: "Zum ersten Mal wird im Weltall Deutsch
gesprochen, wenn auch mit sächsischem Akzent, was die Sache gleich wieder
etwas ins Komische zieht. Der erste richtige Deutsche soll schließlich erst
1980 mit einem amerikanischen Spacelab-Raumschiff in den Weltraum fliegen."
Der heißt Ulf Merbold, bricht erst 1983 ins All auf - und ist Vogtländer
wie Jähn, aufgewachsen in Greiz, gleich um die Ecke von
Morgenröthe-Rautenkranz. Jähn und Merbold begegnen sich erstmals 1984 in
Österreich und lernen sich schätzen. Im November 89 sind die beiden
gemeinsam auf einer Konferenz im saudi-arabischen Riad. Den Mauerfall
verfolgen sie nebeneinander sitzend in einem Hotelzimmer am Fernseher.
Später setzt sich Merbold dafür ein, dass Jähn im europäischen
Raumfahrtprogramm weiterarbeiten kann. Jähn kehrt nach der politischen
Wende als Berater für die Raumfahrtagentur ESA zurück ins Sternenstädtchen
Swjosdny Gorodok bei Moskau, verbringt oft den größten Teil des Jahres
dort. Nach Morgenröthe-Rautenkranz kommt der inzwischen 71-Jährige oft,
aber nur noch auf Besuch. Er wohnt inzwischen in Strausberg bei Berlin.
Jähns kosmische Aktivitäten haben seinem Geburtsort ein Museum beschert.
Die Deutsche Raumfahrtausstellung zeigt hier Weltraumerinnerungen,
Schautafeln, Technik und ein begehbares Modul der Raumstation MIR. Auf dem
Freigelände nebenan stehen verwitterte Parabolantennen herum - ein Jurassic
Park der Funktechnik.
Den Eingang zur Ausstellung ziert ein Bronzerelief mit den Gesichtern von
Sigmund Jähn und seinem Kommandanten Waleri Bykowski. Ihre Nasen sind blank
poliert - Segensabrieb kosmischen Glücks durch die Fingerkuppen der
Museumsbesucher. Auf Mülleimern steht "Space", im Fenster eine Vase in Form
einer Lavalampe. Die Raumfahrt hat der Welt das wunderlichste
Gebrauchsdesign beschert. Im Museumsshop gibt es Jähn und seine Kollegen
als erzgebirgische Räuchermännchen zu kaufen. Der kosmische Pop ist längst
in der Folklore angekommen.
Eine Schulklasse läuft an Satellitennachbildungen und Sonnenflügeln entlang
durch die Ausstellung. Kurze Frage in die Runde: "Wisst ihr, wer Sigmund
Jähn war?" "Ich glaube, er ist aus diesem Ort hier und war der erste
Astronaut", antwortet als Einziger ein Neunjähriger. Ein böser, später Sieg
des Klassenfeindes.
Zwei Raumanzüge erzählen vom Systemwettstreit: In einer Vitrine ein
orangefarbener sowjetischer, Modell SK 1, ausgefüllt von einer Juri Gagarin
nachempfundenen Figur, überlebensgroß, von einer angstmachenden, wächsernen
Blässe, mild lächelnd. Auf der anderen Seite der stylische
Mercury-Druckanzug des Amerikaners John Glenn: silbern glänzend, eine
UV-Strahlen reflektierende Designbotschaft ins dunkle All, dem sowjetischen
Skaphander modisch klar überlegen.
Im zweiten Geschoss die kosmische Garderobe: Druckausgleichshosen,
Bordkleidung, Anzüge für Außenmissionen. Mittendrin ein vielleicht dreißig
Jahre alter Müsliriegel, ein schwarzbrauner Barren, in dickes Cellophan
eingewickelt. Auf einer Schautafel über die "nachgenutzte Raumfahrttechnik"
ist zu erfahren, dass Müsliriegel ein Produkt der Raumfahrt sind. Daneben
liegt eine Tube Kaffee.
Dass Jähn ein Popstar der ostdeutschen 60-plus-Generation ist, wird klar,
als er vorm Ausstellungsgebäude auftaucht. Eine Rentnergruppe erkennt ihn
und nimmt ihn unverzüglich mit Digitalkameras und Autogrammwünschen in die
Zange. Später erzählt er, dass er inzwischen sogar Umwege durchs Dorf gehe,
um auf dem Weg zum Museum nicht aufgehalten zu werden. Der Trubel ist Jähn
peinlich. "Wenn man vor dreißig Jahren mal in den Weltraum geflogen ist,
muss man nicht jeden Tag noch einen Höhenflug für sich daraus machen", sagt
er, steigt in einen silbergrauen Wagen und fährt winkend davon.
26 Aug 2008
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Raumfahrt
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