# taz.de -- Konfliktregion Krim: Trügerische Ruhe in Sewastopol | |
> Die Krim-Halbinsel Sewastopol könnte zum Streitobjekt zwischen Russland | |
> und der Ukraine werden. Denn im Hafen ist die russische Schwarzmeerflotte | |
> stationiert. | |
Bild: Russlands Schwarzmeerflotte könnte Sewastopol den Frieden kosten. | |
Auf der Leninstraße im Zentrum von Sewastopol fühlt sich der Besucher in | |
Sowjetzeiten zurückversetzt. In Uniformen und brütender Frühherbsthitze | |
bewachen hier Schüler das Mahnmal der sowjetischen Heldenstädte, die im | |
Zweiten Weltkrieg den deutschen Truppen widerstanden. Ein paar Meter weiter | |
erhebt sich Katharina II. majestätisch auf einem hohen Steinsockel, von den | |
Menschen hier "die Mutter Sewastopols" genannt. Erst vor wenigen Monaten | |
wurde das Denkmal eingeweiht, das mittlerweile zur Pilgerstätte geworden | |
ist. Am Fuße der Statue liegen jeden Tag frische Blumen, und Junge und Alte | |
bleiben stehen, um sich fotografieren zu lassen. Auch Brautpaare machen der | |
russischen Zarin, die die Stadt vor 225 Jahren gründete, ihre Aufwartung. | |
Die 380.000-Einwohner-Stadt Sewastopol liegt im Süden der zur Ukraine | |
gehörenden Halbinsel Krim, ist Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte | |
und zu rund 74 Prozent von Russen bewohnt. Zwar sorgte die Forderung des | |
Moskauer Bürgermeisters Juri Luschkow, man möge die Krim, die Nikita | |
Chruschtschow 1954 der Ukraine schenkte, Russland wieder zurückgeben, in | |
der Vergangenheit immer mal für Aufregung. Dennoch lebten die Menschen hier | |
bislang friedlich zusammen. | |
Das könnte sich nach den jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen | |
zwischen Georgiern und Russen um Südossetien und Abchasien ändern. "Wollen | |
die Russen Krieg", fragte unlängst das ukrainische Wochenmagazin | |
Korrespondent und stellte dann fest: "Russland wird mit der Ukraine nicht | |
um die Krim kämpfen, denn faktisch gehört Moskau die Halbinsel ja schon." | |
Doch nicht alle sind sich sicher, dass es ruhig bleibt. Laut einer Umfrage | |
der ukrainischen Wochenzeitung Zerkalo Nedeli von Ende August glauben 47 | |
Prozent der Befragten, ein bewaffneter Konflikt zwischen Russland und der | |
Ukraine sei möglich. | |
Stätte russischen Ruhms | |
Auch für Daniil Romanenko ist das Denkmal Katharinas II. einer seiner | |
Lieblingsplätze. 16 Jahre hat er bei der Schwarzmeerflotte gedient. Der | |
muskulöse Oberkörper des 62-Jährigen steckt in einem knallgelben T-Shirt. | |
"Sewastopol, die Stadt des russischen Ruhms", "Schützt Sewastopol vor den | |
Feinden Russlands" und "Sewastopol ist das Heiligtum Russlands - sein | |
Verlust ist eine nationale Schande!" steht darauf geschrieben. Als Mitglied | |
der Bürgerorganisation Russische Gemeinde von Sewastopol und der Partei | |
"Russischer Block", die mit fünf Abgeordneten im Stadtparlament vertreten | |
ist, kämpft er an vorderster Front für die Interessen seiner Landsleute. | |
Für ihn steht außer Frage, dass die Schwarzmeerflotte mit ihren rund 30.000 | |
Angehörigen auch über den vertraglich festgelegten Abzugstermin im Jahre | |
2017 hinaus in Sewastopol stationiert bleibt. Und überhaupt: "Die Flotte | |
hat sich in Sewastopol ein Haus gebaut, sie ist hier der Herr. Und jetzt | |
muss sie dafür auch noch Miete bezahlen", empört er sich. In Kiew seien | |
eben Faschisten an der Macht, die die Krim und damit auch Sewastopol | |
widerrechtlich annektiert hätten. Versuche der Zentralregierung, das | |
Ukrainische in Schulen und über die Medien auf der Krim durchzusetzen, | |
seien ein eindeutiger Angriff auf die Seele der Russen. "Denn die Sprache | |
ist die Seele eines Volkes", sagt er. | |
Jetzt wollen er und seine Mitstreiter Unterschriften für ein Referendum in | |
Sewastopol sammeln, bei dem die Menschen über den Anschluss der Hafenstadt | |
an Russland abstimmen sollen. "Was dann der Rest der Krim macht", sagt er, | |
"ist uns egal." | |
Gleich gegenüber vom Katharina-Denkmal befindet sich das Stadtparlament. | |
Vorbei an einer weißen Lenin-Büste geht es in den ersten Stock. Dort | |
gewährt heute der Präsident der Kammer, Waleri Saratow, eine Audienz. | |
Der aalglatte Vertreter der russlandfreundlichen "Partei der Regionen" | |
versteht es perfekt, unangenehmen Fragen auszuweichen. Davon, dass jetzt | |
auf der Krim an die Bewohner massenhaft russische Pässe verteilt werden, | |
wisse er nichts, das seien alles nur Gerüchte. Genau so wenig gebe es | |
derzeit Spannungen in Sewastopol. Sollte die Nato jedoch ein | |
Beitrittsprogramm für die Ukraine beschließen, würde das die Situation | |
unweigerlich anheizen. Die Menschen hier lehnten das westliche | |
Militärbündnis, weil es gegen Russland gerichtet sei, kategorisch ab. "Und | |
wenn beispielsweise Bundeskanzlerin Angela Merkel diesen Schritt der Nato | |
unterstützt, muss man ja wohl fragen, wie demokratisch Deutschland ist", | |
sagt er. | |
Kiew ist weit weg | |
Die Spannungen, die der Parlamentspräsident nicht zu erkennen vermag, hat | |
Olga Bortnikowa schon mehrmals am eigenen Leib erfahren müssen. Die | |
ausgebildete Ärztin betreibt ein privates Café mit dem Namen "Brandung". | |
Das ockergelbfarbene zweistöckige Haus mit Terrasse befindet sich in bester | |
Lage direkt am Hafen von Sewastopol und dummerweise auf dem Areal, das die | |
russische Schwarzmeerflotte gepachtet hat. | |
Gegenüber, auf der anderen Seite der Bucht, sieht man eine Anhöhe mit einem | |
weißen langgezogenen Gebäude mit rotem Ziegeldach - eine Außenstelle der | |
Moskauer Staatlichen Universität, deren Studenten großzügig mit Stipendien | |
aus der russischen Hauptstadt versorgt werden. In diese Bucht lief am 24. | |
August, dem Tag der ukrainischen Unabhängigkeit, unter dem Jubel tausender | |
Sewastopoler, der russische Kreuzer "Moskau" nach seinem Einsatz in | |
Georgien ein. Einige Tage später versammelte sich am Kai wieder eine | |
Menschenmenge. Mit "Nato go home"-Rufen empfing sie ein US-amerikanisches | |
Versorgungsschiff, das Hilfsgüter nach Georgien transportiert hatte. | |
Die Kaffeehausbetreiberin Bortnikowa hat beste Chancen auf einen Eintrag in | |
das Guinessbuch der Rekorde. In 74 Gerichtsverfahren hat sie sich gegen die | |
Schwarzmeerflotte zur Wehr setzen müssen, deren Vertretern die | |
unternehmerische Tätigkeit der resoluten 45-jährigen Frau offensichtlich | |
ein Dorn im Auge ist. Dabei war kein Mittel zu billig, um Olga Bortnikowa | |
zu vertreiben. So wurde das Untermietverhältnis gekündigt, dem Café Strom | |
und Wasser gekappt und ständig kamen Prüfer vorbei. Mehrmals in der Woche | |
belagerten russische Nationalisten die Gaststätte und schlugen vor wenigen | |
Wochen nachts das Inventar kurz und klein. Jetzt schlafen Bortnikowa und | |
ihre Angehörigen auf einer Luftmatratze im ersten Stock des Gebäudes, um | |
weitere Überfälle zu verhindern. | |
Vor kurzem wurde der Platz vor dem Café auch noch zu einer | |
verkehrsberuhigten Zone erklärt, weswegen Warentransporte jetzt nur noch | |
mit einer Sondergenehmigung möglich sind. Diese kostet rund 1.500 Dollar im | |
Monat. Mittlerweile bleibt auch die Kundschaft aus und Bortnikowa findet | |
keine Mitarbeiter mehr. Doch nicht nur ihr allein ergeht es so. Das Gebäude | |
nebenan, in dem eine Bar untergebracht war, steht bereits zum Verkauf. | |
"Wir leben hier wie im Ghetto. Die Russen verletzten ständig die | |
territorialen Abkommen. Sie sind hier nur Mieter, führen sich aber wie die | |
Herren auf", sagt Olga Bortnikowa, die bereits den nächsten Prozess führt | |
und bis jetzt noch fest entschlossen ist, dem Druck nicht nachzugeben. | |
Kiew, so sagt sie, lasse die Menschen hier mit ihren Problemen alleine. | |
Früher hätten alle gut zusammengelebt, jetzt würden die Bewohner von | |
Sewastopol durch Hass getrennt. "Ich habe Angst um meine Familie", sagt | |
sie, "das hier wird vielleicht ein zweites Abchasien." Dass die | |
Schwarzmeerflotte 2017 abzieht, glaubt sie nicht. "Bis dahin sind wir | |
sowieso schon weg." | |
10 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
## TAGS | |
Russland | |
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