| # taz.de -- Gymnasien ohne Kinder aus der Unterschicht: "Unbewusste Diskriminie… | |
| > Eine Studie zeigt: Lehrer schicken Kinder aus der Unterschicht seltener | |
| > aufs Gymnasium als besser gestellte Altersgenossen. Bildungsforscher | |
| > Alexander Schulze erklärt, warum. | |
| Bild: Gymnasium oder Hauptschule? Je nachdem woher du kommst! | |
| taz: Herr Schulze, laut Ihrer Studie geben Lehrer Kindern aus der | |
| Unterschicht trotz gleicher Noten oft schlechtere Schulempfehlungen als den | |
| Altersgenossen aus Ober- und Mittelschicht. Warum? | |
| Alexander Schulze: Die Noten haben natürlich nach wie vor den größten | |
| Einfluss auf die Empfehlungen. Aber es spielen eben auch viele Faktoren | |
| hinein, die nicht direkt mit der Leistung zu tun haben. Das kann aus Sicht | |
| des Lehrers durchaus vernünftig sein: Er kennt die Eltern, er kann | |
| abschätzen, welche Unterstützung ein Kind zu Hause oder an der | |
| weiterführenden Schule bekommen kann. All das wird unbewusst in die | |
| Empfehlungen mit aufgenommen. | |
| Die Lehrer benachteiligen also nicht bewusst? | |
| Um Gottes willen! Das wäre ein völlig falscher Schluss aus unserer Studie. | |
| Was beeinflusst die Schulempfehlungen besonders? | |
| Die soziale Herkunft spielt eine große Rolle. Und zwar eine größere als der | |
| Migrationshintergrund. Einwandererkinder schaffen es zwar seltener aufs | |
| Gymnasium. Das liegt allerdings daran, dass sie sehr häufig zur unteren | |
| Schicht gehören, die Ethnie ist weit weniger wichtig. Diese Benachteilung | |
| ist kein Migrations-, sondern ein Unterschichtenphänomen. | |
| Unter welchen Umständen könnten die Empfehlungen gerechter werden? | |
| Manche Lehrer vermuten, dass ein Kind aus der Unterschicht zu Hause weniger | |
| Unterstützung erwarten kann. Deswegen sprechen sie oft eine schlechtere | |
| Schulempfehlung aus. Solche Nachteile können durch Angebote der Schule wie | |
| Sprachkurse oder Hausaufgabenbetreuung kompensiert werden. | |
| In vielen Bundesländern ist die Empfehlung für den Besuch einer | |
| weiterführende Schule verbindlich. Verschärft das die soziale Schieflage? | |
| Das kommt drauf an. Der Schulübergang besteht aus vielen Schritten. Die | |
| Benachteilung kann sich mit jedem Schritt verstärken. Aber wir müssen erst | |
| einmal verstehen, an welchen Stellen es zu welchen Diskriminierungen kommt. | |
| Zuerst entstehen Noten. Mit den Noten und anderen Merkmalen werden | |
| Empfehlungen gemacht. Damit und mit ihren eigenen Bildungswünschen gehen | |
| die Eltern an die weiterführenden Schulen. Sind die Empfehlungen nicht | |
| bindend, melden Eltern mit hohem sozialen Status und großem Ehrgeiz ihr | |
| Kind trotz mäßiger Noten vielleicht sogar eher am Gymnasium an. Das machen | |
| Eltern aus der Unterschicht nicht. | |
| Bildungsempfehlungen können also auch zu mehr Gerechtigkeit führen? | |
| Es kommt darauf an, wie sie ausgestaltet sind. Wenn man dem Bildungswunsch | |
| der Eltern viel Raum lässt, kommt das heraus, was wir feststellen: Beim | |
| Schulübergang spielt nicht nur die Leistung der Kinder eine Rolle, sondern | |
| auch die soziale Herkunft. Eltern aus der Oberschicht legen viel mehr Wert | |
| auf die Schulbildung ihrer Kinder und widersetzen sich einer schlechten | |
| Schulempfehlung daher eher. | |
| INTERVIEW: BERND KRAMER | |
| 11 Sep 2008 | |
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