# taz.de -- BR-Chef und der bayrische Wahlkampf: Die Macht des TV-Duells | |
> Wer in Bayerns Politik etwas erreichen will, muss an Sigmund Gottlieb | |
> vorbei. Beim TV-Duell könnte der Chef des Bayerischen Fernsehens sogar | |
> die Wahl entscheiden. | |
Bild: Wie einflussreich ist er? | |
Sigmund Gottlieb lehnt sich zurück auf seine Ledercouch und redet über die | |
bayerische Landtagswahl. Kaum hat er zwei Wörter gesagt, schon klingt es, | |
als stünde die Welt am Abgrund, als lauere hinter dem nächsten Busch schon | |
das ganz große Unheil. | |
Da seien die immer neuen finanziellen Belastungen, sagt Gottlieb. "Es gibt | |
bei vielen Menschen die Sorge, nicht über die Runden zu kommen." Und: "Wie | |
sicher sind wir in einer globalisierten Welt", in der sozialer Absturz und | |
der internationalen Terrorismus drohten? Das seien die Themen um die es | |
wirklich gehe bei der bayerischen Landtagswahl. | |
Spontan fragt man sich, ob man jetzt noch beim Interview in Gottliebs Büro | |
sitzt oder schon hineingeraten ist in einen dieser berühmten | |
Sigmund-Gottlieb-Kommentare, wie er sie alle paar Wochen mit ernster Miene | |
in den "Tagesthemen" vorliest: über den Führungswechsel in der SPD | |
("Gewaltige Fliehkräfte drohen die SPD zu zerreißen") oder die Festnahme | |
von Terrorverdächtigen ("Der Terror ist mitten unter uns"). Gottlieb macht | |
immer die ganz großen Fässer auf: Globalisierung, Terror, Zukunftsängste. | |
Sigmund Gottlieb ist aber nicht nur der - statistisch nachgewiesen - | |
fleißigste Kommentator der "Tagesthemen". Er ist auch als Chefredakteur des | |
Bayerischen Fernsehens der mächtigste Journalist im Freistaat. | |
Bayerns erstes TV-Duell | |
Die privaten Sender interessieren sich, abgesehen von ein paar Minuten im | |
Nachmittagsprogramm, nicht für Landespolitik. Die Zeitungen erscheinen - | |
bis auf die Süddeutsche Zeitung - jeweils nur in kleinen Regionen des | |
Landes. Wer eine politische Botschaft hat und damit möglichst viele | |
bayerische Bürger erreichen will, der muss an Sigmund Gottlieb vorbei. | |
Das ist nicht neu. Aber etwas ist besonders bei dieser Landtagswahl: Es | |
gibt zum ersten Mal in Bayerns Fernsehgeschichte ein live gesendetes | |
Streitgespräch zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten und seinem | |
Herausforderer. Gottlieb moderiert es. | |
Vor allem Bayerns SPDler fiebern dem Termin heute Abend schon seit Wochen | |
entgegen. Denn ihr schlagfertiger Spitzenkandidat Franz Maget trifft auf | |
den amtierenden Ministerpräsidenten Günther Beckstein von der CSU, der auf | |
Bühnen und vor Kameras häufig unsicher und spröde wirkt. Wenn Maget beim | |
TV-Duell die erwartet gute Figur macht, so hoffen die Sozialdemokraten, | |
könnten sie vielleicht zehn Tage vor der Wahl die entscheidenden Prozente | |
aufholen, um die absolute Mehrheit der CSU endlich zu brechen. Aber da ist | |
noch Sigmund Gottlieb. | |
Als es 2002 zum ersten großen TV-Duell zwischen Schröder und Stoiber kam, | |
war Gottlieb als Moderator im Gespräch. Die SPD intervenierte. "Der | |
Gottlieb macht es nicht", sagte damals SPD-Wahlstratege Matthias Machnig. | |
Da könne ja genauso gut Stoibers Spindoctor persönlich die Fragen stellen. | |
Solche Etiketten werden Sigmund Gottlieb immer wieder angeheftet. "Stoibers | |
Lieblingsjournalist" sei er gewesen und bis heute ungebrochen CSU-nah. | |
Es ist Freitagnachmittag, gut eine Woche vor dem großen Abend, und Sigmund | |
Gottlieb sitzt entspannt auf dem großen schwarzen Sofa seines | |
Chefredakteursbüros. Er sieht lockerer aus als im Fernsehen. Er trägt Jeans | |
und ein Polohemd und lächelt freundlich. | |
Als Kind habe er einmal Fernfahrer werden wollen, erzählt Gottlieb. Er habe | |
fremde Regionen sehen wollen, die Weite erfahren. Als er älter wurde, | |
merkte er, dass sich das mit dem Beruf des Journalisten auch ganz gut | |
erreichen lässt. Gottlieb wurde 1951 in Nürnberg geboren, sein Vater war | |
Lehrer, seine Mutter Hausfrau. Gleich nach dem Abitur wurde er freier | |
Mitarbeiter bei der Nürnberger Zeitung. Schon damals schrieb Gottlieb die | |
großen gesellschaftspolitischen Kommentare. | |
Mit der politisierten Stimmung an seiner Universität wollte er sich Anfang | |
der 1970er-Jahre kaum auseinandersetzen. Gottlieb lebte sich lieber | |
journalistisch aus. Er volontierte beim konservativen Münchner Merkur, | |
interviewte den alten Kurt Georg Kiesinger und den jungen Gerhard Schröder | |
und moderierte nebenher die Nachrichtensendung im Bayerischen Fernsehen. | |
Gottlieb sprach regelmäßig den Wochenkommentar. Er wechselte zum ZDF nach | |
Bonn, und als das "heute-journal" einen neuen, jungen Moderator suchte, war | |
auch ein gewisser Günther Jauch im Gespräch. Die Stelle ging an Gottlieb. | |
"Das war ein CSU-Posten", beschwerte sich Jauch später in der Zeit. | |
"Das war eine Gnade der Biografie", findet Gottlieb. Er stand vor der | |
Kamera, als am 9. November 1989 die Mauer fiel, und war live dabei, als im | |
Dezember Helmut Kohl seine umjubelte Rede vor der Ruine der Dresdner | |
Frauenkirche hielt. | |
Gottlieb ist immer dabei | |
Seit 1991 ist Gottlieb beim Bayerischen Fernsehen, seit 1995 Chefredakteur. | |
Seitdem ist er live vor Ort, wenn der Papst Bayern besucht. Oder er sitzt | |
zusammen mit dem Politikforscher Heinrich Oberreuter im Studio, wenn die | |
CSU, wie diesen März, eine Schlappe bei der Kommunalwahl einfährt. | |
"Die Situation in der CSU ist so schlimm, der Professor Oberreuter und der | |
Sigmund Gottlieb wissen gar nicht mehr, was für eine Meinung sie haben | |
dürfen", lästerte der Fastenprediger Michael Lerchenberg in diesem Jahr | |
beim traditionellen Starkbieranstich am Münchner Nochherberg. "Es ist ein | |
Märchen, dass da jemand in einer Partei oder einem Ministerium sitzt, zum | |
Telefon greift und Anweisungen erteilt", sagt Gottlieb. "Es hat nie einen | |
gezielten Einfluss auf unser Programm gegeben." | |
Er sei auch kein CSU-Mann, erklärt der Chefredakteur. Natürlich sei er | |
interessiert an der Partei, aber das müsse er auch. Immerhin hätten 2003 | |
über 60 Prozent der Bevölkerung CSU gewählt. Aber nahe stehe er der Partei | |
deshalb nicht. "Jeder, der meine journalistische Arbeit kennt, käme wohl | |
nicht auf diese Idee", meint Gottlieb. | |
Es gibt aber auch ein Interview von ihm, das er 2001 der Zeitung Die Welt | |
gegeben hat. Er finde, dass Edmund Stoiber eine gute Politik mache, sagte | |
er damals ganz offen. Es gibt auch "Tagesthemen"-Kommentare von ihm, in | |
denen er Erwin Hubers Pläne zur Pendlerpauschale als "neue soziale | |
Kompetenz" feiert, als Zeichen, dass man sich "um den kleinen Mann" | |
kümmere. Und wenn man den Blick wandern lässt in Sigmund Gottliebs Büro, | |
dann sieht man unter seinem Schreibtisch ein kleines Holzkistchen stehen. | |
Es sieht aus wie eine Schachtel, die Firmen benutzen, wenn sie ihren | |
Geschäftspartnern zu Weihnachten oder zu Jubiläen eine Flasche Wein als | |
Geschenk zukommen lassen. Auf dem Kästchen sind drei große Buchstaben | |
aufgedruckt: "CSU". | |
"Wir sind Vermittler", sagt Gottlieb. "Wir haben eine Kamera, wir haben ein | |
Mikrofon und wir stellen die Fragen, die die Menschen auch stellen würden. | |
Der Rest entzieht sich unserem Einfluss." | |
Über eine unfaire Behandlung kann sich die Opposition im Gegensatz zu | |
mancher Regionalzeitung beim Bayerischen Fernsehen auch nicht beschweren. | |
Es gibt ein Duell, live und eines gegen eins, obwohl die eine Partei bei | |
der vergangenen Wahl über 60 Prozent der Stimmen geholt hat und die andere | |
nicht mal 20. Über Günther Beckstein und Franz Maget hat der Sender jeweils | |
ein halbstündiges Porträt ausgestrahlt. Beide waren recht positiv. Und wenn | |
Sigmund Gottlieb in seiner Talkshow "Münchner Runde" die ewigen | |
Politiker-Ausflüchte nicht mehr hören mag und rüde dazwischenfährt, dabei | |
immer lauter wird, bis er eine knackige Antwort bekommt, nimmt er auf | |
Parteizugehörigkeiten recht wenig Rücksicht. Er sehe seine Aufgabe als | |
Journalist vor allem darin, die großen Zusammenhänge zu erklären, | |
wegzugehen von der ewigen Vereinfachung und Personalisierung, erklärt | |
Gottlieb. "Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen, die Orientierung | |
brauchen. Darum bemühen wir uns. Wir haben eine Dienstleistungspflicht." | |
Sigmund Gottliebs großes Vorbild ist Peter Scholl-Latour, sagt er. Der habe | |
ihm immer imponiert, weil er nicht nur als Reporter vor Ort war, sondern | |
dabei immer auch wie ein Gelehrter die großen Zusammenhänge erklärte. | |
Vielleicht klingen deshalb Gottliebs Kommentare auch oft etwas martialisch. | |
Die SPD am Abgrund, der Hindukusch am Scheideweg. Die Themen sind | |
verschieden, die Rhetorik ähnlich. Vielleicht muss man so reden, wenn man | |
nur zwei Minuten vor der Kamera hat, um die ganze Welt zu erklären und | |
dabei ein Gefühl von Weite und Größe zu erzeugen. | |
Wahrscheinlich würde Franz Maget beim TV-Duell heute Abend ja gerne etwas | |
Schlaues zur Bildungspolitik sagen und Günther Beckstein etwas zum | |
bayerischen Mittelstand. Aber Sigmund Gottlieb wird wieder gnadenlos nach | |
den großen Zusammenhängen stochern: die Globalisierung, der Terrorismus, | |
die Ängste vor sozialem Absturz. All die Themen eben, die Bayern gerade | |
bewegen. | |
18 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Hübner | |
## TAGS | |
Bayerischer Rundfunk | |
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