# taz.de -- Alter Politiker, neues Buch: Auf eine Zigarette mit Schmidt | |
> Exbundeskanzler Helmut Schmidt stellt in Berlin sein neues Buch vor - mit | |
> Limo und Kippe in der Hand präsentiert er zahlreiche Lösungsvorschläge | |
> für die Probleme der Welt. | |
Bild: Da raucht Helmut Schmidt noch nicht, später am Abend schon. | |
Es ist der Abend der reifen Männer. Einer sitzt auf einem schwarzen | |
Stahlrohrsessel auf der Theaterbühne, die anderen auf den roten Sesseln im | |
Zuschauerraum - der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) | |
unter ihnen. Das Publikum im Berliner Ensemble hat sich am Mittwochabend | |
schick gemacht, um einem ehemaligen Staatsträger zu lauschen: Helmut | |
Schmidt, ewiger Raucher, ständig präsenter Bundeskanzler (SPD) im | |
Ruhestand. Anlass ist sein neues Buch "Außer Dienst: Eine Bilanz". | |
Unter der mit goldfarbenen Engeln stuckverzierten Decke plaudert Schmidt | |
dann mit ZDF-Journalist Claus Kleber über Deutschland und die Weltpolitik. | |
Sein Buch ist nur ein willkommener Anlass, um mal wieder seine Meinung zu | |
sagen. Das Publikum hängt an des Exkanzlers Lippen, es ist | |
mucksmäuschenstill im Saal. Was er letztlich erzählt, hätte auch jeder | |
andere sagen können. Doch gerade Schmidt hört jeder gespannt zu. Das liegt | |
wohl an seiner Aura und seiner gesellschaftlichen Reputation. Die Themen | |
des Abends sind bunt gemischt: Wahlkampf in den USA und atomare Bewaffnung, | |
die Nato und die Sozialdemokratie. Schmidt gibt bedächtig Antworten, die | |
Finger gespreizt und die Fingerkuppen zusammen. | |
Der Exkanzler mag Cola | |
Zur Tagespolitik wollte Schmidt sich eigentlich nicht äußern - dann macht | |
er es doch. Claus Kleber, ganz der Fernsehjournalist und auf verwertbare | |
O-Töne bedacht, fragt zu den aktuellen Entwicklungen in der SPD. So lange, | |
bis Schmidt sich hinreißen lässt zu sagen: "Ich bin mit dem Ergebnis | |
zufrieden." Von den vorderen Reihen sieht der Zuschauer ein Lächeln auf | |
Schmidts Gesicht. | |
Zwischendurch nimmt Schmidt immer wieder einen Schluck aus seinem Glas. | |
Nein, es ist kein Wasser, wie von einem 89-jährigen Mann erwartet würde. In | |
dem Glas befindet sich Cola. Das haben auch die Zuhörer bemerkt und | |
tuscheln: "Hey, der Schmidt trinkt ja Cola." | |
Das nächste Thema ist die Finanzkrise in den USA. Schmidt kritisiert, dass | |
Investmentbanken keiner Aufsicht unterlägen. Aufsichts- und steuerfreie | |
Inseln dürfe es nicht mehr geben. Das Publikum klatscht. Dann die Pointe: | |
"Den Selbstheilungskräften des Finanzmarktes vertraut nicht mal | |
Westerwelle." Das Publikum lacht. | |
Und schließlich kommt er: der Moment, auf den jeder gewartet hat. Die | |
letzten Minuten wirkt Schmidt ein wenig unruhig, zupft seine blaugestreifte | |
Krawatte zurecht. Dann erinnert ihn Kleber: "Herr Schmidt, Sie wissen, Sie | |
dürfen hier rauchen. Das ist die längste Periode, die ich Sie ohne eine | |
Zigarette erlebt habe." Der Intendant des Berliner Ensembles Claus Peymann | |
habe schließlich die Bühne zur Raucherzone erklärt - genau wie bei einigen | |
Theaterstücken. | |
Endlich: Er raucht | |
So ergibt der gläserne Aschenbecher auf Schmidts Beistelltisch endlich | |
einen Sinn. Aus seiner linken Brusttasche fummelt Schmidt eine grüne | |
Zigarettenschachtel: Reyno Menthol. Erleichtert steckt er sich eine Kippe | |
an, seine erste und letzte an diesem Abend auf der Bühne. | |
Eingehüllt in blauen Dunst geht die Plauderei weiter. Es ist das Bild, auf | |
das die Kameraleute gewartet haben: Helmut Schmidt im Scheinwerferlicht | |
sitzt inmitten seiner eigenen Rauchwolke. Niemand im Publikum traut sich zu | |
husten, obwohl sich der Rauch schnell in die Nasen schleicht. | |
Thema ist jetzt die religiöse Verständigung. Völlig aufgelebt wegen des | |
Rauches in seiner Lunge, berichtet Schmidt, dass das Wort "katholisch" in | |
seiner Kindheit ein Schimpfwort gewesen sei. Die Missachtung der anderen | |
Religionen müsse aufhören. "Das ist besonders schlimm, weil die Staaten | |
voneinander abhängig sind - vom Öl und dem Geld." Die Inbrunst, mit der | |
Schmidt Toleranz zwischen den Religionen fordert, wirkt, als predige er. | |
Nach einer Stunde und 15 Minuten beendet Kleber das Gespräch und damit den | |
Rundumschlag über die politischen Themen der Welt. Unter Beifall erhebt | |
sich Schmidt, gestützt auf seinen Stock, eine rote Ledermappe unter dem Arm | |
und verlässt die Bühne. Am 23. Dezember feiert er seinen 90. Geburtstag. | |
19 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Anja Hübner | |
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