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# taz.de -- Milchskandal in China: Gepanscht und vertuscht
> Der Skandal um verseuchte Milch in China nimmt immer erschreckendere
> Ausmaße an. Medien und Politiker meiden das Thema, in Internetforen wird
> heftig diskutiert.
Bild: Trinkpäckchen des Grauens? Milch aus China.
Auch in China gilt angesichts des Milchskandals die Weisheit: Not macht
erfinderisch. "Wissen Sie, ich gebe meinem Sohn jetzt erst mal
hauptsächlich Süßmelonensuppe", meint eine Mutter vor der Milchtheke im
Jingkelong-Supermarkt im Osten Pekings. Die angesprochene He Chunhe nickt.
"Hm, ich weiß zwar nicht, ob das so gut ist, aber schaden wird wohl es auch
nicht ", meint die 72-jährige Pekingerin. Reissuppe ging ja vielleicht
auch, klingt sich eine andere Mutter in das Gespräch ein. Die beistehende
Verkäuferin rollt mit den Augen. Sie weist darauf hin, dass alle hier
verkauften Milchprodukte unbedenklich seien. Frau He lächelt und greift
zielstrebig zur Frischmilch der Marke Sanyuan, ein Traditionsunternehmen
der Volksrepublik und laut Tests der Behörden frei von Melaminspuren. "Ich
Alte überlege nicht mehr so viel und kaufe einfach Sanyuan", sagt die Dame
und kneift ein Auge zu.
Die täglich neuen Dimensionen des Skandals um verseuchte Milch erschüttert
die ganze Bevölkerung. Neben Wut und Enttäuschung finden sie aber ihre ganz
eigenen Wege der Krisenbewältigung. Im Zeichen der nationalen Katastrophe
zeigt sich Chinas Gesellschaft wieder mal äußerst wach, kreativ und
kritisch.
Manche Krisenstrategien sind allerdings primär finanziell motiviert. So
wollen einige Supermärkte das Misstrauen der Käufer gegen heimische
Molkereifirmen mit interessanten Verkaufsstrategien überlisten. Im
Jingkelong-Markt bekommt der Kunde zu einem Zweierpack H-Milch der Firma
Mengniu einen kleinen Rucksack - gut zu gebrauchen für Ausflüge während der
bevorstehenden Nationalfeiertage. Beim Kauf einer Packung Joghurt der Marke
Yili gibt es einen Regenschirm - angesichts des wechselnden Herbstwetters
ebenfalls gern genommen. Andere Ideen zum Umgang mit dem Milchproblem sind
zwar auch geldorientiert, aber schon sympathischer. "Ich wohne in der
Gemeinde Huanyang, mein Baby ist gerade drei Monate alt. Ich habe viel
Milch zum Stillen und kann deshalb gerne noch ein anderes Kind mitfüttern",
schrieb eine Frau namens Huang aus der westlichen Stadt Chengdu im
Diskussionsforum der Internetplattform Tianya. Das Mitstillen koste 300
Yuan (etwa 30 Euro) pro Tag. Andere Chinesen werfen ernste Fragen auf.
"Haben denn solche Betrüger keine Kinder?", meint Guo Guicheng, Besitzerin
eines Nudelrestaurants im Ostens Pekings, "aber so etwas passiert immer
wieder, weil hier alle nur auf das Geld und nicht mehr auf die Moral
schauen." Die 44-Jährige fragt auch, warum der Milchpulverskandal wieder
hauptsächlich die ärmere Bevölkerung trifft. Das kontaminierte Pulver war
billig, der Hauptlieferant, Sanlu, aber galt als zuverlässig. Chen
Mengxiao, Angestellte im Heping-Supermarkt, sieht in den
Ausnahmezertifikaten von Qualitätsprüfungen für Firmen, deren Produkte sich
über Jahre als besonders verlässlich erwiesen haben, die Hauptursache des
Skandals. "Warum gab es so etwas?", so die 24-Jährige.
Chinas Internetnutzer gehen bei ihren Fragen noch einen Schritt weiter.
Warum nicht nur die Firma Sanlu, sondern auch die chinesischen
Gesundheitsbehörden das Bekanntwerden erster Fälle von Nierensteinen bei
Kleinkindern rund drei Monate vertuscht haben. "Wo liegt der Kern des
Problems?", fragt der Rechtsanwalt Lü Guohua in einem Beitrag auf der Seite
des Diskussionsforums von Tianya. Lü liefert die Antwort gleich mit. "China
hat keine wirkliche Demokratie, das Volk kann die Regierung und die Beamten
nicht überwachen", so der Anwalt.
Und welche Strategien verfolgt die chinesische Regierung zur Bewältigung
der Krise? Mit dem kritischen Geist und der Kreativität seiner Bürger kann
Peking wahrlich nicht mithalten. Staats- und Parteichef Hu Jintao schimpft
auf einige verantwortungslose Kader. Die staatlichen Medien haben Order
bekommen, erst mal weniger über den Skandal zu berichten. So macht die Neue
Pekinger Zeitung damit auf, dass manche Schilder in der Hauptstadt auch
nach den Olympischen Spielen stehen bleiben. Die Nachrichtenagentur Xinhua
beschäftigt sich mit dem bevorstehenden Start der Raumfähre Shenzhou 7.
Allein der beliebte Ministerpräsident Wen Jiabao zeigt etwas
Erfindungsgeist. Bei einem Supermarktbesuch schlug er den dortigen Kunden
vor, neue Prüfkennzeichen einzuführen. "Ok!", riefen alle Anwesenden. Was
sollten sie zu so viel Kreativität auch sonst sagen?
22 Sep 2008
## AUTOREN
Kristin Kupfer
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Neuer Milchskandal: China panscht weiter
Gesundheitsminister räumt ein, dass wieder Lebensmittel mit Melamin
gefunden wurden. Bereits 2008 waren mindestens 300.000 Kinder an
Nierensteinen erkrankt und sechs Babys gestorben.
Milchskandal in China: Schon 53.000 krank durch Melamin
Fast 13.000 chinesische Babys liegen im Krankenhaus. Chinas Behörden rücken
nur Stück für Stück mit der Wahrheit raus. Gerine Spuren wurden auch in
einem Nestlé-Produkt in Hongkong gefunden.
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