# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Feminismus ist unteilbar | |
> Heike und Hatice teilen das gleiche Los. Sie sollten auch gemeinsam an | |
> einem Strang ziehen. | |
Bild: Die Tokyo Medical University hat Prüfungen manipuliert, damit weniger Fr… | |
Schon seit einiger Zeit nagt an mir, was meine Kollegin Mely Kiyak kürzlich | |
in der Zeit schrieb. Die neu erwachte Feminismusdebatte, schrieb Kiyak | |
dort, interessiere sich nicht für Frauen mit Migrationshintergrund. Der | |
deutsche Feminismus gefalle sich in der Klage, dass es deutsche Frauen | |
"schwer" hätten. Doch Nilüfer, Emine und Hatice hätten es "schwerer". | |
Grundsätzlich ist dieser Einwand weder ganz falsch noch ganz neu. Schon in | |
den 80ern haben afroamerikanische Feministinnen in den USA kritisiert, der | |
Feminismus sei vor allem eine Veranstaltung weißer Mittelschichtlerinnen. | |
Auch lesbische Feministinnen haben damals wie heute an ihre Belange | |
erinnert, doch anscheinend ohne dauerhaften Erfolg. Die aktuelle | |
Beruf-und-Familie-Diskussion jedenfalls kreist wieder wie | |
selbstverständlich um die heterosexuelle Frau. | |
Ausgerechnet aus dem Munde türkischstämmiger Frauen in Deutschland jedoch | |
klingt es etwas sonderbar, wenn sie mehr Aufmerksamkeit verlangten: Denn um | |
das Patriarchat, in der die arme "Orientalin" vermeintlich gefangen ist, | |
ist in Deutschland längst eine kleine Feminismusindustrie entstanden. Es | |
gibt sogar ein eigenes Buchgenre, das sich den Leidensgeschichten von | |
Anatolierinnen widmet. Zu diesem Thema tauchen Frauen in zig Talkshows in | |
einer Häufigkeit auf, in der wir weibliche Expertinnen sonst nie auf dem | |
Bildschirm zu sehen bekommen. Dass es "Emine" schwer hat, bezweifelt | |
keiner, im Gegenteil: Sie wird, zumal wenn sie ein Kopftuch trägt, dafür | |
öffentlich so lautstark bedauert, dass sie es dadurch nur noch schwerer | |
hat. | |
Während türkischstämmige Frauen überproportional häufig zum Gegenstand | |
patriarchatskritischer Betrachtungen werden, hören wir von der | |
"allgemeinen" Patriarchatskritik viel zu wenig. "Allgemein" hieße nämlich, | |
dem Sexismus der deutschen Gesellschaft nicht nur am Objekt der | |
türkischstämmigen Minderheit nachzuspüren. Ein aufrichtig gemeinter | |
Feminismus sollte nicht nur darüber sprechen, wenn Hatice von Hasan | |
geschlagen wird, sondern auch von Heike und Heinz reden. Wer die Übel des | |
Patriarchats vornehmlich im "Orient" oder in seinen Ablegern, den hiesigen | |
"Parallelgesellschaften" diagnostiziert, bastelt mit an einem | |
Entlastungsdiskurs, demzufolge es in Deutschland emanzipationsmäßig bereits | |
zum Allerbesten steht. | |
Womit sich die Frage stellt, was denn nun tatsächlich im Argen liegt. Um | |
welche Themen hat sich ein "allgemeiner" Feminismus in Deutschland zu | |
kümmern - und betreffen sie deutschstämmige Frauen mehr als die mit | |
Migrationshintergrund? Vermutlich gibt es so viele To-do-Listen, wie es | |
Feministinnen gibt; aber meine eigene Auswahl würde lauten: Die zentralen | |
Punkte sind Geschlechterrollen, (Un)Gleichheit auf dem Arbeitsmarkt und | |
Sexualität. Und natürlich kommen alle drei meistens zusammen. | |
Geschlechterrollen sind es, die auch in vermeintlich emanzipierten Zeiten | |
unsere Gesellschaft in zwei säuberlich getrennte Hälften spalten. | |
Ihretwegen darf als Lieblingssport "der" Deutschen Fußball gelten, obwohl | |
vornehmlich von Männern gespielt und geschaut. Ihretwegen bringen Frauen zu | |
kollektiven Anlässen Kuchen oder Salate mit, während Männer auf Ermahnung | |
den Müll nach unten tragen. Ihretwegen ziehen Männer bei festlichen | |
Gelegenheiten einen dunklen Anzug an und Frauen ein möglichst figurbetontes | |
Kleid. | |
Geschlechterrollen sind es auch, die uns bis heute eine Trennung in Frauen- | |
und Männerberufe bescheren - mit entsprechenden Unterschieden in puncto | |
Anerkennung und Entlohnung. Bekanntlich können Männerberufe nicht "erobert" | |
werden, sondern sinken nach der Eroberung zum minderbezahlten Frauenberuf | |
herab. Vielleicht steht das auch den Ärzten, unter deren Nachwuchs | |
mehrheitlich Ärztinnen sind, bevor? Ingenieure dagegen sind tatsächlich | |
nach wie vor Männer. Ob sich daran künftig etwas ändern wird, erfuhren wir | |
nicht, als vergangene Woche sämtliche Zeitungen die "gute Nachricht" | |
verkündeten, die Zahl der Studenten der Ingenieurswissenschaften nähme zu. | |
Wenn es wirklich nur Studenten waren, ohne großes I - wie gut wäre diese | |
Nachricht dann? | |
Dieselben Zeitungen versorgten uns letzte Woche mit Berichten, die | |
Deutschen arbeiteten im Schnitt pro Woche mehr Stunden als ihre | |
europäischen Kollegen. Doch damit war natürlich wieder nur die bezahlte, | |
außerhäusliche Arbeit gemeint. Überstunden zu Hause, Kinderversorgung, | |
Haushalt & Co tauchten in den Statistiken gar nicht erst auf. | |
Nichts von all dem trifft Migrationshintergründlerinnen weniger hart oder | |
auch nur wesentlich anders. Und dasselbe gilt auch für ein weiteres | |
klassisches feministisches Thema, nämlich Sexualität und Gewalt. Im Oktober | |
2003 hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend | |
10.000 Frauen zu "Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit" befragen | |
lassen. 40 Prozent der Befragten ist mindestens einmal im Leben sexuelle | |
oder sonstige körperliche Gewalt widerfahren; bei mehr als der Hälfte, | |
nämlich insgesamt jeder vierten Frau, war der Täter ein früherer oder | |
derzeitiger Beziehungspartner. Auch die Situation von türkischstämmigen und | |
aus Osteuropa stammenden Frauen wurde dabei untersucht; die Zahlen zu | |
sexueller Gewalt liegen bei ihnen um wenige Prozentpunkte niedriger, doch | |
etwas höher die in Bezug auf sonstige körperliche Gewalt. | |
So wie die industrielle Produktion, die sich in Deutschland an | |
Arbeitsschutzbestimmungen und Tarife halten muss, ins Ausland abwandert, | |
suchen in Deutschland lebende Männer zunehmend im Ausland nach Frauen, die | |
sie so einseitig sexuell bedienen, wie man es von einer Frau mit halbwegs | |
gesicherter Existenz und unabhängiger Aufenthaltserlaubnis nicht verlangen | |
kann. Natürlich sind nicht alle Thailandreisenden automatisch Sextouristen. | |
Und nicht alle, die in Anatolien geheiratet haben, waren bloß auf der Suche | |
nach einer traditionellen jungfräulichen Braut. Und doch muss man sagen: | |
Sowohl deutschstämmige als auch türkischstämmige Sexisten haben ihre | |
Globalisierungsvorteile längst erkannt. | |
Unterschiedliche Löhne treffen die Gebäudereinigerin mindestens so | |
drastisch wie die oft bedauerte Managerin. Die türkischstämmige Ingenieurin | |
in spe wird von Eltern und Lehrern unter Umständen genauso entmutigt wie | |
ihre deutschstämmige Mitschülerin. Aus einer gewalttätigen häuslichen | |
Situation auszubrechen wird noch schwieriger, wenn man über geringe | |
Deutschkenntnisse und noch geringere finanzielle Rücklagen verfügt. | |
Insofern stimmt es: Nilüfer hat es wirklich schwerer. Doch ist Feminismus | |
kein Wettbewerb darum, wer in der Opferskala am weitesten unten steht. Die | |
zentralen Themen der feministischen Agenda sind weder spezifisch | |
"islamkritisch" noch "deutsch". | |
Das Beste an der tatsächlich immer noch schweren Situation von Hatice und | |
Heike ist: Sie befinden sich immerhin in derselben Situation. Und wenn sie | |
es klug anstellen, ziehen sie gemeinsam am selben Strang. | |
23 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Hilal Sezgin | |
Hilal Sezgin | |
## TAGS | |
Sexismus | |
Black Lives Matter | |
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