# taz.de -- Globalisierungskritikerin zur US-Finanzkrise: "Sozialismus für Rei… | |
> Die Globalisierungskritikerin Susan George fordert, die Rettung des | |
> Finanzsektors an staatliche Auflagen zu knüpfen. Nötig sei ein | |
> ökologischer Keynesianismus. | |
Bild: Auch auf diesem Haus lasten schwere Hypotheken. Aber der Staat zahlt gern… | |
taz: Frau George, die Wall Street hat schon einige Finanzkrisen erlebt. Was | |
ist diesmal anders? | |
Susan George: Diesmal betrifft die Krise nicht nur einen Sektor, sondern | |
alle. Und wir erleben einen ungeahnten Paradigmenwechsel: einen Sozialismus | |
für Reiche. | |
Sie meinen die Verstaatlichung der Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie | |
Mac und der Versicherung AIG. | |
Und die geplante Übernahme fauler Kredite durch den Staat. Die | |
Vermögenswerte werden vom Staat gerettet, die Verluste aber der | |
Allgemeinheit aufgebürdet. | |
Gerade von linker Seite heißt es oft, man hätte die Firmen lieber | |
pleitegehen lassen sollen. | |
Natürlich kann man sagen, es geschieht ihnen recht, wenn sie pleitegehen. | |
Aber was wären die Folgen? Was würde es für normale Menschen heißen, wenn | |
ihre Pensionsfonds und Lebensversicherungen auf einmal wertlos sind? Vor | |
allem in den USA hängt die soziale Absicherung der Menschen längst von den | |
Kapitalmärkten ab. Die Kapitalrenditen der Banken lagen zuletzt im Schnitt | |
bei über 20 Prozent, zwei- bis dreimal so hoch wie in anderen Branchen. Sie | |
haben uns zweifellos abgezockt. Wenn wir ihnen jetzt aus der Patsche | |
helfen, dann nur gegen Auflagen. | |
Zum Beispiel? | |
Warum sollten die Banken nicht gezwungen werden, einen bestimmten Anteil | |
ihrer Kredite zu vergünstigten Konditionen für den ökologischen Umbau der | |
Wirtschaft zu vergeben? Wir brauchen ein neues Wirtschaftsmodell: einen | |
ökologischen Keynesianismus. Die USA waren immer dann wirtschaftlich am | |
erfolgreichsten, wenn sie einer keynesianistischen Politik gefolgt sind. | |
Organisationen wie Attac, aber auch Politiker fordern, die Finanzmärkte | |
endlich umfassend zu regulieren. | |
Das ist ja wohl auch das absolute Minimum! Zumindest sollten wir endlich | |
Geld und Kredit als ein Gemeingut behandeln, als etwas, wozu alle Menschen | |
Zugang haben müssen. Sie sollten beispielsweise nicht ihre Häuser | |
verlieren, wenn sich der Markt ändert. | |
Immerhin will der US-Kongress jetzt im Rahmen des Rettungsplans der | |
Regierung auch Hilfen für Hausbesitzer vorsehen. | |
Die Krise ist damit noch lange nicht vorbei. Amerikaner leben auf Pump - so | |
sehr, dass es für Europäer schwer vorstellbar ist. Viele Leute können die | |
Kredite, die sie auf ihre Häuser aufgenommen hatten, nicht mehr bedienen | |
und müssen ihr Haus verkaufen. Weil so immer mehr Häuser auf den Markt | |
kommen, fallen deren Preise immer weiter. Wir erleben bei den | |
Vermögenswerten eine Deflationsspirale, die anhält. Dazu kommt, dass die | |
Banken einander nach wie vor nicht trauen und sich deshalb keine Kredite | |
einräumen. Auch Geldmarktfonds und Hedgefonds kommen in Schwierigkeiten. | |
Wir können noch überhaupt nicht absehen, was noch alles auf uns zukommt. | |
Droht dem Finanzsektor am Ende eine Kernschmelze? | |
Das wird der Staat mit seinen Rettungspaketen verhindern. Die Katastrophe | |
findet in der realen Wirtschaft statt, und dagegen tut die Regierung | |
nichts. Kredite werden knapp und teuer, Unternehmen investieren nicht mehr, | |
Arbeiter werden entlassen, die Nachfrage sinkt weiter - all das läuft auf | |
eine heftige wirtschaftliche Schrumpfung hinaus, nicht nur in den USA. | |
Auf dem europäischen Sozialforum in Malmö hat jemand gesagt, wir bräuchten | |
eine Revolution, um die nötigen Veränderungen durchzusetzen. | |
Beim Sturm auf das Winterpalais werde ich in erster Reihe mitmarschieren. | |
Leider ist es nicht so einfach. Die Hälfte aller US-Amerikaner besitzt | |
selbst Aktien und ist dankbar, wenn der Staat etwas zur Rettung des | |
Finanzsektors unternimmt. Die allerwenigsten Leute haben begriffen, dass | |
sie selbst es sind, die die Zeche zahlen müssen. | |
INTERVIEW: NICOLA LIEBERT | |
30 Sep 2008 | |
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