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# taz.de -- Interview Eran Riklis: "Es gibt keinen Bösewicht"
> Ein Blick auf den Nahostkonflikt, der ohne Einteilung in Gut und Böse
> auskommt: Der israelische Regisseur Eran Riklis über seinen Film "Lemon
> Tree".
Bild: Szenenfoto: Kampflos wird Salma ihren Zitronenhain nicht aufgeben.
taz: Herr Riklis, Ihr Film "Lemon Tree" stellt den Konflikt zwischen
Isrealis und Palästinensern anhand eines einfachen Streits unter Nachbarn
dar. Warum haben Sie diese kleine Perspektive auf ein so großes,
weltpolitisches Thema gewählt?
Eran Riklis: In dieser einfachen Geschichte ist alles drin: der Streit
zwischen den beiden Nachbarn genauso wie der regionale Konflikt und die
Weltpolitik. Ich denke, so geht es eben in der heutigen Welt zu: Ein
kleiner Konflikt, sagen wir irgendwo in Afghanistan, könnte eine ganze
Armee auf den Plan rufen. Alles ist miteinander verbunden.
Dennoch ist der Aufbau von "Lemon Tree" sehr simpel. Salma, eine
palästinensische Witwe auf der einen Seite, ein isrealisches Ehepaar auf
der anderen. Und in der Mitte der umstrittene Zitronenhain.
Das ist ja das Schöne daran. Selbst ein Publikum, das nichts über den
Konflikt weiß, kann die Geschichte verstehen. Das ist für mich das
Entscheidende. Ein Film mit einem politischen Thema muss verständlich sein,
sonst hat er keinen Wert. Ich mag Filme, die beides miteinander
vereinbaren: Zugänglichkeit und Niveau.
Das entspricht Ihren Erfahrungen als Filmemacher. Sie haben sowohl kleine
Dokumentarfilme als auch sehr populäre Komödien gedreht.
Und ich habe jahrelang in der Werbebranche gearbeitet, was wieder etwas
völlig anderes ist. Oder vielleicht auch nicht. Am Ende geht es beim Filmen
immer darum, sich einen Fokus zu setzen und ihn durchzuhalten. Sein
Publikum dorthin zu führen, wo man es haben will, und ihm auf der anderen
Seite genügend Freiraum zu lassen, zu eigenen Urteilen zu kommen.
Ihr Film sieht das Handeln mancher seiner Figuren kritisch, verurteilt
diese aber nicht. Auch nicht Navon, den Verteidigungsminister Israels,
dessen Sturheit das Drama erst auslöst.
Das war der schwierigste Balanceakt: Wie stelle ich den
Verteidigungsminister dar? In Israel ist das schließlich ein heikles Thema.
Mir war vor allem wichtig, ihn nicht als Dummkopf abzustempeln. Man muss
sich nicht mit ihm identifizieren, aber man muss ihn zumindest verstehen
können. Und ja, es gibt keinen Bösewicht in meinem Film. Jede Figur hat
ihre Vorgeschichte, ihre Gründe. Ich sehe den Film als eine Studie über die
Einsamkeit dieser verschiedenen Menschen.
Der Film mischt tragische und komödiantische Elemente.
Erstens ist Humor ein großartiges Instrument. Zweitens steckt Humor in
allen Dingen. Man kann von einem Begräbnis zu einer Hochzeitsfeier
schneiden oder umgekehrt. So ist das Leben, jeden Tag bewegen wir uns
zwischen Tragödie und Komödie. Gerade in einer potenziell explosiven
Situation, wie sie der Film erzählt, muss man sich seinen Humor bewahren.
… und in den Begegnungen mit der Bürokratie. In "Lemon Tree" wird der
Staatsapparat als eine reichlich absurde Veranstaltung vorgeführt. Geht das
auf persönliche Erfahrungen zurück?
Nein, zum Glück nicht! Aber es ist ein Teil der Tradition des Nahen Ostens.
Aber ich meine nicht die Bürokratie, wie man sie im Westen kennt, als Teil
des Staates. Es geht darüber hinaus. Das ganze ist Leben ist "Bürokratie".
Alles ist kompliziert, für alles braucht man eine Zustimmung. Dabei liegt
die einfachste Lösung manchmal vor aller Augen, aber keiner erkennt sie.
Darum geht es mir. Nicht um das System, sondern darum, wie das
bürokratische Denken tickt. Jemand sagt: Die Zitronenbäume sind gefährlich!
Also was sollen wir tun? Wir fällen sie! Weg damit!
Das Sprichwort kennen Sie bestimmt: Mit einem Hammer in der Hand werden
alle Probleme zu Nägeln.
Ja, genau so läuft es.
Salma muss sich nicht nur gegen die Pläne des Verteidigungsministers zur
Wehr setzen. Sie muss auch gegenüber ihrer eigenen Gemeinde ihre Freiheit
einklagen. Sie bekommt keine Unterstützung, sondern wird unter Druck
gesetzt von den Dorfältesten.
Das ist von ihr vermutlich noch mutiger, als sich gegen den isrealischen
Minister zu stellen. Als Palästinenserin ist sie ohnehin gegen alles, wofür
dieser Mann steht. Aber dem Druck der eigenen Leute zu widerstehen, das ist
schon etwas, wenn niemand ihr zur Seite steht - mit Ausnahme des jungen
Rechtsanwaltes natürlich.
Aber auch er verlässt sie am Ende.
Da bin ich mir nicht so sicher. Wenn er zum Schluss seine große Rede vor
der Presse hält, ist sie es, die weggeht. Sie sieht ihn, lächelt und geht
fort. Sie weiß, dass sie alles versucht hat. Sie erkennt, dass sie eine
Menge Dinge in ihrem Leben verändert hat, aber sie wird auch weiterhin
dieselbe Person bleiben.
Schon in Ihrem letzten Film, "Die syrische Braut", standen starke
Frauenfiguren im Mittelpunkt. In "Lemon Tree" sind es Sama und Mira, die
Frau des Ministers.
In "Die syrische Braut" hat es sich notwendig so ergeben. Es ging um Macht
und Ohnmacht von Frauen in solchen Situationen. In "Lemon Tree" ergab sich
das nicht von selbst. Aber zum einen wollte ich ohnehin wieder unbedingt
mit Hiam Abbass, die die Salma spielt, arbeiten. Und andererseits war es so
möglich, wenigstens indirekt eine Verbindung zwischen der Figur und dem
Verteidigungsminister zu schaffen, indem man die Solidarität zwischen den
beiden Frauen andeutet.
Das Handeln der beiden Frauen ist nicht von Politik bestimmt, das Handeln
der beiden Männer - des Ministers und des Rechtsanwalts - praktisch
vollständig. Mira würde Salma gerne unterstützen, aber es findet nie eine
Begegnung der beiden statt.
Wir hatten erst in Erwägung gezogen, dass die beiden sich treffen, aber was
wäre dann gewesen? Hätten sie sich täglich auf einen Kaffee treffen können?
Ich glaube, eine Figur wie Mira kann zwar ein Bewusstsein für Recht und
Unrecht haben und den Wunsch, zu helfen. Aber schließlich wird sie darin
doch nur so weit gehen. Letztendlich stehen Mira und Salma auf
verschiedenen Seiten dieser Grenze. Und die kann nicht so leicht ignoriert
werden.
Könnte die Zivilgesellschaft auf beiden Seiten der Sperranlagen den
Konflikt besser lösen als die staatlichen Institutionen? Wäre ein Wandel
dadurch möglich, dass man sich als Nachbarn anerkennt?
Man erlebt es ja jeden Tag, dass Menschen, die auf entgegengesetzten Seiten
stehen, einander auch friedlich begegnen können. Dann erscheint alles sehr
einfach. Aber ich glaube, es ist naiv, sich davon eine schnelle Lösung zu
erwarten. Letzten Endes sind es die politischen Kräfte, die die
Entscheidungen treffen. Obwohl, andererseits? "Power to the people", das
ist so eine Vorstellung der Sechziger. Ich glaube, im Nahen Osten ist der
Druck auf die Politik aus der Gesellschaft einfach noch nicht stark genug.
Weil es zu viel böses Blut gibt.
Aber immerhin wird die Klage einer Palästinenserin vor dem höchsten Gericht
Israels zugelassen. Darin zeigt der Film ein großes Vertrauen in die
Institutionen.
Oh ja, wenn alle Kriege vor Gericht gelöst werden könnten, wäre das eine
wunderbare Situation.
INTERVIEW: DIETMAR KAMMERER
1 Oct 2008
## TAGS
Hamburg
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