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# taz.de -- Leinwand-Debüt: Mit erstaunlichem Elan
> Als Neunjährige hat Anjorka Strechel ihre ersten Theatererfahrungen
> gemacht. Seitdem lässt sie die Bühne nicht wieder los. Nun hat die
> gebürtige Lüneburgerin auf der Leinwand ein zweites Zuhause gefunden.
Bild: Komplizierte Beziehung zwischen Lüge und Leidenschaft: Anjorka Streche (…
In diesen Tagen schwebt sie zwischen zwei Welten. Gerade dreht Anjorka
Strechel ihren zweiten Kinofilm, in Russland. Gleichzeitig läuft am
Osnabrücker Theater die Wiederaufnahme von Oscar Wildes "Bunbury" in der
Elfriede-Jelinek-Version an. Da steht sie dann für einige Abende wieder als
Cecily Cardew auf der Bühne. Eine stressige Zeit für die 26-jährige
Schauspielerin, deren Leinwanddebüt "Mein Freund aus Faro" Ende Oktober in
die Kinos kommt und am 11. vorab beim unabhängigen Filmfest Osnabrück zu
sehen ist.
Unterschiedlicher könnten diese zwei Beschäftigungen nicht sein. "Auf der
Bühne muss man für drei Stunden permanent konzentriert sein", sagt
Strechel, "bei Dreharbeiten spiele ich eine Minute und habe dann wieder
eine halbe Stunde Pause." Dennoch überwiegt bei der in Lüneburg Geborenen
die Freude über die neue Herausforderung als Filmdarstellerin. In "Mein
Freund aus Faro" konnte sie gleich die Hauptrolle ergattern und hatte
berühmte Kollegen an ihrer Seite: Tilo Prückner ("Tatort"), Lucy Hollmann
("Die wilden Hühner") und Manuel Cortez ("Verliebt in Berlin").
Für Regisseurin Nana Neul, die mit dem Drehbuch den Max-Ophüls-Preis
gewann, war Strechel die Idealbesetzung. Dennoch hatte sie Sorgen, wie aus
der jungen Frau mit den langen Haaren und den blauen Augen die Hauptfigur
werden sollte. Schließlich ist Mel eine Heranwachsende, die sich wie ein
Junge kleidet, ihre schwarzen Haare kurz trägt und deshalb von der
14-jährigen Jenny problemlos für einen Portugiesen gehalten werden kann.
Mel verliebt sich in das Mädchen und stolpert in eine komplizierte
Beziehung zwischen Lüge und Leidenschaft. Immerhin ist es für sie, die in
einem Männerhaushalt aufgewachsen ist, die erste große Liebe.
Gerne wird die Handlung des Films als die Erzählung eines lesbischen
Coming-Outs gesehen. Doch Strechel findet, diese Sichtweise lasse einiges
außer Acht: "Ich bin über diese Interpretation immer ein bisschen traurig,
denn Mel hat das jetzt zwar erlebt, aber das heißt ja nicht, dass sie
plötzlich ihre Sexualität gefunden hat." Sie finde viel mehr, dass Mel an
der Erfahrung plötzlich gemocht zu werden und Liebe zu erfahren, reifer
geworden ist. "Und das gibt ihr die Chance, einen Neuanfang zu starten."
Strechel verleiht der Rolle keine süßliche Niedlichkeit, sondern zeigt
einen Menschen, der seinen Platz in der Gesellschaft noch sucht. Die
Schwierigkeiten spart sie dabei nicht aus. Mel geht hartnäckig ihren Weg,
nimmt sich ihren portugiesischen Arbeitskollegen Nuno als Vorbild, um vor
Jenny die Rolle des Miguel realistischer zu gestalten. Diese immer
geschickter werdende Täuschung bekommt der Kinobesucher wertungsfrei
vorgesetzt und darf sich so sein eigenes Bild machen.
Zum Ende des Films verliert der Zuschauer diesen Abstand dann, darf Mitleid
mit Mel empfinden, wenn sie von den Dorfjugendlichen verfolgt und
verprügelt wird. Bei der Hetzjagd durchs Maisfeld ist die Kamera ganz dicht
an ihr dran. Angst und Schmach sprechen aus den Augen Strechels, die ihre
Mittel effektiv zurückhaltend einzusetzen weiß. Eine außerordentliche
Leistung für ein Debüt.
Um so weit zu kommen, hat Strechel ihre Heimat Lüneburg verlassen und in
Hamburg an der Schauspielschule studiert. Dort arbeitete sie mit Regisseur
Andreas Kriegenburg bei dem Stück "White Trash" zusammen. "Es gab keine
richtige Textvorlage, nur Interviews und Arbeitsmaterial, sodass wir alles
selbst entwickelt haben", sagt sie im Rückblick. Sie bewundert die Arbeit
Kriegenburgs. Die mittlerweile in Osnabrück engagierte Strechel schätzt an
dem Regisseur, dass er genau die Stärken und Schwächen seiner Schauspieler
kennt.
In Osnabrück kann Strechel ihre schauspielerische Vielfältigkeit ausleben.
Ob als sportlich-hyperaktive, blonde Cheerleaderin in "Elektra" oder als
zwischen Melancholie und Rebellion changierende Recha in Lessings "Nathan
der Weise" - immer legt sie erstaunlichen Elan in ihre Rollen.
Beeindruckend auch ihr Auftritt in Claudius Lünstedts "Musst boxen": Hier
gibt sie ihrer Figur gekonnt einfühlsam und aufwühlend diese spezielle Form
der Traurigkeit, die schnell zu Aggression werden kann.
Auf das Theater will sie deshalb auch nicht verzichten - trotz
Filmkarriere. "Ich werde solange man es mir gönnt, immer wieder auf die
Bühne zurückkehren wollen", sagt Strechel am Petersburger Telefon. Dann
heißt es Koffer packen und auf zum Flughafen. Schließlich wartet der
Hauptjob in Deutschland auf sie.
6 Oct 2008
## AUTOREN
Heiko Ostendorf
## TAGS
Nachruf
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