# taz.de -- Hedgefonds-Manager ohne Arbeit: Aura im Pappkarton | |
> Timothy McCarthy war Hedgefonds-Manager in New York. Die Finanzkrise hat | |
> ihn auf die Straße katapultiert: Aber er hat sein Geld gerettet und | |
> möchte in die Finanzwelt zurück. | |
Bild: Nachhause gehen: Jetzt wird in die Freizeit investiert. | |
Timothy McCarthy kommt in letzter Zeit jeden Morgen hierher. Um zehn, wenn | |
die Herbstsonne ein wenig zu wärmen beginnt, setzt er sich auf die Bank | |
neben dem fußballfeldgroßen, mit Sägemehl ausgelegten Hundeauslauf des | |
Riverside Park, nimmt seinem kleinen Beagle Charlie die Leine ab und | |
schlägt einen 600-Seiten-Roman auf. Dann vertieft er sich in die Lektüre, | |
genießt die Ruhe um diese Uhrzeit, zu der nur ein paar Kindermädchen mit | |
ihren Schützlingen und ein paar joggende Studenten unterwegs sind. So lässt | |
er den Vormittag verstreichen. | |
McCarthy ist seit dem 17. September arbeitslos. Der Hedgefonds, für den er | |
in den vergangenen drei Jahren gearbeitet hat, ist während der ersten Woche | |
des großen Börsencrashs an der Wall Street pleitegegangen, weil die | |
Investoren kalte Füße bekommen haben. Seitdem übt sich McCarthy im | |
Müßiggang. "Ich habe sechs Jahre lang dreizehn, vierzehn Stunden am Tag | |
gearbeitet", sagt der 29 Jahre alte Financier. "Ich bin immer noch dabei, | |
mich zu erholen." Außerdem wüsste er auch gar nicht, was er im Moment tun | |
sollte. Jobs, auf die er sich bewerben könnte, gibt es im Finanzbereich in | |
New York ohnehin nicht. Im Gegenteil - bis Jahresende soll die Stadt | |
insgesamt 180.000 Finanzarbeitsplätze verloren haben. | |
McCarthy hatte das alles kommen sehen. Die Hedgefonds an der Wall Street | |
hatten schon das ganze Jahr über Probleme. Die sich immer klarer | |
abzeichnende Rezession hatte die Zahl der risikobereiten Investoren schon | |
zum Jahresbeginn schrumpfen lassen, und spätestens mit dem Bankrott von | |
Bear Stearns im März war klar, dass die fetten Jahre vorbei sind. Immer | |
mehr Fonds gingen kaputt, die übrigen mussten große Verluste hinnehmen. | |
"Mein Chef hat da keinen kühlen Kopf bewahrt", sagt Timothy. "Er ist nervös | |
geworden." Und so konnte sich Michaels Arbeitgeber nicht, wie viele andere | |
Hedgefonds, die vom September-Crash weniger hart getroffen wurden als die | |
Banken, über Wasser halten. Zwei Tage nach dem schwarzen Montag trug | |
Timothy die Habseligkeiten aus seinem Büro in einem Pappkarton nach Hause. | |
Wenigstens muss sich Tim vorerst finanziell noch keine Sorgen machen. "Ich | |
habe den Großteil meines Geldes rechtzeitig aus der Börse genommen. Ich bin | |
fast vollständig liquide", sagt er. Seine Frau, die auch bei einem | |
Hedgefonds arbeite, hat ihren Job nach wie vor. Ihre elegante Wohnung am | |
Riverside Drive können sie sich einstweilen noch leisten. Ihr Lebensstil | |
sei mit geringen Abstrichen gesichert. "Wir können noch ein paar Monate | |
weitermachen, ohne uns allzu den Kopf sehr zu zerbrechen", sagt er. Und bis | |
dahin werde sich schon etwas finden. | |
Eigentlich möchte McCarthy am liebsten im Finanzwesen bleiben. "Das ist nun | |
einmal mein Job", sagt er. Nichts, erläutert er weiter, könne er sich so | |
aufregend vorstellen, wie etwas über eine Branche oder ein Unternehmen | |
herauszufinden, was sonst noch niemand weiß, und was ihm einen | |
Millionen-Dollar-Vorsprung verschafft. In keinem anderen Job, glaubt er, | |
könne man derartige Hochgefühle entwickeln. Doch gleichzeitig sei da jedoch | |
auch die Angst, dass die Arbeit an der Wall Street nie mehr so sein wird, | |
wie sie einmal war. | |
Vielleicht gibt es den Job, der Timothy jahrelang seine täglichen Highs | |
verschafft hat, in Zukunft in dieser Form gar nicht mehr. Als Timothy Ende | |
der 90er-Jahre seinen Buchhalterjob an den Nagel hängte, um wieder zu | |
studieren, wusste er, dass er einmal bei einem Hedgefonds arbeiten wollte. | |
Sein Vorbild war Hedgefonds-Guru Jim Cramer, der in der Anfangszeit des | |
Phänomens mit seinem Fonds ein Vermögen gemacht und darüber den Bestseller | |
"Get Rich, Stay Rich, make your kids even richer" geschrieben hatte. Cramer | |
artikulierte den klassischen Wall-Street-Traum in seiner neuesten, | |
schicksten Form: Nach New York kommen, sehr schnell sehr reich werden, die | |
Welt erobern. Der Traum faszinierte nicht nur Generationen von jungen | |
Bänkern - er inspirierte auch Tom Wolfe zu seinem Romanhelden Sherman McCoy | |
in "Fegefeuer der Eitelkeiten" oder Oliver Stone zu seinem Filmhelden | |
Gordon Gekko, den Michael Douglas im 80er-Jahre-Klassiker "Wall Street" | |
spielte. | |
Seit dem 15. September haben diese Typen jedoch ihre faszinierende Aura | |
verloren. Es hat sich im Bewusstsein der amerikanischen Öffentlichkeit | |
festgesetzt, dass die rücksichtslose Gier der Wall Street nicht nur für den | |
Finanzcrash verantwortlich ist, sondern potenziell für den Absturz der | |
gesamten Wirtschaft. Zorn macht sich darüber breit, dass der Steuerzahler | |
für den Schaden aufkommen muss, den die Glücksritter von Lower Manhattan | |
angerichtet haben. Keine Wahlkampfrede kommt mehr ohne eine Tirade auf die | |
Wall Street aus und darüber, wie sie die brave "Main Street" bedrohe und | |
der Mittelschicht ihre Existenzgrundlage entziehe. Der Typus "Master of the | |
Universe", der seit den Zeiten von Tom Wolfe nicht nur die Wall Street, | |
sondern ganz New York beherrscht hatte, verschwindet dieser Tage auch ganz | |
wörtlich. Die Hedgefonds kämpfen ums Überleben, die Großbanken, die nicht | |
bankrott sind, haben ihren Investmentzweig eingestellt. Goldman Sachs und | |
Morgan Stanley werden brave Kundenbanken, denen vom Bund in Zukunft ganz | |
genau auf die Finger geschaut wird. Keine Zeitung in New York kam deshalb | |
in der vergangenen Woche ohne einen Nachruf auf eine zu Ende gehende Ära | |
aus: "Die Welt der überdimensionalen Egos, der rasend wachsenden Gewinne, | |
der immer größeren Yachten, schnelleren Autos und teureren Kunstsammlungen | |
ist nicht mehr", schrieb etwa die New York Times. | |
Nitin Gazahi hat sich schon auf das neue Zeitalter einstellen müssen. Der | |
34 Jahre alte gebürtige Inder arbeitete bis zum März dieses Jahres bei Bear | |
Stearns. Er war mitten drin im Private-Equity-Geschäft, dem Aufkauf und | |
Wiederverkauf von Firmen mit Unsummen Fremdkapital, das in den vergangenen | |
Jahren an der Wall Street als die heißeste Sache überhaupt galt. Noch 2007 | |
steckte der 8 Milliarden schwere Private-Equity-Mogul Stephen Schwarzman | |
400 Millionen Dollar ein und feierte an der Park Avenue die protzigste | |
Geburtstagsfete, die New York seit langem gesehen hatte. Fünf Millionen | |
kostete die Extravaganza, davon ging allein eine Million für den | |
30-Minuten-Auftritt von Rod Stewart drauf. | |
Das Private-Equity-Geschäft ist seitdem ebenso erlahmt wie alles andere im | |
Finanzwesen, die Aktien von Schwarzman sind in den Keller gegangen. Gazahi | |
arbeitet jetzt bei einer wesentlich kleineren Firma, seit er bei Bear | |
Stearns seinen Job verlor. "Ich mache technisch gesehen immer noch | |
dasselbe", sagt er. Firmen analysieren, aufkaufen und sanieren nämlich. In | |
Wirklichkeit habe das aber "nichts mehr mit dem zu tun, was wir bei Bear | |
gemacht haben". Es gehe schon lange nicht mehr darum, möglichst schnell | |
Firmen weiterzuverkaufen und dabei einen schnellen und möglichst hohen | |
Profit herauszuschlagen - die Spekulation stehe schon lange nicht mehr im | |
Vordergrund: "Die Zeiten sind vorbei." Was Gazahi jetzt macht, gleicht eher | |
klassischer Unternehmensberatung: "Wir kaufen Firmen in Not, die aber | |
Potenzial haben, und helfen ihnen auf die Beine - ernsthaft auf die Beine | |
und nicht nur für den raschen Gewinn". Ein zeitgemäßes Business. | |
Bei der nächsten Wall-Street-Generation hat das "Master of the | |
Universe"-Vorbild anscheinend von vornherein ausgedient. Wenn man in den | |
Krisenwochen mit Business-Studenten in New York spricht, hat man eher das | |
Gefühl, sie gehören zur Generation Obama als zur Generation Gordon Gekko. | |
Don Baxter etwa, Studentensprecher der Columbia Business School, sagte in | |
der vergangenen Woche: "Es gibt hier nur wenige, die nur darauf aus sind, | |
ein schnelles Vermögen an der Wall Street zu machen. Und die müssen sich | |
jetzt ohnehin neu orientieren. Die meisten Studenten hier sehen die jetzige | |
Situation als Chance, am Aufbau von etwas Neuem mitzuwirken. Sie wollen ein | |
besseres, moralischeres System schaffen und die Fehler der Vergangenheit | |
vermeiden." | |
Tim McCarthy hingegen hofft noch immer, das alles wieder so wird, wie es | |
einmal war. "Die Wall Street kommt schon wieder", redet er sich ein, | |
während er seinen Charlie streichelt, der ihm übermütig auf den Schoß | |
gesprungen ist. "Es wird wieder Gelegenheiten und Chancen geben, auch wenn | |
das eine Weile dauert." Damit klappt er sein Buch zu, packt sich Charlie | |
und entschuldigt sich. Er sei mit einem alten Geschäftskontakt zum | |
Mittagessen verabredet. Networking. Für alle Fälle. | |
8 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Moll | |
## TAGS | |
Investmentbanking | |
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