# taz.de -- Debatte Buchhandel im Wandel: Lesen, Hören, Schauen | |
> Der Buchhandel befindet sich im radikalen Umbruch. Die Buchhandlungen | |
> müssen darauf reagieren, indem sie sich zur Qualitätsadresse für | |
> Kunstwerke aller Art wandeln. | |
Bild: Wer liefert, und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Buchladen, Schwerin,… | |
Der Buchhandel in Deutschland wandelt sich so rasch, dass man kaum noch | |
mitkommt. War vor wenigen Jahren noch in jeder größeren Stadt mindestens | |
ein sehr dunkler, mit Büchern bis oben hin vollgepackter Buchladen zu | |
finden, in denen grummelige ältere Damen und Herren das Reich der Bücher | |
gegen das unterhaltungssüchtige Publikum verteidigten, so dominieren nun | |
weitläufige Großflächenbuchhandlungen mit reduzierter Titelanzahl das Bild. | |
In diesen sind längst nicht nur Bücher zu finden - auch edle Papiere, | |
Kuscheltiere, Hörbücher, DVDs und allerlei Kram gehören heute zum | |
Sortiment. | |
Auf der anderen Seite gibt es in großen Städten heute ganze Stadtteile, in | |
denen sich keine einzige Buchhandlung mehr findet. Das Buch ist kein | |
unbedingtes Lebensmittel mehr. Wer es dennoch nötig hat, fährt in die | |
Innenstadt, wagt sich in die Shoppingmalls am Stadtrand oder bedient sich | |
im Internet. | |
Bald wird sich der Buchhandel noch radikaler wandeln. Die diesjährige | |
Frankfurter Buchmesse wird ganz klar von Electronica geprägt werden. Dort | |
werden Maschinen vorgestellt, mit deren Hilfe man sich die Bücher, die man | |
kaufen will, die aber nicht vorrätig sind, im Internet durchblättern kann, | |
bevor man sie bestellt. Eine andere Maschine wird ebenfalls Furore machen: | |
Sie ist einigermaßen kompakt, und druckt gesuchte Bücher auf Bestellung | |
direkt im Buchladen aus. | |
Nicht wenige dieser Maschinen wird man demnächst dort finden, wo mehr | |
verkauft wird als Bestseller: in Universitätsbuchhandlungen etwa. Sony | |
schließlich - und vielleicht auch der Internetbuchhändler Amazon - stellen | |
ihre elektronischen Lesegeräte vor, die, da sie den Augen nicht schaden und | |
nicht flimmern, den E-Buch-Markt auch hierzulande revolutionieren werden. | |
So, wie sie es in den USA jetzt schon tun. Daneben präsentieren sich dann | |
wieder Internetportale wie tubuk.com, die gezielt Weniges anbieten, um so | |
einen überforderten Publikum per redaktioneller Vorauswahl den Einkauf | |
erleichtern. | |
Da ist es nur konsequent, dass sich die Verlage ebenfalls umstellen. | |
Suhrkamp etwa ist einer der ersten namhaften Verlage, die nun einige Bücher | |
als Print-on-Demand-Version anbieten. Für Wissenschaftstitel könnte das die | |
Zukunft sein. Zugleich startet der gleiche Verlag seine "filmedition | |
suhrkamp". Hier ist die DVD das Hauptwerk - das bedruckte Papier ist eine | |
Dreingabe, ein Booklet, kein Buch. | |
Mit der Eröffnung einer solchen Edition ist Suhrkamp der Vorreiter unter | |
den Verlagen. Doch Filme auf DVD haben es schon längst in die | |
Buchhandlungen geschafft - man denke nur an die Editionen von Süddeutsche | |
und Focus. Auch andere Verlage interessieren sich zunehmend für diesen | |
Datenträger. Bald wird überall, neben dem Buch zum Film, auch der Film zum | |
Buch angeboten. Firmen wie Edel oder JPC etwa bauen bereits | |
Multimediaregale in Buchhandlungen auf. Klar, dass die Verlage da mitziehen | |
- auf diese Weise können sie auch das oft gleichfalls existierende | |
filmische Werk ihrer Autorinnen und Autoren gleich mit vertreten. | |
Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit diese Entwicklung nicht eine | |
Bankrotterklärung der Buchhändlerinnen und Buchhändler darstellt. Wollten | |
sie nicht Bücher, mithin Literatur verkaufen? Wollten sie nicht Wissen | |
horten und vermitteln? Seit Jahren wird das Profil der Buchhandlungen | |
aufgeweicht. Warum nicht auch kitschige Plastikfiguren mit den | |
"Diddl"-Büchern verkaufen? Warum nicht Wein, wo doch Wein den Geist | |
beflügelt? Die Buchhandlungen haben sich gewandelt, bevor sie es gemerkt | |
haben. Ist es jetzt zu spät? Vielleicht. Die Frage muss allerdings lauten: | |
Zu spät wofür? | |
CDs haben schon längst in jeder noch so klassischen Buchhandlung Eingang | |
gefunden, zumindest die sogenannten Hörbücher. Und Hörbücher sind | |
tatsächlich eine angemessene, oft auch konservative Umsetzung von Texten in | |
ein anderes Medium, sie sind der Literatur sehr nahe. Außerdem können | |
Hörbücher jene erreichen, die aufgrund eines Handicaps nicht lesen können | |
und trotzdem auf Musil, Bachmann oder Bukowski nicht verzichten mögen. Der | |
Film dagegen ist ein sehr eigenes Medium, das volle Aufmerksamkeit benötigt | |
und alle Sinne. Und, so meinen einige Kritiker, auch nicht selten alle | |
Sinne betäubt. Ist der Siegeszug der DVD denn wirklich mehr als nur eine | |
Expansion des Fernsehprogramms in die Buchregale? Tatsächlich ist zu | |
überlegen, inwieweit es wirklich sinnvoll ist, kostbare und heißumkämpfte | |
Regalmeter für DVDs freizumachen, auf denen drittklassige Making-ofs | |
drittklassiger Daily Soaps gespeichert sind. | |
Diese Bedenken sind wichtig. Dennoch sollte man das "Hörundsehbuch", sollte | |
man die aufwendig verpackte DVD, die anspruchsvolle Dokumentar-, Trick-, | |
Kurz- und nicht zuletzt Spielfilme birgt, keinesfalls aus den | |
Buchhandlungen fernhalten wollen. Im Gegenteil. Zum einen lehrt uns der | |
Altmeister Jean-Luc Godard, dass man über Film vor allem im Film sprechen | |
kann. Heißt: Der Film selbst ist eine sinnvolle Ergänzung zum gedruckten, | |
erklärenden Filmbuch. Ohnehin ist es dringend nötig, sich um die | |
Autorenfilme zu kümmern, die mehr sind als ein bebildertes Drehbuch. Diese | |
aber werden in herkömmlichen Videotheken nur selten präsentiert. Zum | |
Dritten wird der Buchhandel auf diese Weise zum Refugium für anspruchsvolle | |
Kunstwerke - zum Lesen, Hören und Schauen. Eine Kulturtankstelle für das | |
intellektuell Anspruchsvolle, wie die Marketingabteilung sagen würde. | |
Eine Qualitätsadresse für alle möglichen Kunstwerke im Zeitalter ihrer | |
technischen Reproduzierbarkeit zu werden - das ist nicht die schlechteste | |
Zukunftsaussicht für den Buchhandel. Eine andere als diese Zukunft hat sie | |
ohnehin - gerade im ländlichen Raum - nicht. | |
Nur in Ballungsgebieten kann sich vereinzelt eine - nennen wir sie einmal | |
so - belletristische Fachbuchhandlung halten, deren überschaubare | |
Kundschaft am Verkaufstresen Belesenheit und Gespräche erwartet. Der Rest | |
muss sich wandeln, so wie die Kunden sich gewandelt haben. Es reicht für | |
Buchhändlerinnen und Buchhändler nicht, darüber zu lamentieren, dass die | |
Post die Pakete des größten Internetbuchhändlers im Laden abgibt, und diese | |
später von verschämten Nachbarn abgeholt werden. Ja, man hat die gleichen | |
Bücher für denselben Preis im Laden oder kann sogar früher liefern, wenn | |
man bestellt. Aber abends und nachts ist die Buchhandlung für den Käufer | |
halt zu. | |
Das muss man akzeptieren. Und sich dagegen rüsten: mit guten Filmen, guten | |
CDs, vielleicht auch gutem Wein. Denn Buchhandlungen als Kulturkaufhäuser | |
haben immer noch den Vorteil, dass man in ihnen beraten wird und dass man | |
anfassen kann, was einen interessiert. Das Internet mit seiner | |
Angebotsbreite ist dazu kaum eine Konkurrenz. Denn auch in dreißig Jahren | |
werden Computerprogramme nicht die guten Bücher, Filme oder CDs von den | |
schlechten unterscheiden können. | |
13 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Jörg Sundermeier | |
## TAGS | |
Buchhandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Verschiebungen im Zwischenbuchhandel: And the winner is: Amazon | |
Schwieriges Weihnachtsgeschäft für den Buchhandel und die Kleinverlage: Im | |
Zwischenhandel wird das Angebot mehr und mehr eingeschränkt. |