# taz.de -- Rückgrat der Slawen: Bei den Donkosaken | |
> Der Mythos vom mutigen Kämpfer lässt sich am besten im Museum von | |
> Starotscherkassk studieren. Denn Gesang und Händeklatschen sind oft nur | |
> noch Folklore. | |
Bild: Studenten der Kosaken-Militärakademie in Rostow | |
Sergei Lenik fixiert sein Gegenüber mit stechendem Blick. Der 30-Jährige | |
ist Ataman der 90.000 Einwohner zählenden Stadt Asow und gleichnamigen | |
Region und damit der ranghöchste Donkosak in diesem Teil Südrusslands. Er | |
trägt einen dunkelblauen Anzug, hat halblange aschblonde Haare, einen Bart | |
und offensichtlich wenig Lust auf ein ausführliches Gespräch. Dann lässt er | |
sich aber doch zu ein paar Sätzen herab. „Wir sind die Ureinwohner des | |
Gebiets am Don und das Rückgrat der Slawen. Die Kosaken sind die am besten | |
organisierte Kraft, die immer bereit war, ihr Land zu verteidigen“, sagt er | |
selbstbewusst. Dann folgt eine kurze Einführung in Sachen Familie, die an | |
Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. „Das Wichtigste im Leben eines | |
Kosaken ist die Familie. Dort ist der Mann die herausragende | |
Persönlichkeit.“ Jungen würden zu Kämpfern ausgebildet, Mädchen auf ihre | |
Rolle als Mutter und Hausfrau vorbereitet. Er selbst, sagt der Ataman, der | |
Jura und Ökonomie studiert hat und auch noch als Abgeordneter im | |
Stadtparlament sitzt, wolle einmal sieben Kinder haben. Schließlich gelte | |
es, Kultur und Traditionen zu bewahren. Damit Junge, aber auch Alte nicht | |
auf Abwege gerieten, habe er per Erlass ein striktes Rauch- und Trinkverbot | |
verfügt. | |
Ein paar Meter entfernt vor einem kosakischen Restaurant wird eine Hand | |
voll ausländischer Touristen gerade mit den landestypischen | |
Hochzeitsbräuchen bekannt gemacht. Frauen in bunten und prächtig bestickten | |
Kleidern und Männer in schwarzen Lederstiefeln und blauen Uniformen mit | |
roten Streifen umringen eine blumenbekränzte Braut, die unter dem Ruf | |
„Ljuba, ljuba!“ („Einverstanden!“) der Anwesenden ihres Gesichtsschleie… | |
entledigt und zu ihrem künftigen Mann geführt wird. Ein etwa fünfjähriges | |
taubstummes Mädchen, das sich ebenso wie die Erwachsenen herausgeputzt hat, | |
klammert sich ängstlich an seine Lehrerin. Der Ataman streichelt der | |
Kleinen liebevoll über den Kopf. | |
„Jetzt, da wir nicht mehr hauptsächlich kämpfen, nehmen wir andere Aufgaben | |
wahr. Wir fördern junge Familien und helfen ihnen dabei, Arbeit zu finden. | |
Wir unterstützen Waisenhäuser, Kindergärten und Schulen für Behinderte“, | |
sagt er. Und fügt hinzu: „Alles in allem sorgen wir hier für Ordnung.“ | |
Nur 20 Autominuten von Azow entfernt liegt auf einer kleinen Insel mit | |
Starotscherkassk eines der bedeutendsten Zentren des Donkosakentums. 1570 | |
gegründet, war Starotscherkassk von 1644 bis 1805 Hauptstadt der | |
Donkosaken. Heute leben in der Stanitsa, was so viel wie Dorf bedeutet, | |
2.500 Menschen. Der Ort wirkt wie ausgestorben. Nur ein alter Mann mit | |
einer Plastiktüte schleppt sich mit großer Mühe den Weg entlang. Links und | |
rechts der makellos gepflasterten Straßen und gepflegten Grünanlagen | |
erheben sich auf hohen Steinfundamenten zweistöckige, weiß getünchte Häuser | |
mit grünen Dächern, bunt bemalten Fensterläden und kunstvoll geschnitzten | |
Balkonen, die Kuren. Diese Bauweise sollte die Bewohner vor den | |
Wassermassen des Don, der häufig über die Ufer trat, schützen. Dem gleichen | |
Zweck diente ein Netz kleiner Abflusskanäle, die den Ort durchzogen und | |
Starotscherkassk den Namen Don-Venedig einbrachten. | |
Dominiert wird das Zentrum von der zwischen 1706 und 1719 auf Geheiß Peters | |
I. erbauten Auferstehungskathedrale. Mächtig erhebt sich das weiße Bauwerk | |
mit fünf grünen Zwiebeltürmen, das ebenfalls auf einem hohen Fundament | |
ruht, in den Himmel. In der Kathedrale befinden sich eine Ikonostase, die | |
aus 125 hölzernen Ikonen des 18. Jahrhunderts besteht, zahlreiche Gemälde, | |
die Geschichten aus der Bibel nacherzählen, sowie zwei riesige Leuchter im | |
Barockstil. Auf dem quadratischen Platz vor der Kathedrale versammelten | |
sich einst die männlichen Kosaken, um in den Krieg zu ziehen, ihren Ataman | |
zu wählen oder ihr Einverständnis zu Hochzeiten und Scheidungen zu geben. | |
Linker Hand auf dem Platz vor der Kirche sind schwere Eisenketten im Boden | |
verankert. In diesen Ketten wurde der aufständische Kosakenführer Stepan | |
Razin 1671 nach Moskau gebracht und dort hingerichtet. Bis heute dienen die | |
Ketten als Warnung an seine Nachfahren. Im weißen Glockenturm gleich | |
daneben schmachteten einst Gefangene unter unmenschlichen Bedingungen in | |
den Kellerverliesen. | |
Galina Astanenko, Geschichtslehrerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin | |
des Museums, führt ihre Besucher mit Leidenschaft durch die Anlagen und | |
Ausstellungssäle, die mit Waffen, Porträts der Kosaken-Atamane und einer | |
schier unendlichen Anzahl von Kleidungsstücken und Gebrauchsgegenständen | |
der Kosaken aus dem 16. bis 18. Jahrhundert bestückt sind. Ausführlich | |
berichtet die mollige 56-Jährige, die in einer Strickjacke und einem | |
knöchellangen Rock steckt, über den damaligen Alltag der Kosaken, ihre | |
Bräuche und Traditionen. Aber auch die weniger ruhmreichen Perioden spart | |
sie nicht aus. Da viele Kosaken erklärte Gegner der Bolschwiken waren, ließ | |
Stalin sie deportieren. Auch Astanenkos Großmutter mütterlicherseits | |
entging diesem Schicksal nicht. Sie wurde in den Ural verschleppt und | |
durfte erst Anfang der 50er-Jahre in ihre Heimatregion im Rostower Gebiet | |
zurückkehren. Bis heute sei die Frage strittig, ob die Kosaken eine eigene | |
Ethnie oder eine Volksgruppe seien, sagt Astanenko, die ein Buch über die | |
berittenen Krieger geschrieben hat. Sie neige eher der zweiten Variante zu, | |
die Sprache der Kosaken sei ein Dialekt des Russischen. „Mir geht es vor | |
allem darum, unsere Traditionen und Kultur an meinen Sohn weiterzugeben“, | |
sagt Galina Astanenko. Das bedeute aber nicht, sich sklavisch an alte | |
Regeln halten zu müssen. „Mädchen brauchen eine gute Ausbildung. Was der | |
Ataman dazu meint, ist mir egal, er spielt für mich und meine Familie keine | |
Rolle“, sagt sie. | |
Bemühungen der Gebietsverwaltung, künftig noch mehr Touristen nach | |
Starotscherkassk zu bringen - 2007 fanden rund 120.000 Besucher den Weg | |
hierher -, steht Astanenko positiv gegenüber. Schließlich gebe es hier eine | |
Menge zu sehen. „Wir brauchen mehr Touristen. Davon kann doch unser Dorf | |
nur profitieren“, sagt sie. | |
Das sieht auch Ljubow Bytschkowa so. Die Künstlerin mit einem grauen Zopf | |
bewohnt ein weißes, verwinkeltes Häuschen mit einem Holzdach genau | |
gegenüber der Museumsanlage, „meine Datscha“, wie sie sagt. In einem | |
Fenster warten kleine Keramiken - darunter Kosakenmänner und -frauen in | |
traditioneller Tracht, Tiere, Dosen und Schalen - auf Käufer. Über einem | |
Zaun hängen kunstvoll gewebte Wandteppiche und Gobelins ebenfalls mit | |
Motiven aus dem Leben der Donkosaken. Einige dieser Kleinode, für die die | |
Kunsthandwerkerin drei bis vier Monate braucht, seien von Ausländern | |
gekauft worden und befänden sich jetzt in Frankreich und Deutschland, | |
berichtet Bytschkowa. Zwar kämen jetzt mehr Touristen nach | |
Starotscherkassk, was gut sei, aber sie kauften weniger, „wahrscheinlich, | |
weil sie schon alles haben“. Für sie selbst werde es immer schwieriger, das | |
Leben sei teuer geworden und die Inflation nehme zu. Doch obwohl Bytschkowa | |
auf zahlungskräftige Touristen angewiesen ist, steht sie den jüngsten | |
Entwicklungen auch skeptisch gegenüber. „Haben Sie gesehen, wie die Straßen | |
neu gemacht sind? Das hat nichts mehr mit dem Stil der Kosaken zu tun“, | |
sagt sie vorwurfsvoll. Alte Häuser würden nicht mehr instand gesetzt, das | |
sei zu aufwendig. Dafür würden neue gebaut. „Die alte Stadt stirbt | |
langsam.“ | |
Der geplante Golfplatz in nur wenigen Kilometern Entfernung werde zwar neue | |
Arbeitsplätze schaffen, der traditionsreiche Ort darüber aber weiter an | |
Authenzität einbüßen. Die versucht man in dem Restaurant „Alte Stadt“ zu | |
erhalten. In den traditionell eingerichteten Räumen mit rustikalen | |
Holzmöbeln und Säbeln an der Wand werden so illustre Speisen wie die Salate | |
„Hut des Atamans“, „Schütze“ und „Granate“ gereicht. | |
Nach dem Mittagsmahl wartet der Höhepunkt des heutigen Tages: Die | |
Fremdlinge sollen in die Gemeinschaft der Kosaken aufgenommen werden. Im | |
Festsaal des Museums ist bereits alles vorbereitet. Rund zwei Dutzend | |
Männer und Frauen in traditioneller Kosakentracht haben sich in einem Kreis | |
aufgestellt. Unter Gesang, Händeklatschen und „Ljuba, ljuba“-Rufen wird der | |
erste männliche Gast nach vorne gebeten. Dann verliest der Oberste die | |
persönliche Charakteristik des Neuzugangs und überreicht ihm die Urkunde - | |
samt einer Peitsche, wohl zur Lösung etwaiger Meinungsverschiedenheiten mit | |
seiner Frau. „Hiermit bist du in die Gemeinschaft der Kosaken aufgenommen. | |
Du hast jetzt alle Rechte, aber keine Verpflichtungen“, donnert der | |
Kosakenführer. Derweil kreist ein hochprozentiger Schnaps, der mit jeder | |
weiteren Runde die Knie der weniger Routinierten weich werden lässt. Nach | |
den Männern sind auch die Frauen dran. In einer der Urkunden steht: „Die | |
hier anwesende glorreiche Frau, von göttlicher Schönheit, bedeutender | |
Anmut, scharfem Verstand, fast wie der eines Mannes, mit einem eisernen | |
Griff und einer wunderschön wohlklingenden Rede, wird in die Gemeinschaft | |
der Starotscherkassker Kosaken aufgenommen.“ Eine Peitsche erhält die | |
derart Geadelte nicht. | |
Diese Reise wurde durch die Verwaltungs des Rostower Gebiets ermöglicht und | |
von der Reiseagentur Saga Voyages in Rostow am Don organisiert. Weitere | |
Informationen unter: [1][www.sagavoyages.ru] | |
[2][http://www.sagavoyages.ru/] | |
18 Oct 2008 | |
## LINKS | |
[1] http://www.sagavoyages.ru/ | |
[2] http://www.sagavoyages.ru/ | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
## TAGS | |
Reiseland Russland | |
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