| # taz.de -- Region setzt auf regenerative Energien: Das Leben nach der Atomener… | |
| > Seit drei Jahren ist das AKW Obrigheim vom Netz und wird allmählich | |
| > abgebaut. Die Region will zeigen, dass regenerative Energien den | |
| > wirtschaftlichen Verlust ausgleichen können. | |
| Bild: Wandel im Ländle: Erst kommen die Kühe, demnächst auch ein Biomassekra… | |
| OBRIGHEIM taz Einem neuen Kernkraftwerk, dem würde er sich nicht | |
| entgegenstellen, sagt Roland Lauer. Er ist der Bürgermeister von Obrigheim, | |
| jener 5.000-Seelen-Gemeinde zwischen Neckar und Odenwald in | |
| Baden-Württemberg, in der im Jahr 1968 zum ersten Mal ein kommerzielles | |
| Atomkraftwerk Strom ins Netz der Bundesrepublik Deutschland einspeiste. Im | |
| Jahr 2005 wurde es abgeschaltet - und mit ihm eine der größten | |
| Einnahmequellen und Arbeitgeber des Landkreises und der umliegenden | |
| Gemeinden. | |
| Die Geschichte wird sich, bleibt es beim Atomausstieg in Deutschland, noch | |
| an 17 weiteren Standorten von Atomkraftwerken wiederholen: In Obrigheim | |
| brachen 90 Prozent der Gewerbesteuer-Einnahmen weg, 3 Millionen Euro im | |
| Jahr, 15 Prozent des Gemeindebudgets. Von den einstmals 800 Mitarbeitern im | |
| Kraftwerk sind noch 180 vor Ort, um den Rückbau des Kraftwerkes bis zum | |
| Jahr 2020 zu bewerkstelligen, dessen erste Phase jetzt vom Bundesamt für | |
| Strahlenschutz genehmigt ist. 300 indirekte Arbeitsplätze sind außerdem | |
| weggefallen, vor allem im Handwerk: Maurer, Gipser, Bäcker, die einfache | |
| Wartungen und die Versorgung des Kraftwerks vornahmen. "Die Gemeinden | |
| trauern dem Kraftwerk hinterher", sagt Peter Keller, Bürgermeister der | |
| Gemeinde Binau, die vom anderen Neckarufer einen Blick auf den Reaktor | |
| bietet. Nun will der Landkreis zum Beispiel werden, wie regenerative | |
| Energien Kaufkraft und Arbeitsplätze in ländliche Regionen zurückbringen. | |
| In Obrigheim ist der Wandel vor Ort zu sehen: Direkt vor dem Atomkraftwerk | |
| hat die Gemeinde ein Biomassekraftwerk gebaut, im Hintergrund ragt noch die | |
| Betonkuppel des Reaktors in die Höhe. Seit er abgeschaltet ist, fließen 150 | |
| bis 200 Millionen Euro Kaufkraft im Jahr aus dem Landkreis in Form von | |
| Energiekosten ab, rechnet CDU-Landrat Achim Brötel vor. Er will den Strom | |
| für den Neckar-Odenwald-Kreis wieder lokal erzeugen, später den Landkreis | |
| zum Exporteur von Bioenergie machen und stellt eine Vergleichsrechnung auf: | |
| Im Landkreis Kaiserslautern könnten allein durch das Dämmen von Häusern | |
| oder durch den Einbau neuer Heizungen wie bodennahe Geothermie | |
| Investitionen von über 2 Milliarden Euro entstehen. Das ergab eine Studie | |
| der Fachhochschule Trier. Das Geld würde hauptsächlich dem Handwerk aus der | |
| Region zugutekommen, erklärt Brötel, dessen Landkreis an zwei | |
| Biomassekraftwerken beteiligt ist. | |
| Für die Gegner des Atomkraftwerks ist sein Verschwinden ohnehin ein Segen: | |
| So galt es beispielsweise als nicht ausreichend geschützt gegen den Absturz | |
| von Militärmaschinen. Vor einigen Jahren ermittelte die Staatsanwaltschaft | |
| Mosbach, weil das Kraftwerk zehn Jahre lang immer wieder angefahren wurde, | |
| obwohl der Füllstand in einem der Flutbehälter des Notkühlsystems nicht | |
| ausreichend war. Die Diskussionen sind zu Ende, doch mit den Resten des | |
| Kraftwerkes wird der Landkreis noch einige Jahre leben müssen. Der | |
| Stromkonzern Energie Baden-Württemberg (EnBW) lagert 15 Castorbehälter mit | |
| Brennelementen in einem Nasslager auf dem Gelände. | |
| Vergangene Woche ging eine Anhörung des Bundesamtes für Strahlenschutz zu | |
| einem neuen, günstigeren Trockenlager zu Ende, das bis zu 40 Jahre | |
| betrieben werden kann. Insgesamt 900 Einwände haben Bürger vorgebracht. | |
| Verhindern will das Zwischenlager keiner, man habe von dem Kraftwerk | |
| profitiert, also solle auch der Müll bis zur Endlagerung vor Ort bleiben, | |
| so die Haltung des Aktionsbündnisses Atommüll-Lager Obrigheim. | |
| Die Bürger sorgen sich vielmehr darüber, ob die Castoren dicht bleiben, ob | |
| die geplante 35 Meter lange Stahlbetonhalle ausreichend Schutz vor Bränden, | |
| abstürzenden Flugzeugen oder Erdbeben gewährt. Ein erster Antrag von EnBW | |
| hat nicht eben für Vertrauen gesorgt. Der Stromkonzern wollte eine | |
| Genehmigung dafür, die Castoren für 40 Jahre in jeweils separate | |
| Betongaragen zu verfrachten - das aber lehnte die Reaktorschutzkommission | |
| als zu unsicher ab. Normalerweise werden diese günstigen Lager nur als | |
| Interimslösung für sechs Jahre zugelassen. Wann der Strahlenmüll | |
| schließlich in ein Endlager gebracht wird, ist unklar, weil es noch keines | |
| gibt. Erst dann wäre das Obrigheimer Atomzeitalter zu Ende. | |
| 17 Oct 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arzt | |
| Ingo Arzt | |
| ## TAGS | |
| Michael Kretschmer | |
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