# taz.de -- Comedian Oliver Polak: "Soll ich jetzt der Jude sein?" | |
> "... oder der verfickte deutsche Nazi?" Oliver Polak ist | |
> Stand-up-Comedian und Fan der Band "Motorpsycho". Und Sohn der einzigen | |
> jüdischen Familie in Papenburg. Ein Gespräch über Tabus, jüdische | |
> Identität und passende Deckel. | |
Bild: "Ich gehe schon ab und zu in die Synagoge": Oliver Polak. | |
taz: Ihr Buch heißt: "Ich darf das, ich bin Jude". Was dürfen Sie denn, | |
Herr Polak? | |
Oliver Polak: Das ist nicht ganz so gemeint. Als ich als Stand-up-Comedian | |
angefangen habe, hatte ich die Wahl, eine Figur spielen oder mich selber | |
als Basis zu nehmen. Ich habe mich fürs Zweite entschieden: Mein Name ist | |
tatsächlich Oliver Polak, ich bin Jude und ich komme aus dem Emsland. Dann | |
kamen nach Auftritten immer häufiger Leute und sagten: Ja, du darfst das | |
machen, ich dürfte das nie. Ich habe ihnen immer geantwortet: Klar dürftest | |
du das auch. Schließlich habe ich es als Titel genommen. Fand ich komisch. | |
Das Titelbild ist eindeutig als Provokation angelegt: Sie stehen neben | |
einem Schäferhund, der eine SS-Mütze auf dem Kopf und einen Davidstern um | |
den Hals trägt. | |
Es ist sogar eine Waffen-SS-Mütze. Der Schäferhund trägt sie, weil er kein | |
deutscher Schäferhund sein soll, sondern ein böser deutscher | |
Nazi-Schäferhund. Ich habe ihm eine Kette mit dem Davidstern umgelegt, um | |
symbolisch zu zeigen, dass das Judentum vielleicht doch stärker ist als der | |
Nationalsozialismus. Das Ganze soll die Irrungen und Wirrungen im Buch | |
widerspiegeln. | |
Am kritischsten sind Sie im Buch nicht mit den nicht-jüdischen | |
Papenburgern, unter denen Sie aufgewachsen sind, sondern mit Ihrer sehr | |
dominanten Mutter. | |
Finden Sie? | |
Ja. | |
Also sie hat das Buch gelesen und konnte herzlich drüber lachen. Sie hat | |
mich nur gefragt: "Warum hast du geschrieben, dass ich mit 42 Abitur | |
gemacht habe - das ist doch totaler Blödsinn." Und als ich ihr sagte: "Du | |
musst dich darauf einstellen, dass dich die Papenburger auf das Buch | |
ansprechen werden", hat sie zu mir gesagt: "Oliver, ich bin schon mit ganz | |
anderen Sachen fertig geworden." | |
Wie waren denn bislang die Reaktionen? | |
Ich weiß es gar nicht, weil meine Eltern gerade im Urlaub sind. Meine | |
Mutter hat vorher nur noch gesagt, dass sie hofft, dass hinterher nicht der | |
Kinderschutzbund vor der Tür steht. Der Verlag sagt, dass ziemlich viele | |
Bücher verkauft wurden. Zwei Juden haben es bislang gelesen: Henryk M. | |
Broder, der es ganz lustig fand, und eine Freundin von mir, die es auch | |
ganz lustig fand. Viele nicht-jüdische Freunde von mir haben auch drüber | |
gelacht. | |
Wenn man es liest, hat man den Eindruck, dass Ihr Schuldesaster, die | |
Auseinandersetzungen mit Ihrer Mutter und die Begeisterung für den Zirkus | |
für Ihre Kindheit eigentlich wichtiger waren als das Jüdisch-Sein. | |
Ich bin Deutscher und ich bin Jude. Ich bin Komiker und Musikmanager, ich | |
mag Alf und bin Fan von "Motorpsycho" - das Jüdische wird an einen über die | |
Eltern herangetragen, soweit jüdisches Leben in einer Kleinstadt wie | |
Papenburg überhaupt möglich ist, wo alles ausgelöscht wurde. Man kriegt es | |
irgendwie mit, aber nicht in der vollen Dröhnung, so als wäre ich in Berlin | |
oder Frankfurt groß geworden. Aber wenn Sie mich fragen: Wozu hast du mehr | |
Bock: nach Israel oder ins Disneyland zu fahren, dann würde ich | |
wahrscheinlich sagen Disneyland. Als Kind war das Jüdisch-Sein für mich | |
wahrscheinlich noch wichtiger als heute in Berlin. | |
Spielt es für Sie zur Zeit überhaupt eine Rolle? | |
Ich gehe schon ab und zu in die Synagoge, aber eher in Dortmund, wo ich | |
auch Verwandte habe, als in Berlin. Vor allem darf ich da auch mit meiner | |
Jogging-Hose zur Tora hochgehen. | |
Lebhaft werden Sie, als es um den Zentralrat der Juden geht. Das wirkt wie | |
eine geradezu leidenschaftliche Antipathie, wenn Sie schreiben: "Wenn ich | |
mal schlecht gelaunt oder deprimiert bin, dann google ich die aktuellen | |
Pressemitteilungen des Zentralrats der Juden. Und dann geht es mir gleich | |
besser, weil ich sehe, dass ich im Vergleich doch gar nicht so mies drauf | |
bin." | |
Das ist Interpretationssache. Ich weiß, warum es den Zentralrat gibt und | |
ich finde es auch wichtig, dass es ihn gibt. Aber ich habe mir gedacht: Man | |
muss trotzdem nicht immer so mies drauf sein und man könnte eine andere | |
Kommunikation wählen. | |
Es gibt ja eine gewisse Tradition im Tabubruch der deutschsprachigen | |
jüdischen Literatur, allen voran Edgar Hilsenrath mit "Der Nazi und der | |
Friseur". Haben Sie das gelesen? | |
Nein, ich lese relativ wenig. Ich kenne den Titel, er soll gut sein, aber | |
ich habe ihn nicht gelesen. | |
Sie sehen sich also nicht in einer Tradition? | |
Nein, das ist eher das, was mich wütend macht: dieser Versuch, auf mich | |
einen Deckel draufzusetzen. Im Buch gibt es doch ebenso ein Kapitel über | |
"Motorpsycho" und Steffi von der Band "Silbermond" und den Zirkus. Ich habe | |
mir den Titel "Deutschlands einziger jüdischer Stand-up-Komiker" nicht | |
gegeben. Aber ich will mich dafür nicht instrumentalisieren lassen. Ich | |
habe auch keinen Bock, immer wieder gefragt zu werden: Darfst du das, | |
darfst du das nicht. Ich setze mir meine Grenzen selbst: Ich nenne mein | |
Programm "Beschnitten oder am Stück", aber ich würde es nicht "Ein Jude | |
gibt Vollgas" nennen… Kennen Sie eigentlich Larry David? | |
Nein, tut mir leid. | |
Der hat die Serie "Seinfeld" geschrieben. Da gibt es den Sketch | |
Holocaust-Survivor. Da hat er zwei Überlebende zum Dinner eingeladen und | |
sie fragen: Oh, wo ist der andere Survivor? Und da zeigt Larry David auf | |
den Tisch, wo ein 30-Jähriger sitzt. Sie fragen: Das ist ein Survivor? Und | |
Larry David sagt: Ja, von der Televisionshow "Survivor". Und das ist | |
wahnsinnig komisch. | |
Sie hätten ja auch ein Buch schreiben können: Mein Weg als | |
Stand-up-Comedian. | |
Ja, natürlich. Aber da kamen ja immer wieder jüdische Sachen drin vor. Sie | |
könnten ein Buch schreiben, das hieße: Ich darf das, ich bin eine Frau. | |
Oder: Ich darf das, ich bin bei der taz. | |
Das bringt einen nicht so furchtbar weit. | |
Egal. Es geht ja auch nicht darum, dass mein Buch allen gefällt. Sonst | |
müsste ich ja mit Mario Barth im Olympiastadium auftreten. Immerhin ist die | |
erste Auflage schon verkauft. | |
Unklar bleibt darin, wie Ihre Begegnung mit einem Neonazi im Aufzug einer | |
Buchhandlung eigentlich ausgeht. Schlägt der Sie nur deshalb nicht | |
zusammen, weil es ihm peinlich ist, dass er ein Buch vom kleinen Eisbär in | |
der Hand hat? | |
Es gibt zwei Enden, eines im Buch und eines in meiner Show. In dem erkläre | |
ich ihm mit zwei Tierhandpuppen den Holocaust. Und das berührt den Neonazi | |
sehr. Welches Ende stimmt, verrate ich aber nicht. | |
Haben sich die Identitätsfragen für Sie mit dem Weggang aus Papenburg von | |
alleine erledigt? | |
Erledigt nicht. In Papenburg wusste halt jeder, dass ist der Sohn. In | |
England wirst du dann erst mal als deutscher Nazi beschimpft … | |
… auf dem jüdischen Internat, das Sie in England besucht haben? | |
Nicht auf dem Internat, aber wenn du in London bist. "Oh, you are from | |
Germany, you fucking German Nazi." Dann bist du erst mal komplett verwirrt. | |
Wie hätten Sie es denn gern? Soll ich jetzt der Jude sein oder der | |
verfickte deutsche Nazi - müsste ich eigentlich mal fragen. In Köln war das | |
dann anders: Da weiß ja erst mal niemand, dass ich Jude bin. Schließlich | |
muss ich zum Glück nichts tragen, was mich kennzeichnen würde. | |
21 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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