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# taz.de -- Interview Klaus Theweleit & Rainer Höltschl: "Hendrix ist der verg…
> Jimi Hendrix Qualitäten als Lyriker, Sänger und Songwriter wurden meist
> unterbewertet, finden Rainer Höltschl und Klaus Theweleit, die jetzt eine
> neue Biografie des Ausnahme-Gitarristen veröffentlichten.
Bild: Jimi Hendrix beim Popfestival 1970 auf der Ostsee-Insel Fehmarn.
taz: Herr Höltschl, Herr Theweleit, was haben Sie Neues über den 1970
verstorbenen Gitarristen Jimi Hendrix herausgefunden, das noch eine
Biografie rechtfertigt?
Rainer Höltschl und Klaus Theweleit: Noch eine Biografie wäre höchstens
gerechtfertigt als knappere Synthese der Riesenbiografien, die es von
Shapiro/Glebbeek, Cross und Murray gibt.
Hatte er nun eine Affäre mit Brigitte Bardot oder nicht?
Fragen Sie Brigitte Bardot.
Ihnen geht es um mehr …?
Ja, die Würdigung von Hendrix Einzigartigkeit in mehreren Punkten: seine
herausragende Bedeutung als Körperverwandler durch elektrifizierte Musik;
die Würdigung seiner Qualitäten als Lyriker, Sänger und Songwriter, die
meist unterbewertet sind; und auch die Gewichtung seiner Figur in den
Lebenskontexten der 60er- und 70er-Jahre.
Es war nicht die Spieltechnik, die Hendrix heraushob, sagen Sie, sonst wäre
er nur ein besserer Eric Clapton gewesen. Es war ein anderer Gebrauch des
Instruments, mit dem er in die "Electric Skies" strebte.
Ja. Er empfand sich als ein Anderer, gekommen aus elektrischen Sphären, der
den Hörer abholt und auch dort hinführt. Elektrisch heißt bei ihm nicht nur
lauter und intensiver, er spielte tatsächlich auf dem Verstärker. Er
schloss seinen Körper mit dem Verstärker und seiner Gitarre zu einer neuen
Existenzform zusammen.
Hendrix-Musik hören, sagen Sie, führe zu Körperveränderung, etwas wandere
aus dem Körper aus und treffe sich mit Hendrix musikalischen "Space-ships".
Aber nur bekifft?
Verschiedene Psychoanalytiker haben von etwas Drittem im Raum gesprochen,
einem dritten Subjekt oder einem tragenden Medium, in dem sich die Körper
von Analytiker und Analysand treffen. Wir nennen das den dritten Körper
oder das Schwingungsobjekt und behaupten, dass dieser Vorgang sich bei
jeder intensiven Berührung von Körpern mit Kunstprodukten abspielt oder
abspielen kann. Bekifftsein ist nicht die Voraussetzung; bei Hendrix-Musik
aber eine bestimmte Lautstärke. Sonst kommt das nicht.
Hendrix arbeitete Ihrer Analyse nach an der "physisch-elektrischen Erlösung
ins Jenseits des eigenen Körpers". Das war Ende der aufgewühlten 60er. Wie
relevant ist das heute noch?
So relevant wie je. Noch haben die Leute Körper, nicht eine Matrix. Diese
Körper wollen ein Jenseits von sich. Nicht ein Drüben, sondern diesseitige
Verwandlung. Das nennt man Leben.
Hendrix, der Lyriker, hatte es konsequenterweise mit Engeln, Gestirnen,
Reisen durchs Weltall. Sind das Texte, die nur unter Drogen entstehen
können?
Drogen auch; ab Ende 1966 gibt es so gut wie kein Konzert mehr ohne LSD.
Aber ein Musiker wie Sun Ra mit seinem Solar Myth Arkestra und der
Behauptung: "Im from Saturn" gelangte auch dahin, ohne große LSD-Dosen. Es
ist die Selbstwahrnehmung dieser Musiker, nicht einfach Teil der Black
Community zu sein wie die Blues- und Soulsänger.
Und auch nicht Teil des weißen Popmarkts?
Nein. Hendrix entsprechendes "Im from Mars" legt die Basis des eigenen
Sounds in den "Weltraum", ähnlich der "Sphärenharmonie" der frühen
europäischen Musiktheoretiker. Bloß wollten die "Gottes Harmonien" gehört
haben in Davids Sphärenharfe, so ähnlich auch noch Mahler zu seiner dritten
Symphonie; während es Sun Ra oder Hendrix um das Außerordentliche, um das
noch nie Gehörte der extraterrestrischen Klänge geht. Dieses schließt vor
allem den Schrei ein und entfesselte Rhythmen, das Transgressive in der
Musik. In den Texten affektive Vermischungszustände: Neue Körper "from out
there".
Indem Hendrix von der Norm westlicher Musik abwich, verstärkte er die
Körperlichkeit, sagen Sie. Wie geht das?
Musik - nicht nur Rockmusik - ist prinzipiell die körperveränderndste Kraft
unter den Künsten. Sie geht nicht nur ins Ohr, sie geht auf die Haut, sie
geht direkt in die Muskulatur. In der westlichen Norm dabei oft als
gewalttätig, zum Beispiel in der körperformierenden Marsch- und
Stiefeltrittmusik. Jede Abweichung setzt dabei automatisch eine andere
Körperformation. Musik kämpft um die Körper der Anhängerschaft, immer.
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte sich der Droge Blutrausch,
Rassismus, Auslöschung verschrieben, schreiben Sie. Die Elektrifizierung
der Musik in den 60ern sei Kidnapping von Kriegsgerät zum Zwecke der
Enteignung. Was heißt das?
Blutrausch, Rassismus, Auslöschung anderer wurden nach 1945 in Westeuropa
erst mal abgesetzt, jedenfalls als Generallinie. Die Elektrifizierung im
frühen Rock ab 1955 trieb die dazugehörige Generation, die erste nicht
militarisierte Generation, auf Tanzflächen, Straßen und in Konzertsäle.
Kritische Geister wie Friedrich Kittler haben das als Missbrauch von
Militärgerät bezeichnet; denn die ganze im Rock eingesetzte explosive
Elektronik wurde im Zweiten Weltkrieg zuerst als Kriegsgerät erfunden und
entwickelt. Wir ersetzen das Wort Missbrauch lieber durch Kidnapping; denn
für eine Weile funktionierte diese Enteignung in einem friedlich
emanzipatorischen Sinn.
Dass die USA 1969 Astronauten auf den Mond schießen, war dem
Weltraumforscher Hendrix egal. Warum?
Weil seine Musik bessere Wege zeigt, auf den Mond zu kommen; ohne
Raketenquatsch. Diese tötenden Dinger in "Lippenstiftform", wie er in einem
Song formuliert, sind das fiese Gegenstück seiner eigenen
Raumexplorationen.
"Have you ever been to Electric Ladyland" aus dem Titelsong des 1968
erschienenen Albums "Electric Ladyland" sei eine Zauberformel wie das
"Please allow me to introduce myself" der Rolling Stones aus "Sympathy for
the Devil"? Inwiefern?
Die Formel der Stones: Introducing myself as man of wealth and taste, als
The Devil, als der Teufel persönlich, war die Übertretungsformel in alle
Bereiche des Verbotenen. Die teuflischen kleinen Jungs und Mädchen tun
nicht mehr, was Daddy and Mommie ihnen sagen. "Sympathy For The Devil" ist
damit das Initiationsstück für alle Übertretungswilligen der 60er-Jahre.
"Have You Ever Been To Electric Ladyland" erweitert das auf eine Art
übermenschlichen elektronischen Körper hin; ohne dass etwa Roboterhaftes
gemeint wäre. Nein, die elektrifizierte Gitarre als metamorphotische Kraft;
hinein in den neuen Geschichtskörper der Menschheit.
Hendrix hat Frauen geschlagen. Ist das ein vernachlässigbares biografisches
Detail?
Nein, absolut nicht. Die Spaltung bei ihm ist besonders krass: Verführer
mit jungenhaftem Charme und großem Zärtlichkeitspotenzial; auf der anderen
Seite Teil der farbigen Macho-Musikerszene, wo man zuschlägt, wenns nicht
läuft. Die Aggressivität dann besonders gegen die vertrauten Frauen. Und er
ist selbst geschlagenes Kind, vom Vater. Man wird so etwas nicht im
Handumdrehen los.
Hendrix "ging" durch unzählige weiße Frauenkörper "durch", schreiben Sie,
dazu die schwarzen Frauenkörper seiner Kindheit und die Gitarrenkörper, die
Körper des elektrischen Universums, alle benutzte er, geilte er auf,
zerstörte er, im Streben nach, ja, nach was?
Vermutlich nach dem, was die Stones Satisfaction nennen; von dem keiner
sagen kann, was es genau ist; weil es den Zustand der Befriedigung nicht
gibt. Bei Hendrix wäre das am ehesten der Zustand des andauernden Spielens.
Auf jeder Ebene, am allerliebsten aber Spielen im Studio auf und mit den
neuesten elektronischen Equipments. Streben nach neuen Soundwelten; danach
war sein Hunger unstillbar. Übrigens: Bei über 500 Auftritten zerstörte er
nicht einmal zehn Gitarren; und verzehrt hat er vor allem sich selbst.
Sie sehen Hendrix in und nach seinem Tod von seinen Anhängern in einem
Opferritual gebraucht wie die RAF. Wo ist der Zusammenhang?
Der RAF in der Absolutheit ihrer Ansprüche nach 1975 konnte niemand mehr
folgen, ohne sich selbst auf einen potenziellen Selbstmordtrip zu begeben.
So weit wollte in der Gefolgschaft der "Sympathisanten" aber kaum jemand
gehen. Also musste die RAF irgendwie verschwinden, damit man in
friedlichere Politikgewässer hinübergleiten konnte. Der Tod der RAF ist die
Gründungsvoraussetzung von Grün als Partei. Mit der RAF im Rücken hätte man
keine ökologischen Forderungen stellen, kein Green Peace machen können,
keinen Parlamentarismus.
Und das Hendrix-Modell …
… war in seiner schließlichen Zuspitzung war auch nicht recht lebbar: die
Verschlingung von höchster artistischer Radikalität, Drogenexzess, ins
Überpersönliche reichenden Sexwahn und dazu Beharren auf der eigenen
Außerweltlichkeit. Too much insgesamt. Wie übrigens auch bei Che Guevara.
Der sollte auch weg - und wir denken, die Über- oder Weiterlebenden wissen
etwas von diesem Opferungsprozess.
Ist für Sie Hendrix und nicht Dylan der herausragende Musiker der letzten
fünfzig Jahre?
Als Musikerverwandler ganz sicher Hendrix; was wohl auch Dylan so sieht.
Als Hendrix Dylans Stück "All Along The Watchtower" grandios
elektrifizierte, hat Dylan Hendrix Version sofort übernommen. Dylan ist
Familie, Kinder, Scheidung. Er ist die herausragendste Verkörperung von
Figuren wie du und ich. Er kommt immer wieder, wie der Abendstern. Jimi
Hendrix dagegen ist der verglühende Meteor mit der Nachricht vom
Ungeheueren.
INTERVIEW: PETER UNFRIED
24 Oct 2008
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Klaus Theweleit
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