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# taz.de -- Kolumne Katastrophen: Das Gegenteil von Gier
> Was die Finanzkrise mit Comics, Ovomaltineriegeln und Makrobiotik zu tun
> hat? Einiges
Knurps, mampf, schluck. Raschel, blätter. Knurps. Knister. Comics lesen.
Ovomaltineriegel essen. Comics lesen. Ovomaltine-Riegel essen. Das ist ein
Leben! Doch was ist das? Mein Freund wühlt sich durch orangefarbene
Schoko-Papiere und aufgetürmte Comics, die den Weg zu mir auf dem Sofa
versperren. "Verfall nicht der Macht deiner Gier; sie wird wie ein Stier
deine Kraft abweiden. Dein Laub wird sie fressen, deine Früchte verderben
und dich zurücklassen wie einen dürren Baum!", zitiert er die Bibel (Nicht,
dass er tatsächlich katholisch wäre). Also: Ich? Gier? Dürrer Baum?
Tatsächlich fühle ich mich etwas leer nach Tagen der Sofa-Residenz und
Turbo-Lektüre. Trotz der circa 130 Ovomaltineriegel im Bauch. Wie konnte es
so weit kommen? Ich bin doch ein eher ungieriger Typ. Zumindest, wenn man
Ackermannsche Maßstäbe an mich anlegt. Da bin ich geradezu bescheiden.
Dass andere viel mehr an Gier leiden als ich, kann jeder sehen, der einen
Blick in die Tageszeitungen wirft. Ich sage nur: Finanzkrise. Bloß weil
diese Investmentfondsbrokerwallstreetaktientypen den Hals nicht voll
bekommen konnten, gleicht die Weltwirtschaft bald einem dürren Baum. Oder
auch nicht, wer weiß das schon so genau. Meine Freundin Mathilde, eher
uninteressiert am wirtschaftspolitischen Treiben in der Republik, fragt
mich neulich am Telefon, ob ich mir eigentlich Gedanken mache wegen der
Finanzkrise. "Nö", sage ich, an einem Ovomaltineriegel kauend und mich
halbherzig von der spannenden Stelle in Osamu Tezukas "Ode to Kirihito" zu
lösen - ein Comic, in dem eine seltsame Krankheit die Menschen zu
hundeähnlichen Wesen werden lässt und die gerade den Helden, einen feschen
Arzt in einem Tokioter Krankenhaus, befallen hat. "Ich schon", sagt
Mathilde und dass sie nicht wisse, ob alles nun halb so wild sei und sie
den Merkel-Steinbrückschen Beschwichtigungen glauben solle - oder ob alles
ganz, ganz schlimm sei und alle nur so tun würden, als ob nicht.
Wenn es mit der deutschen Wirtschaft bergab ginge, wäre sie ja eine der
Ersten, die es spüren würden - denn an Menschen, die freiberuflich schöne
Dinge gestalten, spare man ja am ehesten. Sie habe sich sogar schon
überlegt, was sie von ihrem Geld kaufen sollte, solange es noch etwas wert
sei. "Hm, knurps, was?", frage ich halbherzig, noch halb gebannt von der
Verwandlung des Arztes Kirihito, der sich mit seiner Hundeschnauze über ein
rohes Steak hermacht und halb andächtig in Gedanken an die Massen von
Nachschub, die ich von meinem Ersparten kaufen könnte. "Eine
Blitzlichtanlage zum Fotografieren und ein Auto." Das nenne ich ungierig.
Zurück zum Sofa. Kennen Sie eigentlich Ovomaltineriegel? Das sind aus
Kakao- und Malzpulver zusammengepresste, mit Schokolade überzogene, na ja:
Riegel eben, die mal halb lutschend isst. Oder in meinem Fall: verschlingt.
Ein Produkt, das ich vor einigen Jahren nach erfolgreichem Aufstieg auf den
Tiroler Berg Rosskogel erstmals kosten durfte. Nun gibt es das seit
neuestem auch hier. Ich benötige täglich etliche dieser köstlichen Dinger.
Mit den Comics ist es ähnlich. "Ode to Kirihito" ist nur einer der
Monsterbände, die ich in diesen Sofa-Tagen verschlungen habe. Dazu kommen
etliche "Donjon"-Folgen von Trondheim & Sfar. Inzwischen bin ich bei einem
anderen Tezuka angelangt, in dem einer 48 Dämonen besiegen muss, die ihm je
einen Körperteil geklaut haben, um wieder vollständig zu werden. Toll.
Immerhin hat mich die zu stillende Gier einer kleinen Person, für die ich
seit neuestem verantwortlich bin, gezwungen, "Die heilige Krankheit", die
Geschichte des französischen Comic-Zeichners David B. und seines unter
Epilepsie leidenden Bruders - und nebenbei die Geschichte sämtlicher Kriege
und esoterischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts - mit Pausen zu lesen. Das
tat gut. Im Comic versuchen die Eltern, ihren Sohn mit Makrobiotik von der
Epilepsie zu heilen. Das Gegenteil von Gier, man muss jeden Bissen hundert
Mal kauen. Vielleicht sollten es die
Investmentfondsbrokerwallstreetaktientypen mal damit probieren.
27 Oct 2008
## AUTOREN
Kirsten Reinhardt
## TAGS
Comic
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