# taz.de -- Tempelhof: Letzter Linienflug: Tempelhof, Allgäu, Tempelhof | |
> Der letzte Linienflug mit der Germania, der am Donnerstag in Tempelhof | |
> startete und wieder landete, sollte eigentlich etwas Besonderes für die | |
> Fluggäste werden. Am Ende kam vieles anders als erwartet. | |
Bild: Zwei Antonow-Doppeldecker warten auf den Abtransport | |
Die Stewardess gibt sich wirklich Mühe. "Wir begrüßen Sie auf diesem | |
besonderen Weg nach Memmingen", säuselt sie durch die Kabinenlautsprecher. | |
"Wir hoffen auf besseres Wetter, damit wir beim Rückflug mehr von Tempelhof | |
sehen können." Dann beginnt ihr Kollege, den Passagieren die Notausgänge zu | |
zeigen und wie man am schnellsten da hinkommt. Draußen regnet es in | |
Strömen, Windböen schleudern Tropfen gegen die tellergroßen Kabinenfenster. | |
Um 10.10 Uhr hebt die Maschine des Germania-Flugs ST2000 ab. | |
"Das ist die einzige Linien-Flugverbindung, mit der man an diesem | |
besonderen Tag noch mal von Tempelhof startet und auch wieder landet", | |
haben die PR-Experten zwei Tage zuvor bei der Presse um Berichterstattung | |
geworben. "Besonders" ist auch am Donnerstag eines der meistgebrauchten | |
Wörter - doch am Ende war es wohl wie immer. | |
Zum Beispiel das Schimpfen. Die Frau an der Sicherheitskontrolle ist sauer. | |
Einige Kollegen verlieren ab Montag ihre Jobs. "Aber das erzählt ja keiner, | |
und das will ja keiner wissen." Nostalgie klingt anders. | |
Vor dem Einstieg: Den Reisenden erwartet kein Gedränge, sondern beklemmende | |
Leere. Die Flure sind kalt, die Toilette dunkel, das Interieur aus der | |
Rosinenbomber-Zeit. | |
Im Flugzeug: Im Gang steht die Frau von Heiko Sonnenschein, die | |
Digitalkamera auf ihren Mann gerichtet. Hinter ihr stauen sich die Gäste, | |
die weiter nach hinten zu ihren Plätzen wollen. Nach einigem Murren rutscht | |
Frau Sonnenschein in eine Sitzreihe, drückt von dort auf den Auslöser. | |
Immerhin - bei Sonnenscheins ist der Name Programm. Gut gelaunt beugt sich | |
der 64-Jährige über die Lehne. "Ich habe bei der Bild-Zeitung angerufen und | |
Freikarten gewonnen", erzählt er. "Für meine Freunde gleich mit, dreimal | |
zwei Tickets habe ich abgestaubt." In den Sitzreihen herrscht eine Stimmung | |
wie beim Klassenausflug - fröhliches, lautes Geplaudere, Späßchen, später | |
folgt Prosecco. Mit hundert Passagieren ist die Maschine ausgebucht, ein | |
Drittel haben die Reise gewonnen wie die Sonnenscheins. Die Flugbegleiter | |
verteilen Kaffee mit Kaffeeweißer und eingeschweißte Muffins. | |
In Memmingen wieder - nichts Besonderes: Es wartet die fröhliche Frau | |
Zehnpfennig. "Natürlich wissen wir, dass Sie heute aus Tempelhof kommen und | |
dass das ein besonderer Flug ist", sagt die Tourismusmanagerin für das | |
Allgäu. "Aber wir freuen uns auch, Sie in Memmingen begrüßen zu dürfen." | |
Der Flughafen ist neu, ein Jahr alt erst, alles wirkt sauber und hell und | |
freundlich. Tempelhof ist weit weg. Schwungvoll verteilt Simone Zehnpfennig | |
Jutetaschen mit der Aufschrift "Stadt Memmingen", gefüllt mit Informationen | |
über die Region. | |
Die Tempelhof-Ausflügler schauen etwas ratlos. Drei Stunden haben sie Zeit, | |
die 40.000-Einwohner-Stadt mit den pittoresken Fassaden kennen zu lernen. | |
Das Zentrum ist zehn Minuten mit dem Bus entfernt. Am Flughafen gibt es | |
später ein Freibier von der lokalen Brauerei. | |
Heike Weber kennt den Geschmack. Sie kommt aus Memmingen. Ihr Freund hat | |
sie mit einem Flugmarathon überrascht: Das Paar flog zunächst nach Berlin, | |
um nun die letzte Hin- und Rücktour mitzumachen. Am Abend wollten sie noch | |
von Tempelhof nach Tegel fliegen mit der Germania, tags darauf zurück nach | |
Memmingen. | |
"Das ökologische Gewissen ruht heute", sagt die junge Frau. Sie hat | |
Tempelhof am Donnerstag das erste Mal gesehen. "Ich fand den Flughafen | |
schön", sagt sie. 118 Euro kosten Hin- und Rückflug, Heike Weber hat zwei | |
Tage Urlaub genommen. | |
Auch Bärbel Kluge in der Sitzreihe dahinter war der Ausflug das Geld wert. | |
"Für uns war Tempelhof das Gefühl, eine Verbindung zur Freiheit zu haben", | |
sagt sie. "Wir wollten ein letztes Mal die Chance zum Flug von hier | |
nutzen." Melancholisch seien ihr Mann und sie aber nicht gestimmt. "Wir | |
hatten ja genug Zeit, um Abschied zu nehmen." Die Stewardessen verteilen | |
Piccolos in blauen Flaschen. Dazu Chips mit Balsamico-Geschmack. | |
In Berlin hängen die Wolken immer noch tief. Kein Panorama im Sinkflug. Ein | |
Reisender ruft beim Aufsetzen der Maschine: "Viva Tempelhof", sichtlich | |
beschwingt von Weißbier und Prosecco. Die Maschine kommt zum Stehen, die | |
Passagiere greifen eilig ihre Jacken, drängen sich am Ausgang. Der Tag war | |
lang, sie wollen nach Hause. | |
In der Abflughalle sind die Arbeiter mit dem Aufbau für die Party am Abend | |
beschäftigt, Männer mit Knöpfen in den Ohren laufen umher. Keiner kümmert | |
sich um die Reisenden aus Memmingen. Vor dem Haupteingang, der mit | |
rot-weißen Bändern abgesperrt ist, stehen eine Frau und ihr Sohn. Sie haben | |
sich in ihre Jacken gewickelt, die Kapuzen sind hochgeschlagen. Sie schauen | |
hinein in den Flughafen. "Ich verbinde so viel Emotionales, so viel | |
Persönliches mit Tempelhof, ich bin jetzt einfach sehr traurig", sagt die | |
Frau. | |
Ihre Augen sind feucht. Die Gruppe aus Memmingen, die aus einem | |
Seiteneingang kommt, bemerkt sie nicht. | |
1 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Kristina Pezzei | |
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