# taz.de -- Udo Kittelman über Kunst: "Berlin ist entschieden anders" | |
> Immer für einen Einfall gut: Mit Udo Kittelmann kommt ein unorthodoxer | |
> Ausstellungsmacher an die Nationalgalerie in Berlin. Ein Gespräch über | |
> den idealen Ort für ein Kunstwerk. | |
Bild: Noch spiegelt sich Udo Kittelmann im Glanz seiner letzten Ausstellung, de… | |
taz: Udo Kittelmann, weshalb widmen Sie einem Künstler wie Takashi Murakami | |
im Frankfurter Museum für Moderne Kunst eine große Überblicksschau? Seine | |
unternehmerische Qualität - etwa ein erfolgreich in die Schau integrierter | |
Verkaufsshop - besteht eher darin, im schnellen Fahrwasser des Marktes zu | |
schwimmen, als dagegen zu wirken. | |
Udo Kittelmann: Ich möchte meine Augen als Leiter einer Kunstinstitution | |
nicht vor solchen künstlerischen Produktionen verschließen müssen, die | |
allein schon deswegen kritisiert werden, weil sie kommerziell erfolgreich | |
sind. Vielmehr hielt ich es für angebracht, Murakamis Position auch in | |
Deutschland erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um | |
sie zur Diskussion zu stellen. Wenn Sie Murakami vor dem Hintergrund der | |
japanischen Kunsttradition betrachten, entdecken Sie geradezu abgründige | |
Tiefen in seinem Werk. Flach ist sein Werk sicherlich nicht! Würde ich ihm | |
eine hohe künstlerische Qualität absprechen, hätte ich es bestimmt nicht | |
ausgestellt. Takashi Murakami, Jeff Koons oder Damien Hirst gehören als ein | |
Phänomen der Gegenwartskunst zusammen, und ich halte es für eine | |
bemerkenswerte Koinzidenz, dass Koons im Mies-van-der-Rohe-Bau der Berliner | |
Nationalgalerie ausgestellt wird. Koons, der ähnlich wie Murakami lange als | |
zu kommerziell kritisiert wurde, ist inzwischen zu einer gewichtigen | |
Künstlerfigur unserer Zeit avanciert - sein Werk hätte ich auch gerne zum | |
Thema einer Ausstellung gemacht. | |
Ihre letzte Ausstellung in Frankfurt macht endgültig Tabula rasa mit der | |
gewohnten Sammlungspräsentation. Könnte Murakamis illustrative Comicwelt | |
ähnlich dicht den Hamburger Bahnhof in Berlin bespielen? | |
Ich hätte Murakami auch im Hamburger Bahnhof präsentieren können, | |
allerdings hätte ich ihm nicht, wie aktuell im MMK, das ganze Museum | |
gewidmet. Der Hamburger Bahnhof stellt seine ganz eigenen Bedingungen, und | |
Berlin ist ein entschieden anderer Ort als Frankfurt. Davon abhängig gilt | |
es nun, andere Perspektiven zu entwickeln. Das Profil des Hamburger | |
Bahnhofs sollte aber nicht an einzelnen künstlerischen Positionen | |
festgemacht werden, eher doch an einer selbstbewussten Haltung gegenüber | |
der Gegenwartskunst und ihren vielfältigen Ausdrucksformen. Dazu gehört es | |
auch, die Sammlung weiter in die Zukunft zu denken. | |
Als Direktor der Berliner Nationalgalerien erwartet Sie nicht nur ein Mehr | |
an Aufgaben, die unterschiedlichen Sammlungen bieten auch mehr | |
Möglichkeiten. Welche Ideen gehen dem Ausstellungsmacher, Udo Kittelmann, | |
durch den Kopf in Anbetracht einer Zeitskala, die von der Kunst um 1900 in | |
der Alten Nationalgalerie bis ins 21. Jahrhundert im Hamburger Bahnhof | |
reicht? | |
Zunächst einmal stellt man sich die Frage, was es bedeutet, die Zukunft | |
dieser Häuser mit ihren fantastischen Sammlungen mitverantworten und | |
mitgestalten zu können. In Anbetracht der vielen Möglichkeiten, die sich | |
aufgrund der unterschiedlichen Sammlungsprofile auftun, bleiben zunächst | |
mehr offene Fragen, als dass man sofort Antworten finden könnte. Ideen | |
müssen sich auch langfristig behaupten können. Was ich aber schon jetzt | |
feststellen kann, ist, dass gerade durch das für mich nun so erweiterte | |
Zeitspektrum der Sammlungen sich auch eine neue Freiheit des Denkens | |
eröffnet. | |
Gibt es von Ihrer Seite Überlegungen, die Sammlungen zu bündeln, indem man | |
diese beispielsweise an einem Ort zusammenlegt? | |
Nein. Wie sollte denn auch ein Ort aussehen, der allen Sammlungen | |
entsprechen würde? Es kann doch nicht darum gehen, die teilweise über | |
Jahrzehnte entwickelten Sammlungsprofile der einzelnen Häuser in Zweifel zu | |
ziehen. Es ist mir aber wichtig, die Sammlungen verschiedener Epochen | |
verstärkt zusammen zu denken. Und natürlich geht es auch immer darum, | |
gegebene Ordnungen kritisch zu beleuchten und nach ihrer aktuellen | |
Gültigkeit zu befragen. | |
Das alles wird vermutlich nur gelingen, wenn Sie ein häuserübergreifendes | |
Konzept erarbeiten? | |
Was ich gemeinsam mit meinen Mitarbeitern erreichen möchte, ist, dass die | |
einzelnen zur Nationalgalerie gehörenden Häuser in Zukunft verstärkter als | |
Gesamtheit ins Bewusstsein rücken. Dies bedeutet aber nicht, dass die | |
spezifischen Rollen der Häuser in Frage gestellt werden. So verfügt | |
beispielsweise die Alte Nationalgalerie über eine hervorragende | |
Sammlungspräsentation, welche die Aura des 19. Jahrhunderts aufleben lässt, | |
sobald man das Museum betritt. Ich hielte es an diesem Ort daher nur für | |
sehr bedingt sinnvoll, hier beispielsweise mit aktueller Kunst zu | |
intervenieren. | |
Welche Herausforderung bedeutet für Sie die Alte Nationalgalerie, bedenkt | |
man, dass Ihr Schwerpunkt bislang in der größtmöglichen Vernetzung der | |
zeitgenössischen Kunstströmungen bestand? | |
Insbesondere das 19. Jahrhundert zeichnet sich schon als eine Epoche aus, | |
die eine ganze Reihe sogenannter Universalgenies versammelt, heute würde | |
man sie als Multitalente bezeichnen. Sie alle haben über verschiedene | |
Fachrichtungen hinweg ihr Werk entwickelt. Man denke nur an Alexander von | |
Humboldt oder an Carl Gustav Carus, der nicht nur Arzt und | |
Naturwissenschaftler war, sondern auch ein bildender Künstler. Seinem Werk | |
widmet im Übrigen die Alte Nationalgalerie 2009 gemeinsam mit der Dresdner | |
Gemäldegalerie eine große Ausstellung. Der Herausforderung eines | |
erweiterten Blicks, sozusagen über den sprichwörtlichen Tellerrand hinaus, | |
den vor allem Künstler immer wieder haben, so auch Carus, dieser | |
Herausforderung sollten sich Kunstinstitutionen in jeder Zeit stellen. | |
Am MMK haben sich Ihre unorthodoxen Ausstellungsmethoden auch in finanziell | |
prekären Zeiten bewährt. Nachdem das Museum 500 private Leihgaben verlor, | |
zögerten Sie nicht, eine Ausstellung mit im Internet ersteigerten Dingen zu | |
inszenieren, um diese später erneut zu versteigern. Lässt sich das | |
spektakuläre Spiel mit der Originalität von Kunst in Berlin fortführen? | |
Die Ebay-Ausstellung war keine Reaktion auf den Verlust der abgezogenen | |
Werke, sondern beabsichtigte, Kunst und Nicht-Kunst in dialogische | |
Zusammenhänge zu setzen. Die Ausstellung war eine Enzyklopädie der Dinge, | |
die sich nicht von der Grenzziehung zwischen Kunst und Nicht-Kunst | |
einschränken ließ. Da gerieten natürlich traditionelle Vorstellungen | |
gehörig in Unordnung. Es wird sich zeigen, welche Ausstellungserfahrungen | |
wie auch Sammlungsmodelle von Frankfurt nach Berlin übertragen werden | |
können. Originalität ist aber doch ein grundlegender Wesenszug von Kunst. | |
Weshalb planen Sie, Thomas Demands fotografisches Werk als eine der ersten | |
Ausstellungen unter Ihrer Direktion in Berlin zu zeigen? | |
Darauf gibt es zu diesem frühen Zeitpunkt nur eine Antwort: weil ich ihn | |
für eine der wichtigsten Künstlerpersönlichkeiten unserer Zeit halte. | |
Spätestens aber mit Eröffnung der Ausstellung im Herbst 2009 wird | |
sicherlich sehr deutlich werden, warum ich gerade Thomas Demand und dieses | |
Ausstellungsprojekt als prädestiniert für die Nationalgalerie erachte. | |
Könnte es eine Perspektive für den Mies-van-der-Rohe-Bau sein, dort künftig | |
größere Wechselschauen stattfinden zu lassen und die Sammlung der Neuen | |
Nationalgalerie auszulagern? | |
Wie die Kunst selbst müssen auch die Orte der Kunst immer wieder kritisch | |
befragt werden, in Hinsicht darauf, ob sie noch immer funktionieren. Jedes | |
Kunstwerk sucht seinen idealen Ort, und wenn man diesen für eine Sammlung | |
schaffen kann, halte ich deren Verlagerung in ein anderes Haus für | |
sinnvoll. | |
Wenn Sie selbst vor der Wahl stünden, würden Sie die | |
Friedrich-Christian-Flick-Collection als Schenkung annehmen? | |
Ja, unbedingt. Durch die kürzlich getätigte Schenkung von über 150 Werken | |
aus der Flick-Sammlung hat die Nationalgalerie einen wichtigen Zuwachs an | |
Gegenwartskunst erhalten, von Bruce Nauman über Dieter Roth bis hin zu Paul | |
McCarthy. Schenkungen solch substanzieller Werke sind doch ein | |
außerordentliches Ereignis für ein Museum, eröffnen sie doch immer auch | |
neue Perspektiven. | |
Wohin mit dem Potenzial der zahlreichen jungen Berliner Künstler - zählen | |
diese nun zum Fokus der neuen Temporären Kunsthalle? | |
Berlin verfügt über einen großen kulturellen Reichtum, dazu zählt das | |
Potenzial der vielen hier lebenden Künstler, der zahlreich eröffnenden | |
privaten wie öffentlichen Kunstinstitutionen und der Galerien. Mit | |
Sicherheit werde auch ich Impulse von dieser Vielfalt aufnehmen. Und ich | |
bin davon überzeugt, dass sich die Nationalgalerie und die Temporäre | |
Kunsthalle in Bereich zeitgenössischer Kunst ganz wunderbar in Zukunft | |
ergänzen werden. | |
INTERVIEW HORTENSE PISANO | |
4 Nov 2008 | |
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