Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sechstagerennen in der Krise: Striptease vom Feinsten
> Sechs Tage Radsport, fünf Nächte Party, je wilder, desto besser: So
> funktionierte der Radsportzirkus über Jahrzehnte. Nun soll mehr
> Unterhaltung die Show retten.
Bild: Alter Spruch: "Sechtagerennen ist toll, nur die Radfahrer stören."
Zu den Sechstagerennen der Bahnradfahrer kommen meist Zuschauer, die sich
für Radsport interessieren. Dieses Ergebnis einer Fanbefragung ist
tatsächlich eine Nachricht wert. Denn die vier verbliebenen deutschen
"Sixdays" sind in der Krise und versuchen durch mehr Unterhaltung, das
Publikum bei der Stange zu halten. "Es gibt diesen alten Spruch:
,Sechstagerennen ist toll, nur die Radfahrer stören' ", sagt Sven
Claußmeyer, Leiter des gerade zu Ende gegangenen Dortmunder Rennens. Sein
Turnier kämpft um Zuschauer, das Rennen in Stuttgart ist abgesagt - und in
München haben die Tage der Wahrheit begonnen.
Bis Dienstag jagen die Fahrer ums Oval der Olympiahalle. Alle Augen sind
auf Sprintstar Erik Zabel und Sixdays-Legende Bruno Risi gerichtet -
Veranstalter Klaus Cyron schaut angespannt auf die Besucherzahlen. Wenn
nicht mindestens 63.500 Fans kommen, kommen bald gar keine mehr. "Es ist
ein sehr entscheidendes Jahr", sagt er. 2007 kamen gut 60.000 Zuschauer -
der aktuelle Vorverkauf sei "auf Vorjahresniveau". Cyron weiß: "Wir müssen
uns steigern, um wirtschaftlich zu werden."
Wie das gehen soll, weiß Cyron auch: Party. Nach einigen mauen Jahren
wurden die Veranstalter neugierig: Warum kommt keiner, wo wir doch
spannenden Sport zeigen? Sie fragten in 1.000 oberbayerischen Haushalten
nach. Ergebnis: mehr Party, mehr Event, mehr Service. Cyron reagierte: Vor
den Rennen läuft ein Film, der die Regeln erklärt. Vom Parkplatz zur Halle
fährt ein Shuttle-Bus. In der Hallendisko ziehen sich Go-go-Girls und
Go-go-Boys aus, laut Programm "Striptease vom Feinsten".
Veranstalter Claußmeyer aus Dortmund handelte ebenfalls. Er ließ die Bühnen
vergrößern und die Gastronomie verbessern. Er glaubt, dass die
Veränderungen einen Zuschauerzuwachs von zuletzt 80.000 auf rund 87.000
beschert hätten. Bei der entscheidenden Frage wird er schmallippig: "Über
die Wirtschaftlichkeit möchten wir hier nicht reden."
Den Berlinern scheint es dagegen gut zu gehen. Zur Jubiläumsauflage "100
Jahre Sixdays" Ende Januar erwartet Veranstalter Heinz Seesing wieder ein
mit rund 77.000 Zuschauern voll besetztes Haus. Auch Erik Zabel kommt. Sein
erstes Rennen bei den Berliner Sixdays wird das letzte seiner Karriere
sein. Jahrelang hatte Seesing um ihn gebuhlt - vergeblich. Das hatte damit
zu tun, dass Straßenprofis im Januar ins Training einsteigen. Partyzirkus
passt nicht ins Programm.
Seesing kam Mitte der 90er aus Bremen, um die Berliner Sixdays zu retten.
Dafür bekam er das Bundesverdienstkreuz - und den Dank der meist aus dem
ostdeutschen Umland stammenden Fans, die zu ihrer "Winterbahn" pilgern. Die
heißt zwar schon lange "Velodrom", ist aber immer noch Anziehungspunkt für
die Radsportfans, die mit Notizzetteln am Bahnrand stehen, bevor sie zur
Show mit Frank Zander oder den Puhdys gehen.
DDR-Mythen als Kassenschlager - eine These, warum es in Berlin solide
läuft. Eine andere präsentiert Frank Minder: Es liege an den
Zirkusdirektoren. Minder bereitet in Bremen sein 38. Rennen vor, er
erwartet um die 126.000 Zuschauer. Berlin und Bremen, so sieht er es, sind
Herzblutprojekte zweier Maniacs.
Als vor hundert Jahren die ersten Rennen in Berlin stattfanden, galt die
Idee als verruchter USA-Import. 144 Stunden lang waren die Fahrer auf den
Beinen und im Sattel, die Luft war zum Schneiden dick von Dunst und Rauch.
Noch heute gibt es sie, die Sattelhelden und Spaßmacher, ohne die die
Sixdays bloß ein Radrennen wären.
Legendär wurde der Australier Danny Clark, der schon mal selbst auf die
Bühne stieg und der Band das Mikro aus der Hand nahm. Gerd Dörich war 18
Jahre lang der Schwabenblitz, der La-Ola-König. Er startete bei 175 Rennen
- und will nun das aus wirtschaftlichen Gründen abgesagte Stuttgarter
Rennen retten, das einzige, das er je gewann. Sixdays sind sein Leben. Er
will, dass es weitergeht.
Inzwischen sind die Hallen rauchfrei - die Faszination ist geblieben, auch
für die Sportler. "Das ist schon mal geil, vor ausverkaufter Halle zu
fahren", sagt Maximilian Levy. "Bei Sprintercups stehen da drei Zuschauer
und meine Großeltern." Der Olympiadritte mit der Mannschaft und -vierte im
Einzel fuhr die sechs Tage von Amsterdam, hat außerdem für Rotterdam und
Berlin zugesagt.
Spaß haben und Geld verdienen - keine schlechte Aussicht für einen
21-jährigen Lehrling. Aber Levy glaubt, dass sein Bundestrainer ihn für
seine Sechstagelust bestraft: Er darf nicht zum Weltcup nach Kolumbien.
Im Winter 2008 geht es bei den Sixdays nicht nur um Party. Nach
Dopingskandalen liegt der Radsport am Boden. Die Veranstalter stöhnen
genervt auf: Das ganze Dopingzeug könne man nicht mehr hören, die
Kontrollen seien gut und erfolgreich, die Sünder seien Einzelfälle,
zwischen Straßen- und Bahnradsport sei ein Unterschied.
Zuschauer und Sponsoren überzeugt das nicht immer. Die Szene sei in einem
"gewissen Tal der Tränen, verursacht durch die im Netz hängen Gebliebenen",
sagt Heinz Seesing. "Da müssen wir durch."
7 Nov 2008
## AUTOREN
Hendrik Heinze
## TAGS
Radsport
## ARTIKEL ZUM THEMA
Existenzkampf der Sechtagerennen: Party auf Prüfstand
Die Sechstagerennen kämpfen in Deutschland ums Überleben – in Bremen
zuletzt mit Erfolg. In Berlin will man am Freitag den positiven Trend
fortsetzen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.