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# taz.de -- Montagsinterview Ballhaus-Gardrobier Günter Schmidtke: "Es geht ni…
> Günter Schmidtke steht seit über 40 Jahren an der Garderobe von Clärchens
> Ballhaus in Berlin-Mitte. Tanzen könnte er auch, aber er will es gar
> nicht. Viel lieber beehrt der 74-Jährige jeden Gast mit einem Spruch. Und
> wer ihm quer kommt, kriegt was auf die Fresse.
Bild: "Manche Leute sind richtig lustig, wenn sie einen Schwips haben. Aber die…
taz: Herr Schmidtke, ich möchte mit Ihnen über Clärchens Ballhaus reden, in
dem Sie seit über 40 Jahren arbeiten, die meiste Zeit davon an der
Garderobe.
Günter Schmidtke: Also, Mädchen, du kannst ruhig du sagen. Ja, mein
Engelchen, wir können gerne über das Ballhaus reden, das wäre doch gelacht.
Aber sag mir erst mal, was du trinken willst.
Gern. Ich nehme ein Bier.
Jut, ick ooch. Pro Abend genehmige ich mir drei Bier, mehr nicht. Das ist
jetzt also das erste. So, Engelchen, dann fang mal an.
Wann hast du hier angefangen?
Das war 1966. Meine Mutter war hier an der Garderobe und hat die Kasse
gemacht. Als sie aufgehört hat, war sie schon 80. Meine Frau war an der
Bar. Als ich noch Kipperfahrer war, habe ich nur sonnabends hier geholfen.
16 Jahre bin ich Schicht gefahren als Kipperfahrer. Erbauer des Alex,
Erbauer des Fernsehturms, Erbauer der Schwedter Papierfabrik! Fast jeden
Monat war ich Bestarbeiter und zig Mal Aktivist. Bis ich Probleme mit dem
Magen und dem Rücken hatte, wegen dem unregelmäßigen Essen und den
Schichten. Da ging es mir ganz schön mies, und ich habe aufgehört.
Und dann?
Ich hatte einen ausgebauten Kuhstall, ich habe bis 1955 Kühe gehabt, da
hinten in der Kleinen Hamburger Straße, wo meine Mutter gewohnt hat. Den
hatte ich zu einer Lackiererei ausgebaut. Aber Mensch, nur schwarz arbeiten
wollte ich auch nicht. Hier in Clärchens war ich eingetragen und dort habe
ich meine Autos gemacht. Eine Zeit lang war ich Rausschmeißer und Kellner.
Aber Kellner war mir nüscht.
Wieso nicht?
Mit Besoffenen habe ich nichts im Sinn. Ich mag Suff nicht. Ich trinke zu
Hause nicht, keinen Sekt, keinen Wein. Hier trinke ich nur meine zwei, drei
Bier, damit ich ein bisschen locker werde. Manche Leute sind richtig
lustig, wenn sie einen Schwips haben. Aber die, die dreie, viere zu viel
drin haben, diese Vollidioten kann ich nicht ab. Ich sehe schon, wie einer
reinkommt, ob das ein Stänkerer ist oder ein Lustiger.
Was machst du mit den Stänkerern?
In die Fresse hauen, ja. Das letzte Mal wollte einer, der war 28, hier über
die Garderobe rüber. Der hat mich angefasst und wollte mich in die Fresse
hauen. Zack, hat er eine gehabt. Ob du es gloobst oder nicht, ich bin
ziemlich kräftig.
Wie schaffst du es mit 74 Jahren, jeden Freitag und Samstag von 19 bis 5
Uhr morgens die Garderobe zu schmeißen?
Weil ich nicht erwachsen werde! Ich bin jetzt 74. Aber ich komme mit der
Jugend besser klar als mit die Alten. Die erzählen immer nur von ihren
Krankheiten. Mensch, was könnte ich da erzählen! Die Kniegelenke kaputt,
drei Bypässe, die Sehnen kaputt, Rippen, das Brustbein. Zu DDR-Zeiten gab
es Keilereien, hör uff, ganz gemein. Andere sitzen mit dem Krückstock auf
der Parkbank. Da werde ich verrückt, das kann ich nicht. Ich bin immer in
Bewegung. Ich pflege meine Frau zu Hause, die hat Krebs. Und mein kleiner
Hund, ein Pekinese, der ist schon 17 Jahre, ist auch krank. Früher hatte
ich ihn immer mit an der Garderobe. Der kann jetzt aber nicht mehr richtig
laufen. Ich habe immer zwei Paar Teewurststullen mit. Ich esse keine andere
Wurst, und Käse. Teewurst und Käse. Und ich schmeiße keine Stulle weg! Das
kann ich nicht ab. Das kommt aus der Kriegs- und Nachkriegszeit.
Was bedeutet dir die Arbeit im Ballhaus?
Erstens bin ich es gewohnt. Zweitens macht es mir Spaß. Drittens kriege ich
das bezahlt. Und zum Vierten bin ich gerne unter Leuten. Aber nur freitags
und sonnabends. Und ich höre mir wirklich alles an Musik an. Aber zu Hause,
da will ich meine Ruhe haben. Im Radio habe ich immer Klassiksender drin.
Von der Fünften und der Neunten von Beethoven kann ich nicht genug kriegen.
Gehst du sofort schlafen nach der Arbeit?
Eine Viertelstunde nach der Arbeit bin ich zu Hause. Ich erkläre mal, was
ich dann mache: Ich esse einen Keks, löse ein Kreuzworträtsel, trinke einen
Schluck Tee, Kamille, jeden Tag einen Liter, dann gehe ich mit meinem
Hundchen runter und dann schlafen. Um zehne stehe ich wieder auf und am
Nachmittag schlafe ich anderthalb Stündchen, bevor ich hierher gehe.
Tanzt du manchmal auch?
Nee, nie! Zu DDR-Zeiten war es verboten für die Angestellten, sich
überhaupt hinzusetzen. Jetzt sagen die Chefs schon mal: "Jetzt aber los,
Günter!" Ich sage dann immer nee, ich hätte was mit den Beenen. Aber das
stimmt nicht. Ich kann rennen wie ein Hirsch. Und ich kann alles tanzen,
Tango, Walzer, Cha-Cha-Cha und das Moderne ooch. Aber ich mag die alten
Schnulzen nicht. Ich habe doch einen Haufen Enkel. Ich war der jüngste Opa
überhaupt in der ganzen Gegend! Ich war schon mit 38 Opa. Ilka, meine
jüngste Tochter, die ist hier Toilettenfrau, hat mit 17 ein Kind bekommen.
Und dann habe ich schon zwei Urenkel. Zwei von meinen vier Kindern, die
zwei Jungs, sind leider früh gestorben. In den 50er-Jahren war es noch
nicht so mit der Medizin. Meine älteste Tochter arbeitet im Rathaus
Neukölln. Das ist eine ganz Ordentliche. Die raucht nicht, trinkt nicht,
nicht mal Kaffee, dabei arbeitet die im Büro! Das ist doch nicht normal,
wa? Dann arbeitet hier noch mein Enkelchen, der ist jetzt 24 und Ordner,
und mein Schwiegersohn Lothar macht die Kasse ab acht Uhr.
Wars früher besser oder heute?
Jetzt gefällt es mir besser! Es ist moderner, lebhafter. Zu DDR-Zeiten
wurde fünfmal in der Nacht der Schneewalzer gespielt. Dann haben alte
Türken hier sechsmal in der Nacht Mustafa gespielt. Ich habe das gehasst
wie die Pest. Ich bin für das Moderne! Außer zu Hause. Da sind Beethoven
und Oper meine Welt. Ich quatsche auch nur hier, zu Hause keinen Ton. Ich
bin ein ganz, ganz Ruhiger, höre meine Opern, verpflege meine Süße, gehe
mit dem Hund runter, mache meine Bude. Alles ohne viel zu quatschen.
Musst du auch arbeiten, um die Rente aufzubessern?
Ich wohne am Alex. Da haben Leute wie der Schauspieler Geschonneck gewohnt,
Generäle von der Volksarmee, Direktoren, die morgens mit dem Pkw abgeholt
wurden. Da habe ich für zwei Zimmer, Balkon, langer Korridor und Kammer 100
Ostmark bezahlt. Jetzt komme ich für die gleiche Bude fast auf 700 Euro -
bei 820 Euro Rente, junge Frau. Also muss ich arbeiten, bis ich den Arsch
hochmache.
Hast du dir nie was zurücklegen können?
Für mein ganzes Geld aus DDR-Zeiten habe ich mir 1986 ein Wassergrundstück
für 75.000 Mark gekauft von einer, die rübergezogen ist, und habe noch mal
50.000 ringesteckt. Sechs Wochen nach der Wende stand sie wieder da. Dann
ging der Prozess 15 Jahre lang, und vor zwei Jahren habe ich ihn verloren.
Alles im Arsch. Trotzdem bin ich nicht traurig. Die Wende finde ich gut.
Ich habe immer gesagt, es wird eines Tages so kommen. Wir sind doch ein
Volk.
Welche sind die allerersten Erinnerungen, die du an das Ballhaus hast?
1945. Das erkläre ich mal ganz genau. Der Hof war vollständig verwildert.
Hier drinnen waren ungefähr 30 Pferde von den Russen. Das waren Mongolen
und Kasachen und so was. Ich hatte ja noch die ganze Hitlerscheiße
mitgemacht, und über die Russen hieß es, die nageln uns mit der Zunge auf
dem Tisch fest. Die waren so zu uns (er macht mit Zeigefinger und Daumen
einen Kuss). Es gab ja nüscht zu fressen, nüscht zu heizen. Und die haben
für uns mitgekocht. Oben haben sie das Parkett rausgerissen und geheizt. In
einen Eimer haben sie Pferdefleisch gemacht und uns zu essen gegeben.
Seitdem esse ich aber kein Pferdefleisch mehr.
Warst du selbst als Gast in Clärchens Ballhaus, bevor du hier gearbeitet
hast?
Nee. Da war meine Frau schon hier. Wenn ich hier getanzt hätte, nee, nee,
die war ein bisschen eifersüchtig. Früher hatte ich schwarze Haare, da sah
ich besser aus als jetzt. Aber ich war ja nie eitel. Schlips und Kragen ist
ja nur für hier. Zu Hause laufe ich leger rum.
Also hast du deine Frau nicht hier kennen gelernt?
Nee, wir haben uns in den "Rheinterrassen" kennen gelernt, einem
wunderschönen Tanzlokal hinter der Friedrichstraße, das in den 60er-Jahren
abgerissen wurde. Ich habe sie noch immer gerne. Aber die Krankheit, der
Krebs, die Bestrahlung, das ist schlimm. Kochen, waschen, saubermachen, das
mache ich alles. Ich kann kochen, da kriegste ein Auge! Punkt zwölfe gibts
Mittag. Wenn es später wird, kriege ich schlechte Laune. Und jeden Tag
Gemüse! Gestern gabs Rosenkohl und Salzkartoffeln. Vorgestern Porree, da
ist alles drin an Vitaminen. Und dann habe ich Kohlrüben gekocht, schön mit
Kassler drin.
Was suchen die Leute, die in Clärchens Ballhaus kommen?
Die wollen abschalten von der ganzen Kacke und sich amüsieren. Allen geht
es ja nicht gut, junge Frau. Zum Beispiel so ein junges Mädel, das früh ein
Kind kriegt. Die kann sich doch erschießen, bis das Gör groß ist. Die von
der Leyen erzählt doch eine Kacke im Bundestag. Ihre sieben Gören werden ja
versorgt. Ich bin hier Seelentröster an der Garderobe. Da muss man
Psychologe sein. So wie neulich, eine Stammkundin, die jetzt ein zweites
Kind hat. Der hat früher ein Zahn gefehlt. Jetzt hat sie sich alles machen
lassen, sieht jut aus, ist aber immer noch alleene mit zwei Gören. Für eine
Nacht findste immer einen, aber fürs Leben? Es geht ja nicht um Pimperei,
sondern um Liebe. Wenn ich um zwölfe mein letztes Bierchen hole, horche
ich, worüber die Menschen so reden.
Und? Worüber reden die denn?
Lassen wir das lieber. Nichts Schönes. Und dann rieche ich manchmal so
Zeug, als würde jemand altes Laub rauchen. Oder auf der Toilette sieht man
oben auf dem Spüler manchmal auch so Reste von was weiß ich was.
Gab es denn viele Avancen von Frauen?
Na, jede Menge, immer noch.
Du lachst?
Ich finde das lustig. Aber ich habe meine Frau lieb. Die habe ich jetzt
schon 53 Jahre, die behalte ich ooch. Ich bin nie fremdgegangen, nicht mal
allein in die Kneipe.
Was würde dir ohne Clärchens Ballhaus fehlen?
Ick weeß ja ooch nich. Das habe ich ja noch nicht festgestellt. Aber
natürlich würde es mir leid tun für die neuen Betreiber, die das so schau
gemacht haben. An mir hängen sie! Ich wäre gerne ausgestopft als Mumie, am
Pfeiler festgebunden und einer kippt mir noch ein Bier rein. Ich will so
lange hier arbeiten, wie es geht. Ich habe ja 95 Prozent des Lebens hinter
mir. Ick freu ma jeden Tag, wenn ich die Augen aufmache und es noch geht.
10 Nov 2008
## AUTOREN
Barbara Bollwahn
Barbara Bollwahn
## TAGS
Gentrifizierung
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