# taz.de -- Schillernde Uniwelt: Wunder gibt es immer wieder | |
> Die Wunderforscherin Natascha Adamowsky ist Professorin für | |
> Kulturwissenschaft an der HU. Ihr Interesse gilt dem Außerordentlichen - | |
> ob Tiefseekraken, Geisterfotografie oder Flugtechnik. | |
Weiße Raufaserwände, Neonlicht und sehr nüchterne Schreibtische: Wie eine | |
Wunderkammer sieht das Büro der Wunderforscherin Natascha Adamowsky nicht | |
gerade aus. Und das ist so auch gewollt. Denn für die | |
Kulturwissenschaftsprofessorin der Humboldt Universität (HU) sind das | |
Unergründliche und Kuriose lediglich Gegenstände wissenschaftlicher | |
Betrachtung. "Fragen Sie bloß nicht, ob ich selbst an Wunder glaube", | |
schickt sie dem Gespräch voraus. Ihre persönliche Haltung zum | |
"Außerordentlichen", wie sie ihren Forschungsgegenstand nennt, spiele | |
überhaupt keine Rolle. Ihr Ansatz sei vielmehr "diskursanalytisch, mit | |
medientheoretischem Einschlag". | |
Also keine Wunder? Keine Marienerscheinungen, Riesenkraken und mirakulösen | |
Flugapparate? Doch, doch, beruhigt die junge Professorin und zieht einen | |
Bildband aus dem Regal. Auf einer Doppelseite erstreckt sich ein | |
Durcheinander aus exotischen Tieren und skurrilen Gerätschaften. | |
Wunderkammern wie das Grüne Gewölbe in Dresden galten in Renaissance und | |
Barock als Zierde jedes Herrscherpalastes. | |
"Das Ziel war, beim Betrachter Staunen über Handwerkskunst, | |
Hervorbringungen anderer Kulturen und Naturphänomene zu erzeugen", sagt | |
Adamowsky. Später, im Zeitalter der Aufklärung, geriet das Staunen über | |
(vermeintlich) Unerklärliches in Misskredit. Als Kuriositätenkabinette zur | |
Belustigung des einfachen Volkes rutschten die Wundersammlungen an den Rand | |
der Gesellschaft. Der Besuch einer Jahrmarkt- oder Freakshow galt als | |
minderwertiges Freizeitvergnügen: Aufgeklärte Zeitgenossen wunderten sich | |
nicht. | |
"Das Schicksal der Wunderkammer ist beispielhaft dafür, wie unsere | |
Gesellschaft mit Wundern umgeht", so Adamowsky. Der moderne Mensch gebe | |
sich rational und schwer zu beeindrucken. Doch seien Wunder auch in unserer | |
Zeit allgegenwärtig. "Wunder des Lebens oder Wunder der Technik - unter dem | |
Begriff fassen wir das zusammen, was sich der Rationalität der Moderne | |
entzieht." Obwohl wir das Erbgut des Menschen entschlüsselt haben und zum | |
Mars reisen können, gibt es Dinge, die uns die Sprache verschlagen. "Man | |
muss nicht an Wunder glauben, um von ihnen ergriffen zu werden", sagt | |
Adamowsky. | |
Gerade arbeitet die Wissenschaftlerin an einem Buch über die Tiefsee. Auf | |
diese "Welt der Wunder" haben Menschen jahrhundertelang Sehnsüchte und | |
Ängste projiziert. Unsere Vorfahren ängstigten sich vor Riesenkraken, die | |
als mythische Ungeheuer durch Seemannslegenden spukten. Seit 2004 ist die | |
reale Existenz der Tiere wissenschaftlich bewiesen - aber ändert das etwas | |
an ihrer unheimlichen Aura? Auch heute schwingt in jeder | |
Unterwasser-Dokumentation ein unwissenschaftlicher Unterton mit, der auf | |
das Traumhaft-Irreale dieser verborgenen Welt hinweist. Die Beliebtheit | |
solcher Filme, so die Forscherin, zeigt, wie bereitwillig wir uns | |
verwundern lassen. | |
Vor der Tiefe hat sich Adamowsky mit der Höhe beschäftigt, genauer gesagt | |
mit der Eroberung des Luftraums. Im 19. Jahrhundert rückte der uralte Traum | |
vom Fliegen in greifbare Nähe. Flugapparaturen sprengten die Grenzen des | |
Vorstellbaren, plötzlich schien es möglich, die Schwerkraft und sogar die | |
Zeit zu besiegen. Vom "Wunder der Technik" war die Rede. Mit dem "Space | |
Age" Mitte des 20. Jahrhunderts erreichte die menschliche Hybris einen | |
neuen Höhepunkt. "Der Diskurs der damaligen Zeit ist von | |
Heilsversprechungen durchdrungen - ein Privileg, das bis dahin der Religion | |
vorbehalten war." | |
Wie die Geschichte erwies, sind Menschen nach wie vor sterblich und können | |
weder fliegen noch durch die Zeit reisen. Die Bereitschaft, an Wunder zu | |
glauben, bleibt von historischen Fehlschlägen aber unberührt, wie Adamowsky | |
nachweist: "Ohne Wunderversprechungen kommt heute keine Auto- oder | |
Elektronikmesse aus." Laut einer GEO-Umfrage glaubt die Hälfte der | |
Deutschen an Wunderheilungen, zwei Drittel gar an die Existenz von | |
Schutzengeln. | |
Als nächstes will sich Adamowsky mit Marienerscheinungen und anderen | |
Wundern der Volksfrömmigkeit befassen. Angst vor dem Abstrusen kennt die | |
Kulturwissenschaftlerin nicht. Sie untersuchte mit Studenten bereits | |
Kornkreise und so genannte Geisterfotos, auf denen milchige Silhouetten die | |
Präsenz Verstorbener anzeigen sollen. Momentan erforscht sie Special | |
Effects als "Wunder unserer Zeit". Geheimnisvoll sind die Animationen | |
nicht. Aber sie haben wenigstens den berühmten "Boah"-Effekt, der ein gutes | |
Wunder ausmacht. | |
10 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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