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# taz.de -- Plädoyer gegen Punks: Die dümmste Jugendkultur
> In Berlin randalierten junge Punks in der Universität für "mehr Bildung"
> - und demonstrierten damit, wie sehr diese Jugendbewegung inzwischen auf
> den Hund gekommen ist.
Bild: Waren früher mal rebellisch: Punks.
Es sind bizarre Bilder, die da auf einen einstürzen, wenn man sich die
Aufnahmen von den Schülerprotesten anschaut, die am Dienstag zur
kurzfristigen Besetzung des Hauptgebäudes der Berliner Humboldt-Universität
führten. Demonstranten mit Plakaten, auf denen "Bildung für alle" steht,
die die Exponate einer Ausstellung zerreißen und anzünden, die an die
Enteignung jüdischer Unternehmer in der Nazizeit erinnerte.
Die Empörung ist groß, zu Recht natürlich. Wobei davon auszugehen ist, dass
die Randalierer einfach nicht so genau hinschauten - so bescheuert, dass
sie das Weltjudentum hinter der Bildungsmisere vermuten würden und deshalb
die Ausstellungstafeln zerbrachen, dürften nicht einmal Punks sein. Da
wurde einfach plattgemacht, was gerade da war.
Viel irrer ist eigentlich etwas anderes: dass Punks mit Schildern
rumlaufen, auf denen "Bildung für alle" steht. Aber es ist Zeichen dafür,
um was für eine unrettbar in Dummheit und Nostalgie verliebte und in
überkommene Protestgesten sowie Blindheit gegenüber der Gegenwart
versunkene Jugendkultur es sich bei Punk handelt. Punks, die "Bildung für
alle" fordern? Liebe Punks, wollt Ihr auch noch mehr Lehrer haben?
Vielleicht ist das wirklich nötig. Also: ein kleiner Nachhilfe-Unterricht
in Sachen Punk. Nicht dass man sich sklavisch an die Urformen
subkultureller Bewegungen klammern sollte - aber es ist wichtig, dass Punk
in einer bestimmten sozialen und historischen Situation entstand. In
England sind das die mittleren Siebziger, der gesellschaftliche Stillstand
und das Scheitern einer sozialdemokratischen Regierung, die nicht in der
Lage ist, ihre Versprechen auf soziale Teilhabe für breite Schichten der
Bevölkerung einzulösen. Davon handelt "No Future" wie vom gefühlten
Scheitern der sozialen Utopien der Sechzigerjahre im Allgemeinen. Punk ist
die tiefe, schwarze und todesverliebte Romantik, die das aufklärerische und
an das Gute glaubende Hippietum angreift. Das ist 1977. Ein großer Moment.
Und 1979 ist es vorbei. Postpunk übernimmt die Liebe zum Do-it-Yourself und
die Abneigung gegen das Establishment. Jahre der popkulturellen Blüte
folgen.
Auch in Deutschland lebt Punk in den frühen Achtzigern vor allem von seinem
antisozialdemokratischen Impuls. Aber auch in Deutschland wendet sich eine
Band wie die Goldenen Zitronen in den späten Achtzigern von einer Szene ab,
deren rebellische Posen für nichts mehr standen als Traditionspflege.
Daran hat sich seitdem nichts geändert. Noch der bildungsfernste Hiphopper
hat besser verstanden, wie Gesellschaft heute funktioniert, als jeder Punk.
Die Institutionen, an denen sich Punks immer weiter abarbeiten
("Schweinebullen", "Scheißstaat", "Deutschland") haben die hegemoniale
Macht, die sie einst hatten, längst eingebüßt. Man könnte es
gesellschaftliche Liberalisierung nennen oder Neoliberalismus. Aber Schule,
Lehre und Fabrik brauchen und wollen heute keine Jugendlichen mehr in die
Rolle von funktionierenden Arbeitsrobotern zwingen. Diese Zeiten sind
vorbei. Du kannst mitmachen und du kannst es bleiben lassen. Mitmachen wird
natürlich lieber gesehen, aber Bleibenlassen ist kein Verbrechen mehr.
Es ist dem Schweinesystem schlicht egal, was abgehängte Jugendliche
treiben, ob sie grüne Haare beim Biertrinken haben oder Hosen, die in den
Knien hängen. Deshalb ist die basale Geste des Hiphop, laut und vernehmlich
"Ich!" zu rufen und "Nehmt mich wahr!", auch so viel schlauer als Punks mit
ihrem steindummen Rebellengetue. Hiphop hat verstanden, dass die
Gleichgültigkeit, mit der die Mehrheitsgesellschaft ihre Unterschicht
behandelt, der Skandal ist. Die Weigerung, ihre Mitglieder als
gleichberechtigte Bürger dieses Landes überhaupt wahrzunehmen. Punk suhlt
sich immer noch in dem (mit dem pubertären Hormonschub selbstverständlich
gut harmonierenden) nostalgischen Glauben, da wäre noch eine Autorität, die
was will. Ist aber nicht.
Punk hat der Gegenwart nichts mehr mitzuteilen. Deshalb sind Punks, die mit
"Bildung für alle"-Plakaten das Foyer der Humboldt-Universität kaputthauen,
auch so lächerliche Clowns. Ein paar Hiphopper hätten tatsächlich etwas
bedeutet.
14 Nov 2008
## AUTOREN
Tobias Rapp
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