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# taz.de -- Debatte über Neoliberalismus: Die erste gerechte Finanzkrise
> In der Freien Universität Berlin diskutierte der Globalisierungskritiker
> Elmar Altvater mit Hendrik Enderlein von der Hertie School of Governance
> über Neoliberalismus.
Bild: So also sieht sie aus: Die Finanzkrise.
Der Kapitalismus kennt viele Krisen. Dass er nun wieder einmal in eine
geraten ist, ist zunächst einmal nicht so ungewöhnlich. In der Frage nach
dem Auslöser und gar Schuldigen verlässt man sich gerne auf Erklärungen,
die dem Alltagsverstand am eingängigsten sind und landet so bei den
geldgierigen Spekulanten in den Finanzkonzernen. Und vergisst so, dass die
produzierte Schuldenblase durchaus systematischer Bestandteil des
Neoliberalismus war, dass die Finanzmechanismen, die auf fiktiver Ebene
Wachstum ermöglicht haben, nun die Krise auslösten.
So war man sich in politökonomischer Tradition bei einer Podiumsdiskussion
mit dem Titel "Finanzkrise und die Folgen für den Kapitalismus" am
Montagabend in der FU Berlin auch einig, dass die Krise eine vom Staat
gemacht ist. Cirka 200 Zuhörer hatten sich eingefunden, vor allem
Studenten. Der Politologe und Mitautor von "Grenzen der Globalisierung",
Elmar Altvater, verwies auf die staatliche Deregulierung der Finanzmärkte
seit den 1970er Jahren, die zu höheren Renditen in der Finanzökonomie bei
sinkenden Renditen in der Realökonomie führten. Um die Einkommensflüsse aus
der Realökonomie in den Finanzsektor aufrechtzuerhalten, wurde durch
niedrige Zinspolitik bei gleichzeitig sinkenden Löhnen Konsum finanziert.
Das Risiko, das die hohe Verschuldung der Privathaushalte und die trotz
allem niedrig bleibenden Realinvestitionen in sich bargen, wurde, so
Altvater, über Jahre hinweg verschleiert. Vor diesem Hintergrund sei die
viel diskutierte Frage, ob die Finanzkrise auf die Realökonomie übergreife,
schlichtweg absurd. Die Krise sei vielmehr eine Krise der Realwirtschaft.
Hendrik Enderlein von der Hertie School of Governance war der Altvatersche
Ton hingegen zu normativ. Er beklagte zwar, dass die OECD-Staaten zu
Marktteilnehmern geworden seien, die nicht mehr darauf ausgerichtet sind,
zu intervenieren, verwies jedoch vor allem auf das Ungleichgewicht im
globalen Finanzmarkt. Und so ging es in seiner Perspektive immer wieder um
den Staatsinterventionismus Chinas, das als Kapitalgeber für die
schuldenfinanzierte US-Wirtschaft eine fatale Vergünstigung der Kredite in
den USA herbeigeführt habe. Dass die Krise nicht bloß eine des
Finanzsektors, sondern eine des gesamten so genannten
Finanzmarktkapitalismus ist, stellte auch Politökonomin Susanne Lütz von
der FU Berlin heraus. Der Kern des Übels lag ihr zufolge in der
Privilegierung der Unternehmensfinanzierungen und der starken Entkopplung
der Finanz- von der Realökonomie. Der Soziologe Paul Windolf von der
Universität Trier verwies dementsprechend darauf, dass je stärker
Unternehmen über den Finanzmarkt finanziert werden, umso wahrscheinlicher
Finanzmarktkrisen würden. Windolf nahm die Krise am gelassensten.
Schließlich seien Krisen Bestandteil des kapitalistischen
Produktionsprozesses, gar eine Art Risikoverteilungsmaschine, kreativ und
zerstörerisch zugleich. Die Frage sei, wer jeweils die Rechnung bezahle.
Über die Folgen des ganzen Desasters wagte sich niemand zu äußern. Jenseits
des Befundes eines Armageddons waren die Perspektiven überraschend
geschmeidig auf die Frage gerichtet, wie dem Ganzen nun beizukommen sei.
Neben der Forderung einer neuen Finanzarchitektur, die die schwarzen Löcher
der Weltwirtschaft stopfen müsse, hatte man mit dem Vorschlag, den IWF zu
stärken, keine andere Idee als die Staaten des G-20-Gipfels am letzten
Wochenende.
Altvater forderte ein Ende der neoliberalen Wirtschaftsdoktrin und war
hoffnungsvoll, was eine mögliche zivilgesellschaftliche Beteiligung in
einem nun geöffneten Diskursraum anbelangt. In einer Krise von diesem
katastrophischen Ausmaß, einer geradezu zivilisatorischen Krise, die die
gesamte Kultur, die Moral und - vor allem in den USA - die Urbanität als
solche betreffe, gebe es nur Verlierer. Sollte dem so sein, dann wäre diese
Krise vielleicht gar die erste gerechte Krise des Kapitalismus.
19 Nov 2008
## AUTOREN
Tania Martini
Tania Martini
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
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