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# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Kirchenväter des Kommunismus
> Wie antisemitisch war die DDR? Wer das beantworten will, kann Marx nicht
> ignorieren.
Bild: Julius (m.) und Ethel (r.) Rosenberg mit dem stellvertretenden US-Marshal…
"Die DDR war sowohl antisemitisch als auch antiisraelisch" Michael
Wolffsohn
"Bis heute wirkt ein latenter Antizionismus und Antisemitismus bei vielen
Ostdeutschen fort." Konrad Weiss
Das neudeutsche Durchschnittsbewusstsein weiß es schon, bevor es etwas
weiß: Die DDR war totalitär, war die zweite Diktatur auf deutschem Boden,
wie sollte sie da nicht antisemitisch gewesen sein? Alle schrecklichen
Dinge sind drei. Manch einer möchte da gern noch etwas sagen. Aber möchte
er dann nicht eigentlich etwas anderes - verharmlosen nämlich?
Was am meisten an diesem Denkmuster stört, ist, dass die DDR genau so
dachte: in geschützten Begriffskorsetts plus Verdachtskultur. Man weiß
Dinge abstrakt und damit für immer, und wer noch etwas ergänzen möchte, ist
ein Agent des Gegners. Wenn er das nicht einmal sein will, ist es noch
schlimmer, denn dann ist er ein unbewusster Agent des Gegners. Diese
Aussichtslosigkeit verstimmt.
Vielleicht kommt es gerade bei diesem Thema darauf an, eine sehr spezielle
Form der Wirklichkeit mitzudenken: die ideelle. Denn dass linkes, auch
kommunistisches Bewusstsein ursprünglich ein emanzipatorisches, ein
universalistisches Bewusstsein gewesen ist, gehört zur Wahrheit seiner
Geschichte - selbst zu seiner DDR-Geschichte.
Die Nationalsozialisten haben das auf ihre Weise gewusst und in einem
Atemzug vom jüdischen Bolschewismus und Kosmopolitismus gesprochen. Karl
Marx, der Kirchenvater aller Kommunisten, war Jude. Und ist es Zufall, dass
so viele Juden Kommunisten wurden? Oder sollte man sagen: dass Juden
besonders anfällig waren für die kommunistische Ideologie?
Der Sohn einer Trierer Rabbinerfamilie trat heraus aus seiner Herkunftswelt
und wusste, dass die neugewonnene Freiheit kein Zufall sein konnte. Schon
gar keine Gnade, nicht die Gottes, schon gar nicht die Napoleons. Die neue
Freiheit hatte System - sie musste in der Entwicklung der Gesellschaft
selbst begründet liegen. Karl Marx suchte ihre Wurzel und fand die
Globalisierung: "Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle
feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die
buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen
Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen ? (s)ie hat die heiligen
Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der
spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung
ertränkt." Lauter höchst ambivalente Vorgänge also, freiheitsgewinnende
Entseelungen, Globalisierungsschritte. Und nebenbei wurde sogar die uralte
- mittelalterliche - Rechtlosigkeit der Juden beseitigt. Selbst die Rechte
der Frauen waren nur noch eine Frage der Zeit. Marx verfasste gemeinsam mit
seinem Koautor Engels eine scharfsinnige Analyse der Globalisierung mit
einer ziemlich gewagten, spekulativen, durchaus fatalen Schlussfolgerung
und nannte das Ganze "Das kommunistische Manifest".
Viele Juden ließen wie er mit der neuen Freiheit die eigene Tradition, den
eigenen Glauben ganz ohne Bedauern zurück. Gerade weil jene bis eben nicht
nur Heimat, sondern auch Gefängnis gewesen waren, eine "Volksmumie, die
über die Erde wandelt, eingewickelt in ihre uralten Buchstabenwindeln, ein
verhärtet Stück Weltgeschichte, ein Gespenst, das zu seinem Unterhalt mit
Wechseln und alten Hosen handelt ?" Wer durfte das so hochpräzis-böse
sagen? Heinrich Heine, der sein Judentum doch nie wie Marx einfach
abgestreift hat. Schon weil er ein Dichter war. Letztlich hat die
kommunistische Tradition in ihrer provozierenden Gleichgültigkeit gegenüber
Traditionen und Herkunftswelten einen typisch jüdischen Schritt ins Freie
fortgesetzt. Alle bisherigen Bewusstseinsformen, glaubte sie mit Marx, sind
nur Verschleierungen der Wirklichkeit - und wer habe besonderen Grund, das
zu erkennen? Das Proletariat, die neue Klasse.
Aber was hatten die jüdischen Bürgersöhne Marx und Heine mit dem großen
Verlierer des Fortschritts, mit dem Proletariat, zu schaffen? Eigentlich
nichts. Nur dass soeben Befreite vielleicht besonders feinfühlig sind, was
die Unfreiheiten anderer betrifft. Wer kann sich heute das Arbeiterelend
des 19. Jahrhunderts überhaupt noch vorstellen?
Wer sich Kommunist nannte, wusste sich schon von dem Juden Marx her frei
von allen Vorurteilen der Herkunft, der Rasse, der Religion. Und nur in
diesen Bezügen lässt sich geistig verantwortungsvoll von Antisemitismus
reden. Was jemand wie Konrad Weiss der DDR als Antisemitismus auslegt -
eben ihr großes Misstrauen, ja Feindseligkeit gegen alle Tradition, die
jüdische inklusive -, rührt, paradox genug, letztlich aus dem Gegenteil. Es
war ein Universalismus, der unduldsam machte gegen alle Partikularismen.
Das birgt enorme Momente von Barbarei, doch waren in dieser Hinsicht sogar
die alten Kommunisten am Ende lernfähig. Solche Bemühungen um das jüdische
Erbe wie in den letzten Jahren der DDR hat es zuvor nicht gegeben.
Es geht hier nicht um eine letzte Ehrenrettung des höchst fatalen
Staatswesens der DDR mitsamt seiner politischen Israel-Feindschaft. Doch
man sollte schon im Interesse der Zukunft Vergangenheiten auf Augenhöhe
begreifen. Und es ist geradezu geistig strafbar, Antisemitismus mit
politischer Israelfeindlichkeit zu verwechseln, wie unselig diese auch war.
Mit nur etwas Verantwortungsgefühl, einem Minimum an historischem Takt
hätte ein deutscher Staat anders reagieren müssen. Selbst wenn ihn Israel
lange nicht anerkannt hat (was sich mit den arabischen Staaten ganz anders
verhielt). Selbst wenn ihm nicht ganz ohne Grund die Palästinenser als
schwächere und schon damit unterstützenswerte Seite erschienen.
Israelpolitik zwischen den Fronten des Kalten Krieges war per se ein Übel
für sich.
Die Kommunisten der DDR, wiedergekehrt aus den Lagern und aus dem Exil,
fühlten sich nicht verantwortlich für die Vergangenheit. Als Repräsentanten
ihrer selbst, ihrer Partei mochten sie recht haben. Als Repräsentanten
eines deutschen Teilvolkes hatten sie es nicht. Auch wenn sie sich von
Anfang an und bis zuletzt vor diesem Volk fürchteten. Denn dass der
deutsche Antikommunismus gar nicht so verschieden gewesen war vom deutschen
Antisemitismus, war ihnen nur zu klar.
Vorsätzlich antisemitisch waren die alten Kommunisten der DDR nicht. Im
Gegenteil, sie sahen zu dem Juden Marx auf wie zu einem Heiligen. Sie
hatten ihn auswendig gelernt wie einen Katechismus, anders wussten sie ihn
nicht zu handhaben. Verehrung war die eine Seite, Feindseligkeit die
andere. Denn vor Menschen, die klüger waren als sie - es waren viele
jüdische Kommunisten darunter - hatten die regierenden Kommunisten sehr
wohl Angst. Das plebejische Bewusstsein ist immer intelligenzskeptisch,
schwankend zwischen Verehrung und Verfolgung. Wo es sich kleinbürgerlich
zum Maßstab aller Dinge macht, wird der Übergang seiner
Intelligenzfeindlichkeit zum Antisemitismus tatsächlich fließend.
18 Nov 2008
## AUTOREN
Kerstin Decker
## TAGS
Antisemitismus
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