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# taz.de -- Mexikos Krieg im Inneren: Mit Militär gegen die Drogenmafia
> Schon 4400 Menschen wurden allein 2008 in Mexiko Opfer vom Kampf von
> Drogenkartellen gegen Polizei. Der Staat versucht vergeblich, das Problem
> militärisch zu lösen.
Bild: Erst vor einem Jahr wurden in Mexiko 11 Tonnen Kokain auf einen Schlag ge…
Es war der wohl ungewöhnlichste Unfall, den Mexiko-Stadt je erlebt hat: Am
frühen Abend des 4. November zerschellt ein Kleinflugzeug auf einer der
großen Straßen im Zentrum der Metropole. Mitten im Berufsverkehr. 14
Menschen sterben, unter ihnen alle acht Insassen des Sportfliegers. Seither
streitet die mexikanische Öffentlichkeit über die Hintergründe des
Unglücks: Handelt es sich, wie Präsident Felipe Calderón nahelegt, um einen
gewöhnlichen Unfall? Oder steckt etwa die Drogenmafia hinter dem
mysteriösen Absturz? Davon gehen viele Mexikanerinnen und Mexikaner aus.
Und das mit gutem Grund: In der Learjet-Maschine saßen Innenminister Juan
Camilo Mouriño Terrazo und der Strafverfolger José Luis Santiago
Vasconcelos. Die beiden zählten zu den wichtigsten Personen im Kampf gegen
die mexikanischen Drogenbosse.
Ausmaße wie in Afghanistan
Vasconcelos führte bis vor kurzem in der Generalstaatsanwaltschaft die
Ermittlungen gegen die Capos. Zweimal schon hatten Killer versucht, ihn zu
ermorden. Mouriño galt als rechte Hand Calderóns, der den Krieg gegen die
Drogenmafia zur wichtigsten Aufgabe gemacht hat. Noch wenige Stunden vor
seinem Tod hatte der Innenminister eingeräumt, dass dieser Kampf "Zeit,
Geld und leider auch Menschenleben" koste. Staatschef Calderón, der Mouriño
als engen Freund bezeichnete, versprach Aufklärung. Zwar spreche wenig
gegen die These eines gewöhnlichen Unfalls, aber "die Regierung von Mexiko
hat nicht das geringste Interesse, etwas zu verschleiern".
Seither bemühen sich einheimische Polizisten, das US-amerikanische FBI und
britische Experten um Aufklärung. Letzte Funksprüche werden gesichtet,
Flugschreiber ausgewertet. Bislang mit mäßigem Erfolg. Auch die jüngste
These, nach der das Flugzeug in einen Luftstrudel gekommen sei, wollen
viele nicht glauben. Aber sowohl die Selbstverständlichkeit, mit der große
Teile der Bevölkerung von einem Anschlag ausgehen, als auch Calderóns
Bemühen, diesen Verdacht auszuschließen, machen eines deutlich: Ganz Mexiko
traut den Drogenbossen zu, den Staat in seinem Herzen zu treffen. Sollte
die Mafia hinter dem Unfall stecken, würde das bestätigen, dass der Staat
jetzt auch auf Bundesebene ist, was er in vielen Regionen längst darstellt:
ein "failed state", in dem die Capos das Sagen haben. "Es gibt keinen Ort
im Land, der nicht von der Gewalt des Drogenhandels beeinflusst ist",
resümiert der Journalist Ricardo Ravelo, der wöchentlich in der Zeitschrift
Proceso die neuesten Geschichten der Kartelle erzählt.
Ein Blick auf die letzten Wochen bestätigt das: Am Mittwoch wird der Chef
von Interpol Mexiko wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Drogenmafia
festgenommen. Im Bundesstaat Sinaloa sterben an einem Tag 58 Menschen,
unter ihnen der Polizeipräsident des Landes. Kurz zuvor werden 35
Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft verhaftet, weil sie mit den
Kartellen kooperiert haben sollen, der Chef der Bundespolizei tritt aus
demselben Grund zurück. Letzten Donnerstag werden im nordmexikanischen
Ciudad Juárez zwölf Menschen ermordet, unter ihnen der Polizeireporter
Armando Rodríguez. Insgesamt sterben allein in den ersten zehn Monaten
dieses Jahres 4.400 Menschen durch die Kugeln von Polizisten, Soldaten oder
rivalisierenden Banden - Dimensionen, wie man sie nur von
Kriegsschauplätzen wie Afghanistan kennt.
Eine schlechte Bilanz für Calderón. Der konservative Staatschef hatte zum
Amtsantritt im Dezember 2006 den "Narcos" den Krieg erklärt. Er schickte
die Armee in mehrere Bundesstaaten und in die Städte an der US-Grenze:
Tijuana, Ciudad Juárez, Nuevo Laredo. Rund 40.000 Soldaten und Polizisten
sind inzwischen im Einsatz, um Hanf- und Mohnfelder zu vernichten oder
Transportrouten zu kontrollieren. Der Haushalt zur Verbrechensbekämpfung
wurde um ein Viertel erhöht, die Militärs sollen 16 Prozent mehr Geld
erhalten. Auch die USA steuern ihren Teil bei, schließlich kommen die
meisten der dort konsumierten Drogen aus oder über Mexiko ins Land:
Marihuana, Heroin, Kokain. Um den Nachschub zu verringern, stellt
Washington dem südlichen Nachbarn im Rahmen der "Initiative Mérida" 1,4
Milliarden Dollar zur Verfügung. US-amerikanische Black-Hawk-Hubschrauber
sollen die Überwachung erleichtern, US-Profis sollen mexikanische
Polizisten und Soldaten ausbilden.
Warlords kontrollieren das Land
Doch viele misstrauen dem Versuch, das Problem militärisch zu lösen. "Noch
nie hat das Militär die Drogenmafia besiegt. Das ist noch nicht einmal der
US-amerikanischen Armee in Afghanistan gelungen", erinnert der Historiker
Lorenzo Meyer. Zu eng sind die Netzwerke der "Narcos" geflochten. In
einigen Regionen kontrollieren die Warlords fast das gesamte soziale,
politische und ökonomische Leben: Sie finanzieren Gouverneure,
Staatsanwälte sowie Polizisten und verhelfen Jugendlichen, Kleinbauern oder
Taxifahrern zu einem Einkommen. Sie bewegen sich völlig frei. So feierte
"El Chapo" Joaquín Guzmán, der Chef des Golfkartells, letztes Jahr ganz
öffentlich seine Hochzeit, geschützt von einer Armada bewaffneter
Leibwächter. Die Polizei traf plangemäß erst ein, als der meistgesuchte
Capo Mexikos längst über alle Berge war.
Wer in diesem Ambiente für die falsche Seite kämpft, bekommt es mit der
Justiz der Kartelle zu tun. Die Clans verfügen über Killertrupps, deren
Brutalität keine Grenzen kennt: Sie hacken ihren Opfern die Köpfe ab,
zerstückeln Leichen oder filmen Folterungen und stellen die Aufnahmen ins
Internet. Unkontrollierbare Zonen? Nein, meint der Mafia-Experte Ivan
Briscoe vom Madrider Think-Tank Fride: "Es handelt sich nicht um Regionen
ohne Regierungen, sondern um welche mit alternativen Regierungen, die von
den Narcos gestellt werden." Die Clans verfügten dort über so viel
Legitimität, so Briscoe, "weil der Staat praktisch abwesend ist".
Die korrupte Struktur hat eine lange Geschichte, die eng mit der einst
regierenden Staatspartei PRI zusammenhängt, in deren korporativistischem
System Unternehmer, Gewerkschafter und Bauernorganisationen ebenso
eingebunden waren wie das Militär und die organisierte Kriminalität. Sie
ist aber auch ein Ergebnis der wirtschaftsliberalen Politik Mexikos. Viele
Kleinbauern können durch den Freihandel mit den USA und Kanada nicht mehr
mit den subventionierten landwirtschaftlichen Produkten aus dem Norden
konkurrieren. Folglich setzen zahlreiche Bauern auf den Hanf- oder
Mohnanbau, der ihnen den hundertfachen Kilopreis von Mais oder Bohnen
verspricht. Und auch lokale Politiker nehmen gerne die Unterstützung der
"Narcos" in Kauf, um sich ein sicheres Leben und dem Dorf soziale
Mindeststandards zu garantieren, die der Staat längst nicht mehr bietet.
Zudem versprechen die Drogenbarone einen Gegenentwurf zur trostlosen
Realität: Verarmte Jugendliche verdingen sich als bezahlte Killer und
verschaffen sich so ihre Bestätigung in der vom Machismus geprägten
Gesellschaft. Dass das "High Life" mit Frauen, Koks und schnellen Autos nur
von kurzer Dauer ist, gehört zum Lifestyle.
Tonnenweise Kokain
Gegen solche Verhältnisse fordern Calderóns Kritiker langfristige Maßnahmen
anstelle von Feuerwehrpolitik: Justizreformen, Alternativen zum
Drogenanbau, Zeugenschutz und eine gerechtere Wirtschaftspolitik. Dass die
Polizei Capos verhaftete, tonnenweise Kokain beschlagnahmte und eine Menge
Hanf in Rauch auflöste, halten sie für Effekthascherei. "Der Drogenkonsum
in den USA hat sich nicht verringert", sagt José Rosario vom
Menschenrechtszentrum ProDH aus Mexiko-Stadt. "Aber durch den massiven
Einsatz der Armee wurde die Logik des Krieges übernommen." Er verweist auf
Fälle, in denen Frauen von Soldaten vergewaltigt wurden. Zudem werde das
Militär in aufständischen Regionen stationiert, um gegen soziale und
indigene Bewegungen vorzugehen. "Die Armee muss sofort zurückgezogen
werden", fordert der Menschenrechtler.
Nicht alle teilen diese Meinung. Seit am 15. September auf einer
öffentlichen Feier zwei Handgranaten explodierten und sieben Menschen in
den Tod rissen, hat sich die Drogenmafia wortwörtlich mitten in die
Gesellschaft gebombt. Bislang spielte sich der Krieg vor allem unter den
Beteiligten ab. Mehr oder weniger korrupte Polizisten, Soldaten oder
Auftragsmörder schossen sich gegenseitig nieder. Doch seit diesem Anschlag
in der zentralmexikanischen Stadt Morelia ist klar: Es kann jetzt jeden
treffen. Nun spricht man freimütig darüber, dass gegen die Mafia Folter
eingesetzt werden müsse, viele fordern die Einführung der Todesstrafe. Bis
zu 60 Prozent der Bevölkerung sind bereit, für mehr Sicherheit ein Stück
Freiheit aufzugeben. Calderón wird den Rückenwind zu nutzen wissen. Der
Krieg wird weitergehen, und die Mafia ist vorbereitet, wie ein Fund vor
wenigen Tagen zeigt: Im nordöstlichen Bundesstaat Tamaulipas stellte das
Militär in einem Lager des Golfkartells 540 Schusswaffen, eine halbe
Million Patronen, 162 Granaten, einen Raketenwerfer und mehrere vergoldete
Pistolen sicher.
21 Nov 2008
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
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