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# taz.de -- Falschaussage in den 80ern: Spätes Geständnis eines Polizisten
> Eine Abgeordnete wird wegen Beamtenbeleidigung angezeigt und verurteilt.
> 25 Jahre später gesteht ein Polizist: "Wir haben gelogen". Er und der
> Anwalt erinnern sich.
Bild: Die Macht der Polizei zeigt sich manchmal auf unschöne Weise - hier beim…
Der Polizist
"Es war der letzte Höhepunkt des Kalten Krieges. Am 23. November 1983
beschloss die Bundesregierung, die Pershing-II-Rakete für die Amerikaner
aufzustellen. Die Debatte im Bundestag tobte bis tief in die Nacht, während
draußen die Friedensbewegung demonstrierte. Um Störungen zu verhindern,
waren mehrere tausend Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet in Bonn
zusammengezogen worden.
Ich war 18 und gehörte zu einer Polizeieinheit aus Nordrhein-Westfalen. Wir
hatten die Aufgabe, die eingezäunte Bannmeile zu bewachen. Nur Personen,
die einen Bundestagsausweis hatten, sollten wir einlassen.
Es war dunkel und furchtbar kalt. Politisch hat mich diese ganze
Pershing-Debatte überhaupt nicht interessiert. Hauptsache, die Russen
kommen nicht, war die Haltung im Kollegenkreis. Bei Minus zehn Grad konnten
wir uns was Besseres vorstellen, als uns vor dem Parlament die Beine in den
Bauch zu stehen. ,Ausgerechnet jetzt muss diese linke Brut demonstrieren',
schimpften meine Vorgesetzten. Die Grünen waren damals gerade in den
Bundestag eingezogen. So, wie sie sich aufführten, mochte sie keiner von
uns. Denen haben wir diesen verdammten Einsatz zu verdanken, stand für uns
fest.
Zusammen mit einem Kollegen, der auch noch sehr jung war, war ich an einem
Seiteneingang eingesetzt. Wir waren gereizt. Nicht mal aufwärmen konnten
wir uns. Da kam die grüne Bundestagsabgeordnete Gabriele Gottwald mit einem
Begleiter. Frau Gottwald hatte einen Bundestagsausweis, der Mann nicht.
,Sie dürfen rein, er nicht', habe ich zu Frau Gottwald gesagt. Mein Kollege
war ein stiller Typ. Ich war der Wortführer. Der Mann gehöre auch zur
Fraktion, hat Frau Gottwald argumentiert. Wir sollten sie gefälligst
passieren lassen. Das Gespräch wurde lauter. ,Ich mache mich hier zum
Affen. Ich muss mich doch nicht von solchen Leuten verscheißern lassen',
rief sie schließlich empört. Aber mein Kollege und ich haben uns so
aufgebaut, dass der Mann nicht durch konnte. Irgendwann habe ich über Funk
Verstärkung angefordert. Die traf in Person des Zugführers und des
Hundertschaftsführers ein. Da sind Frau Gottwald und der Mann wutentbrannt
abgehauen.
Auf Frage des Zugführers, wer das war, habe ich gesagt: ,Das war die
Abgeordnete Gottwald. Sie hat geschimpft wie ein Rohrspatz.' Wir haben die
Namen notiert. Damit war die Sache für mich erst mal erledigt.
Drei Tage später rief mich mein Vorgesetzter, der Hundertschaftsführer, ins
Büro. Er habe in meinem Namen gegen die grüne Bundestagsabgeordnete
Gottwald Anzeige erstattet. ,Wir müssen uns nicht von solchen Leuten als
Idioten, Affen und Scheißer beschimpfen lassen', erklärte er mir. Daraufhin
ich: ,Das hat sie doch gar nicht gesagt.' Er: ,Egal. Wir ziehen das jetzt
durch. Ich habe es gehört, ihr Kollege und der Zugführer auch.' Das sind ja
Machenschaften, hab ich mir gedacht. Der Zugführer und der
Hundertschaftsführer waren bei dem Streit doch gar nicht vor Ort. Aber ich
habe nicht widersprochen. Ich war ja erst 18 und mitten in der Ausbildung.
Wenn man das Maul aufreißt, ist man schnell weg vom Fenster. Ich hatte den
Eindruck, der Hundertschaftsführer wollte mal was erleben. In einer großen
Kaserne, wie es die unsere war, kann man sich mit so was profilieren. Sonst
wurden wir eher zu Einsätzen wegen Parken in der dritten Reihe gerufen.
Um ehrlich zu sein: Die Geschichte hat mir gefallen. Ich bin aus der Masse
der Auszubildenden rausgetreten. Das erfüllt einen mit Stolz. Die meisten
von uns waren politisch Mitte bis rechts eingestellt. Von überall habe ich
Schulterklopfen bekommen. Bald war ich bekannt wie ein bunter Hund.
Der Prozess fand in Bonn statt. Die Anklage lautete auf Beleidigung. Der
Zuschauerraum war voll mit Polizisten. Wir waren vier Zeugen. Ich, der
Azubi, war der Hauptzeuge. Mir ging ein bisschen die Muffe, weil ich gehört
hatte, dass der Ströbele der Verteidiger von Frau Gottwald ist. ,Bei dem
müssen Sie aufpassen. Der hat die Baader-Meinhof-Geschichte mit vertreten',
hatte mich mein Hundertschaftsführer gewarnt. Aber für den Staatsanwalt und
das Gericht war der Fall von Anfang an klar. Ihre Antipathie gegen Frau
Gottwald und Herrn Ströbele war deutlich zu spüren. Wenn man dann noch die
Kollegen im Publikum flüstern hört: ,Gib Gas!', ,Mach weiter!', wird man,
so jung wie ich war, als Zeuge richtig keck. Es war ein abgekartetes Spiel,
obwohl der Ströbele sehr eloquent war. Wir vier Zeugen waren uns einig.
Frau Gottwald hatte keine Chance.
Auch die Berufungsverhandlung endete mit einer Verurteilung. Der Polizei
als Staatsgewalt wird grundsätzlich geglaubt. Ein Polizist, so die gängige
Auffassung, lügt nicht. Schließlich ist er auf das Grundgesetz vereidigt.
Zum Zeitpunkt des Berufungsprozesses hatte ich eigentlich die Schnauze
voll. Aber wenn man einmal eine Falschaussage gemacht hat, kommt man nicht
mehr raus - zumal, wenn vier Leute drinhängen. Es herrscht Gruppenzwang.
Außerdem war ich kurz zuvor wegen Alkohols am Steuer vom Dienst suspendiert
worden. Nach einer Party hatte ich den Fehler begangen, mit 1,35 Promille
intus ins Auto zu steigen. Die Trunkenheitsfahrt hat mich den Polizeiberuf
gekostet, weil ich noch in der Ausbildung war. Mein Hundertschaftsführer
hatte richtig Angst, dass ich vor Gericht auspacken würde. Ich hatte ja
nichts mehr zu verlieren. Ich bekam Anrufe. ,Machen Sie jetzt jetzt bitte
keinen Ärger. Das ziehen wir durch wie beim ersten Mal. Sie sitzen genauso
mit im Boot.' Man hat mir sogar Hoffnung gemacht, dass ich vielleicht doch
bei der Polizei bleiben kann. Das war natürlich ein Irrtum.
Ich war dreieinhalb Jahre Polizist. Danach habe ich mich beruflich
umorientiert. Durch Erzählungen von Kollegen weiß ich, dass solche
Geschichten öfter vorkommen. Ich will nicht sagen, dass das die Regel ist.
Aber einige haben sich damit regelrecht gebrüstet.
Das ist heute nicht anders. Ich habe noch Verbindung zur Polizei und höre,
dass nach wie vor gemauschelt wird. Man kann im Einsatz immer so oder so
entscheiden. Man braucht nur eine einfache Verkehrskontrolle anzugucken.
Bürgern, die frech Paroli bieten oder politisch unliebsam sind, wischt man
gern mal eins aus.
Was ins Beuteschema passt, wird ausgenutzt. Ich war dabei, wie ein
Obdachloser, der Kinder angebaggert hat, auf der Wache getreten worden ist.
Immer in den Arsch. Selbst da hatte ich das Gefühl, dass hat er verdient.
Wieso packt der Kinder an? Wir haben Obdachlose - Penner, wie wir sagten -
mit dem Streifenwagen 30 Kilometer außerhalb der Stadt bei Wind und Wetter
ausgesetzt.
Warum ich das alles nach 25 Jahren offenbare? Ich bin selbst Opfer eines
Lügenkomplotts geworden. Es ist eine extrem demütigende Erfahrung. Ich
schäme mich, dass ich mich an so etwas beteiligt habe. Ist doch klar, wem
der Richter glaubt, wenn Aussage gegen Aussage steht. Die Polizei hat die
Macht."
*Dieter Lehmann (Name geändert) ist 44 Jahre alt und selbstständig.
Der Anwalt
"Ein echter ehemaliger Polizist schickt mir ein Lügengeständnis. Ich habe
meinen Augen nicht getraut, als ich die Mail in meiner Abgeordnetenpost
entdeckte. Als Strafverteidiger in politischen Prozessen hatte ich oft den
Eindruck, dass Polizisten falsch aussagen. In weit schlimmeren Fällen als
dem vorliegenden, in dem es ,nur' um eine Beleidigung ging. Aber an ein
konkretes Geständnis eines Lügenkomplotts aus Gewissensbissen kann ich mich
nicht erinnern.
In den Achtzigerjahren habe ich viele Leute verteidigt, die bei
Demonstrationen und Aktionen gegen Raketenstationierung oder den Bau von
Atomkraftwerken festgenommen wurden.
Es war die Zeit der unerbittlichen Konfrontationen der Polizei mit den
Demonstranten der großen sozialen Bewegungen. Da wurden Straßen und
Stationierungsorte blockiert, Bauplätze und Häuser besetzt. Die Polizei
riegelte Stadtteile und ganze Regionen ab, kesselte Demonstranten ein und
ging mit großer Härte häufig nach militärischen Einsatzregeln vor.
In den folgenden Strafprozessen gegen Demonstranten mussten zur
Abschreckung Verurteilungen her. Immer wieder waren wir dabei mit Aussagen
von Polizisten konfrontiert, die nicht stimmen konnten.
In trauriger Erinnerung ist mir eine besondere Gemeinheit. Ein Mandant
berichtete, wie es ihm nach seiner Festnahme erging: Ein Polizist hielt ihn
rechts, der andere links, während ein dritter sich Handschuhe anzog und ihm
mehrfach mit der Faust ins Gesicht schlug. Vor der Festnahme war der Mann
unversehrt, danach schwer verletzt. Vor Gericht sagten die Polizisten, der
Festgenommene sei auf dem Weg zur Wache absichtlich mit dem Kopf gegen eine
Eisentür gelaufen. Verurteilt wurde der Verletzte - wegen Widerstands gegen
die Staatsgewalt.
Die Gerichte haben Polizeibeamten in der Regel geglaubt, obwohl die
Aussagen aus den geschlossenen Einheiten häufig offensichtlich von
Corpsgeist und Kameradschaft geprägt waren. Uns Anwälten blieb nur,
Widersprüche aufzuzeigen, Falschaussagen konnten wir nicht beweisen. Es gab
Richter, die dann nicht verurteilten. Aber das war die absolute Ausnahme.
,Sei vorsichtig', habe ich Mandaten gewarnt, wenn sie gegen Polizisten
vorgehen wollten. ,Hast du Zeugen? Gibt es Fotos?' Wenn nicht, habe ich von
Strafanzeigen abgeraten, um die übliche Reaktion mit Gegenanzeigen zu
vermeiden.
Seither fordern wir mit Bürgerrechtlern die individuelle Kennzeichnung der
Polizisten in geschlossenen Einsätzen. Die amtliche Vermummung mit Uniform,
Helm und Gesichtsschutz verhindert die Identifizierung eines Straftäters
aus den Reihen der Polizei. Aber kein Bundesland traut sich bisher, diese
Forderung umzusetzen.
Heute bemüht man sich, harten Konfrontationen von Polizei und Demonstranten
entgegenzuwirken - und es gibt viel mehr Beweismittel, wie Fotos und
Videos.
Aber zu Falschbeschuldigungen durch Sicherheitskräfte kommt es immer noch.
In meinem letzten Fall als Strafverteidiger habe ich es erlebt. Für einen
Angeklagten gibt es kaum etwas Gemeineres, als zuerst zusammengeschlagen
und dann aufgrund einer Falschaussage auch noch zu Unrecht verurteilt zu
werden. Kein Wunder, wenn ein Justizopfer nach so einer Erfahrung mit dem
Rechtsstaat fertig ist."
Christian Ströbele, 69, ist seit 1967 Rechtsanwalt. Im Bundestag, wo er
seit 1998 für die Grünen sitzt, ist er unter anderem für Polizei und
Sicherheitsdienste zuständig.
PROTOKOLLE VON PLUTONIA PLARRE
21 Nov 2008
## TAGS
Polizei Niedersachsen
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