# taz.de -- Klage wegen "irreführender Werbung": Darmkanone von Danone | |
> Warum essbare Seltsamkeiten wie probiotischer Joghurt und andere | |
> Functional-Food-Produkte ein Thema für den Verbraucherschutz in | |
> Deutschland und den USA sind. | |
Bild: Yummie! Und wirkt angeblich auch bei einer miesen Darmflora. | |
Lebensmittelhersteller verkaufen uns "Functional Food" gern zwei- bis | |
dreimal so teuer wie vergleichbare Produkte. Angeblicher Effekt: | |
Gesundheits- und Heilungserfolge, wie sie Medikamente kaum erreichen. Da | |
gibt es cholesterinsenkende Margarine gegen Infarkt, angeblich | |
krebshemmende ACE-Vitamindrinks, herz- und hirnschützende | |
Omega-3-Fettsäuren im Brot, fruchtbarkeitsförderndes Erotikbrot, | |
Anti-Aging-Bier gegen das Altern, Anti-Falten-Marmelade und probiotischen | |
Joghurt, der die Darmfunktionen regenerieren und unser Abwehrsystem stärken | |
soll. Das alles natürlich ohne jede schädliche Nebenwirkung und deshalb | |
auch ohne die bei Medikamenten vorgeschriebenen Beipackzettel. | |
"So was gibts gar nicht!", sagt Professor Dr. Beda M. Stadler, Direktor des | |
Instituts für Immunologie der Uni Bern (Schweiz): "Entweder wirkt eine | |
Substanz wirklich auf unseren Organismus, dann hat sie - wie jedes | |
Medikament - auch Nebenwirkungen. Oder die Substanz zeigt keine | |
Nebenwirkungen, dann hat sie auch keine Wirkung!" | |
Doch gegen solche Argumente werden die Anzeigenabteilungen der Konzerne | |
aktiv. So flüstern sie etwa Zeitungsverlagen, dass bei kritischen Berichten | |
über Probiotika die Anzeigenflut versiegen könnte. Oder die | |
Lebensmittelhersteller versagen Journalisten konkrete Antworten und | |
schütten sie stattdessen mit Lobgesängen ausgewählter Wissenschaftler zu. | |
Wirklich neutrale Wissenschaftler dagegen werden ignoriert. Vor allem | |
Hersteller von Joghurt, Babykost oder Wurst mit probiotischen Zutaten | |
halten ihre Werbung, dass Probiotika die Darmflora verbessern und | |
Abwehrkräfte bzw. unser Immunsystem stärken, für unangreifbar. Die Branche | |
mag andererseits nicht hören, dass einige Keime, die die Wunder im Darm | |
angeblich vollbringen, ursprünglich durch Abstriche aus der menschlichen | |
Scheide und am Darmausgang gewonnen wurden. | |
"Quatsch!", sagt die Pressesprecherin eines Lebensmittelkonzerns: "In | |
Keimgenerationen gerechnet ist das doch inzwischen so weit weg wie die | |
Abstammung des Menschen vom Affen." Klar! Der Unterschied: Im Labor wachsen | |
allein jeden Tag viele Keimgenerationen heran. Und wenn die Keime im | |
probiotischen Joghurt (pro bios = für das Leben) tatsächlich nicht mehr das | |
Geringste mit ihrer ursprünglichen Herkunft zu tun haben, müssten sie | |
eigentlich ihre Erbanlagen (durch Mutation oder gar durch Genmanipulation?) | |
verändert haben und längst Fremdlinge in unserem Verdauungstrakt sein. | |
Wie aber können sie dann noch unter schädlichen Darmkeimen aufräumen? Doch | |
nur, wenn sie noch das sind, was sie einmal waren - und eine antibiotische | |
Wirkung (anti bios = gegen das Leben) hinsichtlich der Darmschädlinge | |
entwickeln. Und das heißt wiederum, probiotische "antibiotische" Joghurts | |
dürften eigentlich nur noch als Medizin in Apotheken verkauft werden. Wenn | |
sie dann so wirken wie versprochen … | |
Der Immunologe Prof. Stadler hat in seinem Institut untersuchen lassen, was | |
auch andere Arbeiten belegen: ob die Keime nämlich, wie sie seit der Geburt | |
die Verdauungswege von Babys besiedeln, wirklich beim gewachsenen oder | |
erwachsenen Menschen durch Verzehr probiotischer Joghurts die in der | |
Werbung versprochenen Effekte einer "Darmneubesiedelung" erzielen können. | |
Die Ergebnisse: 1. Die meisten Bakterien sterben schon in der Magensäure. | |
2. Ein sehr geringer Teil bleibt bis zu zwei Wochen im Darm, ohne das | |
Geschehen aber zu beeinflussen. 3. Nur einem winzigen Minimum gelingt eine | |
Kolonisation (wie nach der Geburt im Körper des Babys), womit eine Wirkung | |
aber nicht nachweisbar ist. | |
Offenbar fehlen dem wachsenden und erwachsenen Menschen die beim Säugling | |
noch vorhandenen Rezeptoren, die "Klebstoffe" im Darm, um die "Gäste" aus | |
dem probiotischen Joghurt dauerhaft und wirksam an sich zu binden. | |
Stadler interessiert daher vielmehr, ob man Probiotika nicht irgendwann in | |
Impfstoffe verwandeln und nach gründlichen Versuchsreihen sinnvoll für die | |
Gesundheit einsetzen kann. Bislang aber hat es zu viele negative | |
Zwischenfälle gegeben: So hat man in manche probiotische Joghurts offenbar | |
einen für Menschen unverdaulichen präbiotischen Zucker (prä bios = vor dem | |
Leben) gerührt, weil die an unsere Darmtemperatur gewöhnten Keime so im | |
Kühlschrank bei 8 Grad besser überleben. Bis zu 20 Prozent der deutschen | |
Esser bekommen durch diesen Zucker aber Durchfall. Nur wer bislang an | |
Verstopfung litt, mag das als Erfolg begrüßen. | |
Und einige "Probiotika" können bei Risikogruppen (wie Patienten mit | |
Immunschwäche) gefährliche Nebenwirkungen auslösen, zum Beispiel eine | |
Sepsis (Blutvergiftung). Erschrocken zeigten sich auch niederländische | |
Forscher der Uni Utrecht. Sie hatten ab 2004 die Kontrolle über insgesamt | |
296 Patienten mit hochgefährlicher Bauchspeicheldrüsenentzündung (Todesrate | |
bis zu 10 Prozent, weil normale Antibiotika selten helfen) übernommen. Die | |
Hälfte der Patienten wurde mit probiotischen Keimen behandelt, wie sie auch | |
im Supermarkt-Joghurt Yakult stecken. Sie sollten schädliche, in die | |
Bauchspeicheldrüse eingedrungene Darmkerne zurückdrängen. Die andere Hälfte | |
der Kranken erhielt eine herkömmliche Behandlung. Erst nach über drei | |
Jahren fiel den Ärzten auf, dass zwar auch neun herkömmlich versorgte | |
Patienten zu Tode kamen, dass aber unter den knapp 150 mit probiotischen | |
Keimen behandelten Kranken 24 starben. | |
Ob Probiotika auch schädlich für Gesunde sein könnten, fragte der Spiegel | |
den Forschungsleiter aus Utrecht. Antwort: "Nein, davon gehen wir absolut | |
nicht aus!" Nur: Welcher Joghurtkonsument weiß schon, dass er absolut | |
gesund ist? | |
Dass probiotische Joghurts das Immunsystem wirklich sanieren, so Prof. | |
Stadler, "funktionier zum Glück auch nicht". Das wäre nämlich eine | |
Nebenwirkung, die nur noch eine Zulassung als Medikament erlauben würde. | |
Denn alle Versuche von Ärzten, das Immunsystem wirklich zu stimulieren, | |
haben bislang immer gezeigt, dass das eine äußerst gefährliche | |
Angelegenheit ist, die sogar (siehe Niederlande) Katastrophen auslösen | |
kann. | |
Functional Food, das völlig ohne Warnhinweis verkauft wird, ist meist schon | |
schädlich, wenn es von Menschen vorbeugend konsumiert wird, die bislang | |
total gesund sind. | |
Bei solchen Überlegungen müssen den Grünen im Bundestag die Ohren klingeln. | |
Hatten sie doch in der SPD-Koalition ein "Verbraucherinformationsgesetz" | |
auf den Weg gebracht, das Bürgern das Recht sichern sollte, von Herstellern | |
zu erfahren, was drinsteckt in den von ihnen gekauften Produkten. CDU und | |
FDP im Bundesrat lehnten ab, um die Hersteller davor zu schützen, | |
"Produktionsgeheimnisse preisgeben zu müssen". | |
Das noch von Horst Seehofer (CSU) eingebrachte | |
"Verbraucherinformationsgesetz" trat am 1. Mai in Kraft - und wer heute | |
Anbieter von Gammelfleisch oder giftigem Spielzeug verklagen will, braucht | |
zunächst von den Kontrollbehörden Auskunft über die Täter. Preis: bis zu | |
500 Euro. Der Täter aber kann Infos schon mit dem Verweis auf | |
"Produktgeheimnisse" verweigern. Die haben nämlich noch immer Vorrang vor | |
Verbraucherschutz. Und da sich Unternehmen nie schnell geschlagen geben, | |
werden sie den klagenden Verbraucher meist durch viele Instanzen zerren, | |
notfalls bis zu seinem finanziellem Ruin. | |
Der Danone-Konzern, der deutlicher als andere damit wirbt, probiotischer | |
Joghurt könne gestörte Darmflora wieder reparieren und die körpereigenen | |
Abwehrkräfte stärken, ist in den USA wegen "irreführender Werbung" verklagt | |
worden. Ein Büro mit 190 Anwälten in acht Städten hat den Kampf eröffnet | |
und forderte Millionen von Verbrauchern auf, Schadenersatz über das | |
Anwaltsbüro zu verlangen, weil sie rund 30 Prozent mehr für Danones | |
amerikanische Varianten "Activa" und "DanActive" zahlen mussten als für | |
Normaljoghurt. Deutsche Verbraucher, die teils mehr als das Doppelte | |
berappen müssen, hätten Anspruch auf kleine Vermögen, wenn sie ihre | |
Mehrzahlungen wegen irreführender Werbung nach deutschem Recht | |
zurückverlangen könnten. | |
Wie auch immer: Anwalt Timothy G. Blood beruft sich darauf, dass selbst | |
Danone-Vorstand Franck Riboud faktisch das "betrügerische Marketing" zugab. | |
Laut Blood hatte Riboud eingestanden, dass der Erfolg nicht durch das | |
Produkt selbst zustande kam, und sagte laut Blood: "Jeder auf der Welt | |
kennt inzwischen Probiotika. Der Erfolg aber kommt durch die Art, wie du | |
das Produkt startest, wie du es aufbaust. Und durch das Marketing." | |
Anwalt Blood beruft sich auf unabhängige Untersuchungen über die | |
Nichtwirkung von Danone, aber auch auf führende Mikrobiologen der American | |
Academy of Miocrobiology, die 2006 für Danone selbst tätig wurden und | |
herausfanden, dass es "keine schlüssigen Beweise" für gesundheitlichen | |
Nutzen von Probiotika gebe. US-Verbraucherorganisationen hoffen jetzt, dass | |
Anwalt Blood in letzter Instanz Recht bekommt. Sollte Danone den Prozess | |
verlieren, dürfte die Karriere des probiotischen Joghurts wohl weltweit am | |
Ende sein. | |
24 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Bernd Leptihn | |
## TAGS | |
Darm | |
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