# taz.de -- Hooligans in Italien: Gewalt bei Spielen eskaliert | |
> In und vor Italiens Fußballstadien kommt es beinahe Woche für Woche zu | |
> Gewaltakten. Eine der Ursachen ist die Radikalisierung von Fanszenen | |
> durch Rechtsextreme. | |
Bild: Sie müssen draußen bleiben: Fans des Chievo Verona. | |
Italiens Fußballarenen sind bunter geworden. Statt schwer behelmten und | |
beschildeten Polizisten sieht man immer mehr in orange und gelbe Leibchen | |
gekleidete Stewards. 4.074 Stadionverbote halten die auffälligsten | |
Gewalttäter von den Spielstätten fern. Mehr als 100.000 Tifosi haben nach | |
Angaben der Polizei die Fanausweise beantragt, die sie zum Erwerb von | |
Tickets zu Auswärtspartien ihrer Teams berechtigen. Dennoch trifft es jeden | |
Spieltag ein Fanlager, dem wegen erhöhten Risikos die staatliche Kommission | |
für Stadionsicherheit CASMS die Erlaubnis zum Reisen verweigert. Wegen all | |
dieser Maßnahmen zog letzte Woche Polizeichef Antonio Manganelli ein | |
positives Fazit. "Unsere Präventionspolitik ist erfolgreich", meinte er. | |
Doch das Gewaltproblem ist trotz einiger beachtlicher Ansätze noch lange | |
nicht gelöst geworden. Immer wieder fließt Blut in und vor allem vor den | |
Stadien. Eine Ursache dafür ist in der zielgerichteten Radikalisierung | |
einiger Fanszenen durch rechtsextremistische Gruppen zu suchen. | |
Paradebeispiel ist Catania. Die Stadt am Fuße des Ätna war im Februar 2007 | |
am Rande des Spiels Catania - Palermo Schauplatz der bis dato brutalsten | |
Ausschreitungen, bei denen der Polizist Filippo Raciti ums Leben gekommen | |
war. "Nichts hat sich seitdem geändert im Fußball. Auch Catania-Fans sind | |
weiter gewalttätig", hatte Racitis Witwe, Marisa Grasso, anlässlich der | |
Neuauflage des sizilianischen Derbys im Oktober konstatiert. Völlig | |
zutreffend ist das sicher nicht. Für die Mehrheit der catanesischen Fans | |
löst die Erinnerung an die bürgerkriegsähnlichen Zustände weiterhin Scham | |
und Bestürzung aus. Auch die Spieler, die bei dem Match auf dem Rasen | |
standen, sind durch die Ereignisse geprägt. Wenn er könnte, wollte er | |
"diesen Tag nicht erlebt haben", gesteht etwa Palermos Mittelfeldakteur | |
Giacomo Tedesco. | |
Die spröden Fakten allerdings unterstreichen die pessimistische Sicht der | |
Polizistenwitwe. Kaum ein Spieltag der Serie A vergeht ohne Zwischenfall. | |
Beim römischen Derby vor einer Woche hatten circa 200 Hooligans die | |
Ordnungskräfte mit Wurfgeschossen attackiert und dabei 15 Polizisten | |
verletzt. In Bologna hatten vor drei Wochen einheimische Fans dem Vater | |
eines Juve-Anhänger einen Stein an den Kopf geworfen. | |
Catanesische Fans haben sich in Reggio Calabria mit Stewards geprügelt. | |
Ebenfalls Hooligans aus Catania haben lokale Kriminelle auf abziehende Fans | |
von Chievo Verona aufmerksam gemacht, die daraufhin beraubt wurden. "Mitten | |
unter diesen Leuten stand einer, der uns wie ein Anführer der Catania-Fans | |
erschienen ist. Er hat den anderen gesagt, was sie machen sollen", | |
berichtete ein Chievo-Fan. | |
"Unter Catanias Hooligans gibt es einen ernstzunehmenden Einfluss der | |
rechtsradikalen Gruppierung von Forza Nuova", erklärt Staatsanwalt Ignazio | |
Fonzo. Seit dem Jahr 2001 ist das militante Mitglied der Forza Nuova, Alain | |
Di Stefano, wiederholt mit den Hooligans der Associazione Non Riconsciuta | |
(nicht registrierte Vereinigung, ANR) durch die Stadien gezogen. Die in die | |
Halblegalität abgetauchte ANR - das Banner ist mitunter noch in Stadien | |
unterer Ligen zu sehen - war eine Vereinigung von Hooligans, Drogendealern, | |
Rechtsradikalen und Söhnen eines stadtbekannten Mafioso. "Ich bin kein Fan | |
von Catania. Mein Team ist die ANR. Fußball gefällt mir nicht einmal. Wenn | |
deine Mannschaft verliert, dann geht es dir schlecht. Mit den Ultras | |
gewinnst du aber immer", meinte ein ANR-Mitglied in einem von der Polizei | |
abgehörten Gespräch. Hass auf die Staatsmacht war das bindende Element. Der | |
Tod von Raciti, selbst wenn nicht unmittelbar von der ANR verursacht, gilt | |
als Referenzpunkt der eigenen Tätigkeit. "1, 10, 100, 1.000 Raciti", hatte | |
die Gruppe verbal und per Graffito gefordert. "Ich will auch einen Bullen | |
umlegen", hatte sogar eine Geliebte eines ANR-Mannes am Telefon gebettelt. | |
Forza-Nuova-Mitglied Di Stefano hatte wegen Beteiligung an früheren | |
Ausschreitungen bereits im Jahre 2003 ein Stadionverbot erhalten. Danach | |
war der kompakte Mittzwanziger bei gewalttätigen Auseinandersetzungen mit | |
linken Studentengruppen sowie einem Überfall auf eine "Gay | |
Pride"-Veranstaltung aufgefallen. Im Februar 2007, als Raciti den Tod fand, | |
war Di Stefano von Überwachungskameras einen Gürtel als Waffe schwingend | |
vor dem Stadion eingefangen worden. Gegen ihn und ein weiteres Dutzend | |
Hooligans der ANR, von denen mindestens einer ebenfalls der Forza Nuova | |
angehört, war im April 2008 Haftbefehl erlassen worden. Inzwischen sind | |
alle wieder auf freiem Fuß. | |
Aufschlussreich ist das Selbstbild Di Stefanos. Aus abgehörten Telefonaten | |
geht hervor, dass er sich "für einen Mann der Politik" hält. Er ist stolz | |
darauf, "die Politik ins Stadion gebracht" zu haben. Auch die | |
Radikalisierung der ANR hält er sich zugute. Gegenüber seinem Compagnon | |
Damiano Sciuto, Sohn des dem Mafia-Clan der Mazzei-Familie angehörenden | |
Rosario Sciuto, brüstete sich Di Stefano im März 2007: "Wo sind die | |
gefährlichsten Fangruppen? Lazio, Roma, Napoli - das war früher. Heute | |
kommt Catania vor allen anderen." | |
Die Einblicke in die Denkweise Di Stefanos bestätigen ein Muster, das sich | |
auch in anderen Städten Italiens ergeben hatte. Notorische Lazio-Hooligans | |
waren an einem Überfall auf ein linkes Sozialzentrum in Rom sowie | |
Anschlägen auf Migrantensiedlungen beteiligt. Beim WM-Qualifikationsspiel | |
der Squadra Azzurra gegen Bulgarien hatten rechtsextreme Mitreisende erst | |
Schlägereien in der Sofioter Innenstadt angezettelt und im Stadion | |
schließlich Mussolini gefeiert. Danach hatte der Verband Auswärtsfahrten | |
für Fans bei Länderspielen komplett unterbunden. Die prompte Reaktion: Beim | |
Spiel gegen Montenegro im apulischen Lecce hatte ein 25-jähriger Mann, der | |
bislang der Polizei noch nicht aufgefallen war, im Stadion den "römischen | |
Gruß" gezeigt. | |
Als Wiedergänger von Mussolinis Schwarzhemden sind die Hooligans allerdings | |
nicht zu bezeichnen. Die meisten gewaltbereiten Stadionbesucher in Italien | |
ist ihre Autonomie wichtig, selbst dann, wenn sie sich ideologischer | |
Symbole bedienen. Auch die ANR ist keine Unterabteilung der Forza Nuova. | |
Rechtsextremismus fungiert in diesem Milieu jedoch als Brandbeschleuniger. | |
"Für den gewöhnlichen Hooligan ist ein Todesfall ein - wenngleich mitunter | |
willentlich in Kauf genommener - Unfall. Für Rechtsextremisten ist der Tod | |
schon historisch gesehen ein Instrument, zuweilen sogar ein direktes Ziel", | |
so Catanias Staatsanwalt Fonzo. | |
25 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
## TAGS | |
Rechtsextremismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Politische Kultur in Verona: Stadt der Liebe – und Rechten | |
Verona gilt in Italien das „rechtsextremistisches Labor“. Doch immerhin | |
eines mit harmonischer Architektur. Ein Lagebericht vor der Kommunalwahl. |