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# taz.de -- Forschung an Berliner Unis: Der Plagiator der Wüste
> Der Bioniker Ingo Rechenberg schaut der Natur ganz genau auf die Finger.
> Die ausgereiftesten Prozesse schaut er ab und überträgt sie auf die
> Technik - mit verblüffendem Erfolg
Bild: War Maschine, die Menschen perfekt imitieren sollte: der Terminator.
Am liebsten ist Ingo Rechenberg allein in der Wüste. Nur er und sein VW-Bus
und drum herum Sand, so weit das Auge reicht. Tage kann der Bioniker von
der Technischen Universität (TU) dann mit Spaziergängen durch die Dünen
verbringen und nach Kleingetier Ausschau halten, ohne mit einem Menschen zu
sprechen. Klingt schräg und täuscht: Rechenberg ist kein verrückter
Professor, sondern ein versierter Technologe. Er untersucht die Mechanismen
der biologischen Evolution, um technische Entwicklungen voranzutreiben.
Rechenberg, eigentlich längst Pensionär, ist einer der international
führenden Forscher auf dem Feld der Bionik.
"Extremregionen wie die Wüste oder Arktis und Antarktis sind äußerst
interessant, weil dort die biologische Evolution ein außergewöhnlich
leistungsfähiges Optimierungsverfahren entwickelt hat", sagt er. "Jedes Mal
wurde die bestmögliche Lösung erarbeitet, und das wollen wir auf die
Technik übertragen." Rechenberg erklärt verständlich und anschaulich. Er
ist im Lauf der Jahre zum Medienprofi geworden. Entdeckt der Forscher ein
neues Tier, melden Fernsehsender, Radiostationen und Zeitungen Interesse
an. Wie jüngst, als die Radlerspinne aus der Sahara eine rasante
Medienkarriere hinlegte. In Scharen kamen sie in das alte Fabrikgebäude im
Weddinger Teil der Ackerstraße, das der TU als Institut für
Verfahrenstechnik dient. Die Bionik ist dort angesiedelt; sie ist kein
eigener Studiengang, sondern wird als Wahlpflicht mehrerer Fächer
angeboten.
Nach den Einsparungen in den vergangenen Jahren harren nur noch Rechenberg
und ein paar Assistenten in den weitläufigen Fluren aus; dem Enthusiasmus
für das Fach hat das keinen Abbruch getan, im Gegenteil: "Es werden immer
mehr Studenten in den Vorlesungen, neulich waren es schon fast 200",
beklagt sich Rechenberg. Am liebsten wäre ihm, es wäre endlich ein
Nachfolger für ihn gefunden und er könnte sich ausschließlich aufs Forschen
konzentrieren.
Die spektakuläre "Radlerspinne" rollte dem Bioniker erstmals vor vier
Jahren vor die Füße, als er nachts sein Wüstenlager gerade fertig
aufgeschlagen hatte. Er fing die ihm unbekannte Spinne ein, um sie zu
begutachten. Leider starb das Tier und wurde anschließend von einem
Skorpion verspeist. Rechenbergs Beobachtungen waren damit wertlos. In
diesem Sommer hatte er mehr Glück: Bei einer seiner Wüstenwanderungen sah
er die Spinne erneut. Er bemerkte, dass das Tier seine acht langen Beine
oben auf der Düne zu einem Rad formte und abwärtsrollte. "Die Spinne stößt
sich dabei richtig ab, sie ist aktiv in der Bewegung", beschreibt
Rechenberg. Er fing das Tier ein, es überlebte.
Wie schon über andere Entdeckungen hat er gemeinsam mit seinem Mitarbeiter
Abdulah Regabi El Khyari einen Dokumentarfilm zu der Expedition gedreht.
Mit Sonnenhut und Shorts spaziert er in dem Streifen durch die Wüste,
erzählt und erklärt für Laien, spannend wie in der "Sendung mit der Maus".
Die Filme verwendet er für Vorlesungen und Vorträge.
"Jeder Biologe wäre schon über die Entdecklung der Spinne wahnsinnig
glücklich", sagt er. "Wir aber werden überlegen, wie wir die
High-Tech-Lösungen der Natur für uns übertragen können." Ziel sei immer,
Systeme zu bauen, die möglichst wenig Energie verbrauchen - Tiere in
Extremregionen sind da die idealen Vorbilder. Rechenberg denkt bei
Anwendungen der Spinnentechnik etwa an die Entwicklung von Mars-Autos: Es
könnten Wagen gebaut werden, die je nach Untergrund rollen oder klettern.
Doch das ist Zukunftsmusik. Mit der Übertragung anderer Entdeckungen ist
der Flugmodell-Liebhaber weiter. Rechenberg war in den 50er-Jahren
Vizeweltmeister im Modell-Einzelfliegen und Weltmeister in der
Gruppenwertung. Vorbild für Training und Bau war der Vogelflug - Bionik im
frühen Stadium.
Der gebürtige Berliner studierte Flugzeugbau, beschäftigte sich mit
Strömungstechnik. 1973 erhielt er einen Lehrstuhl an der TU, nach einem
Umzug sitzt er seit fast zwei Jahrzehnten in den großzügigen Räumen an der
Ackerstraße. Im Büro des Professors ziehen sich Bücherregale bis zur Decke.
Auf Hockern und Tischchen liegen Unterlagen, am Kopf eines Konferenztisches
steht ein Flachbildschirm von Kinogröße; auf ihm spielt Rechenberg seine
Filme ab. Das Labor am Ende des Gangs ist ebenso weitläufig - nur
chaotischer. An einer Seite flitzen Sandfische durch Terrariumsand, in der
Mitte steht ein Windkanal. Versuchsanordnungen verteilen sich kreuz und
quer im Raum.
In der Maschinenhalle im Erdgeschoss parkt der Forschungsbus, dort ist auch
Platz für Flugversuche mit den Mikro-Air-Vehikeln (MAV) - den
Rotorlibellen, Rechenbergs eigentlichem Stolz. Der Minihubschrauber
orientiert sich am Flugverhalten von Insekten; ausgestattet mit einer
Mobiltelefonkamera kann er ferngesteuert fliegen und heimlich Aufnahmen
machen. Damit ist das Gerät für Außen- und Verteidigungspolitiker und für
die Nachrichtentechnik interessant. "Auch auf Minister Steinmeiers
Handfläche ist das MAV schon gelandet", sagt Rechenberg stolz.
Der agile, erfrischende Mann hat sein Leben in die Forschung gesteckt.
Zuhause in Frohnau betreut er Tiere, die er aus der Sahara mitgebracht hat,
im Garten beobachtet er heimische Insekten. Geheiratet hat er nie, immer
die Freiheit zu forschen genossen. Mit Erfolg: Bionik gilt nicht erst seit
Entdeckung der "Radlerspinne" als Aushängeschild der Universität. Ein Traum
indes ist dem Professor geblieben. "Ich möchte Straßen bauen, die sich bei
einem Riss selbst reparieren." Ob er das noch schafft oder seinem
Nachfolger überlässt, findet Rechenberg eher nebensächlich. "Ich bin mir
sicher, irgendwann geht das."
24 Nov 2008
## AUTOREN
Kristina Pezzei
## TAGS
Cyborg
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