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# taz.de -- Kleiner Grenzverkehr: Der Chinese mit den grünen Augen
> Im Nordosten der Inneren Mongolei leuchtet das Gras satter als anderswo.
> Selbst einige Einheimische unterscheiden sich von den meisten Chinesen
Bild: Dschingis Khan Mausoleum in Ordos, Innere Mongolei
Staub wirbelt auf und verdeckt die grelle Sommersonne. Zhang Dongping
schaut dem alten Jeep hinterher, der auf der Schotterpiste vorbeizieht.
"Seit ein paar Jahren kommen hin und wieder ein paar Russen durchs Dorf",
sagt der Chinese. Bis zur Grenze nach Russland sind es knapp 20 Kilometer.
Der russische Wagen ist nur noch an der Sandwolke am Horizont zu erkennen.
In Heischantou ist es wieder still.
Hier im Nordosten der Inneren Mongolei, einem autonomen Gebiet Chinas, sind
die Farben der Natur satter als anderswo im Land der Mitte. Der Himmel ist
noch blau, das Steppengras leuchtet grün. Selbst einige Einheimische
unterscheiden sich von den meisten Chinesen: Wie Herr Zhang hat manch einer
hier hell leuchtende Augen.
"Ja, ich bin ein Viertel Russe. Meine Großmutter war Russin", sagt Herr
Zhang, seine grünen Augen peinlich berührt auf den Boden gerichtet. Neben
Han-Chinesen, der größten Ethnie Chinas, zählt der Norden der Inneren
Mongolei mehr als zwei Dutzend Minderheiten wie Mongolen, Mandschuren,
Dauren und Russen. "Die ersten Russen kamen noch zur Zarenzeit hierher. Die
meisten flohen aber nach der Oktoberrevolution, Rote wie weiße Russen.
Während des Bürgerkrieges sind sie überall hin verstreut worden, nach
Harbin, Schanghai, auch auf die Dörfer. Das ist wie heute bei Kriegen, wenn
die Front näherrückt", erklärt der hochgewachsene Zhang. Lange Zeit war das
Dorf Heischantou von der Außenwelt abgeschnitten. Es war der letzte
Vorposten an der Grenze zur Sowjetunion. Als Ende der 1950er Jahre eine
diplomatische Eiszeit zwischen Moskau und Peking einbrach, hat Peking viele
der verbliebenen Russen wieder zurück in die Heimat deportiert, andere
"wurden in alle Winde verweht", wie Zhang es nennt. Nur wenige Emigranten
und die Kinder aus Mischehen blieben in der Weite der Steppe zurück.
Längst herrscht wieder Tauwetter zwischen beiden Staaten. "Der
Grenzübergang Heischantou Kouan öffnete Mitte der 1990er Jahre", sagt der
57-jährige Zhang. In Kleinbussen und Jeeps passieren seither Russen auf
Einkaufstour das Dorf auf dem Weg nach Hailar, dem Zentrum der Region, drei
Autostunden weiter südlich. Auch in der Provinz profitieren die Chinesen
vom ökonomischen Aufschwung des Landes; einigen Menschen in Heischantou
nützt die Anbindung zum Nachbarland zusätzlich. "Das Leben hier ist jetzt
viel leichter als früher", sagt Zhang, der früher in der Landwirtschaft
arbeitete.
Vor zwei Wochen hat er mit seiner Frau ein kleines Restaurant mit lokaler
Küche aufgemacht. "Kaye" steht in grellem Rot neben der Tür geschrieben,
"Neueröffnung". Die Wimpel am Eingang leuchten noch in frischen Farben,
selbst die sonst fettigen Vorhänge zu den Separees im Restaurant strahlen
weiß. Im Hintergrund läuft chinesische Pop-Musik.
"Wir leben von der Dorfkundschaft, doch ab und zu kehren auch Russen ein",
sagt der adrett gekleidete Zhang. Sein Hemd ist so ordentlich gebügelt, als
sei auch heute noch der erste Geschäftstag. "Die Russen können nicht mit
Stäbchen essen und lassen die Fleischbrocken immer danebenfallen", sagt
Herr Zhang mit einem Lächeln. Trotz seiner grün funkelnden Augen sieht er
sich als waschechter Chinese. Dongping, sein Vorname, bedeutet übersetzt so
viel wie "östlicher Friede". Die Gesichtszüge, auch sein Auftreten wirken
chinesisch. "Gabeln habe ich für die Russen noch nicht gekauft", sagt
Zhang. Dennoch, auf internationale Kundschaft will er nicht verzichten:
"Das Restaurant Landsmann heißt sie herzlich willkommen", steht neben
Chinesisch und Mongolisch auf dem Restaurantschild in Kyrillisch.
Weiter westlich an der Dorfstraße von Heischantou wirbt ein kleines Hotel
mit einem russischen Varietéprogramm. "Man muss nicht das Land verlassen,
um russische Tänze zu sehen", verspricht das Plakat zweideutig. Im Aushang
zeigt ein Foto nackte russische Damenschenkel. Anders als in Manzhouli,
Suifenhe und Heihe, den drei großen Städten an der Grenze, ist das Geschäft
mit russischen Grenztouristen und wohlhabenden Chinesen aus dem
Landesinneren noch kaum entwickelt.
Der Dorfpolizist von Heischantou hält vor seiner Wache Mittagsschlaf. Ein
Traktor tuckert langsam über die Hauptstraße. Nur wenige der gut 1.000
Einwohner profitieren bislang von der reisenden Kundschaft. Bislang leben
die Menschen am Kopf der Schwarzen Berge, die sich im Norden des Ortes als
drohende Kulisse erheben und dem Ort den Namen geben, hauptsächlich von
extensiver Viehhaltung und Feldwirtschaft. Rinder, Schafe aber auch Pferde
und Esel weiden im Steppengras. "Die Milch der Inneren Mongolei ist im
ganzen Land berühmt", sagt Herr Zhang stolz. Chinesen trinken mehr Milch
als noch vor wenigen Jahren: Kürzlich habe in Labudalin, einer schnell
expandierenden 70.000-Einwohner-Stadt eine Autostunde östlich, eine
Molkerei von Nestlé eröffnet. "Doch davon können die Bewohner von
Heischantou allerdings wenig profitieren", sagt der Restaurantbesitzer.
Zhang lässt sich ungern auf sein russisches Blut ansprechen. Viele
Mongolen, aber nur wenige Russen gebe es hier, winkt er ab. Auch auf der
russischen Seite sei das nicht anders. "In Schiwei, da leben viel mehr",
sagt Zhang. "Die sehen auch viel russischer aus als ich." Tatsächlich leben
in der 120 Kilometer nördlich von Heischantou gelegenen Siedlung an der
Grenze zu Russland viele Menschen mit auffallend europäischen
Gesichtszügen. Das Grün aus Zhangs schmalen Augen blitzt hingegen nur
manchmal, wenn er sie vor Erstaunen weit öffnet.
Chinesische Landkarten weisen Schiwei als "Dorf der russischen Minderheit"
aus. "Die Regierung hat die ethnischen Minderheiten seit einigen Jahren für
die Tourismusindustrie entdeckt. In Schiwei hat sogar mal ein Kamerateam
des Staatsfernsehens eine Reportage gedreht", sagt Zhang. Inzwischen wird
in Schiwei mit Ethnotourismus richtig Geld verdient. In der Hoffnung auf
liquide Kundschaft haben dort mittlerweile einige Einheimische ihre
spartanischen Holzhütten mit Marmorfußböden auslegen und moderner
Haushaltstechnik ausrüsten lassen. Touristen werden mit russischen Tanz-
und Musikaufführungen unterhalten. Selbst "lieba", wie Chinesen russisches
Graubrot nennen, können Besucher dort verkosten.
Auch in der Nähe von Heischantou wird mit Minderheitenfolklore Geld
verdient. Jedoch sind hier Traditionen der größten Minderheit, der
Mongolen, Rahmenprogramm für die Tourismusindustrie. Wenige Kilometer
östlich des Dorfes steht eine Zeltstadt im Steppengras. Das Nadamu-Festival
lockt jährlich im August zahlreiche Touristen in die entlegene Gegend. Auf
eine mehr als 800-jährige Tradition reichen mongolische Wettkämpfe wie
Pferderennen, Bogenschießen und Kampfsport zurück. Unweit davon sorgt ein
englisch-chinesisches Sprachcamp in den Sommermonaten für interkulturellen
Austausch vor pittoresker Kulisse. An der Straße Richtung Hailar reihen
sich Jurtenhotels.
Doch auf dem Weg durch die Innere Mongolei trifft man unweigerlich noch auf
weniger inszeniertes Leben der ethnischen Minderheiten als in Sommercamps
oder bei wiederbelebten Festspieltraditionen. Oft kreuzt Vieh die Straße.
Mongolen hüten zu Pferd ihre Herden. Im Sommer leben sie in Jurten draußen
in der Steppe. Erst im Winter ziehen sie sich in ihre Dörfer zurück. Bis
heute bleiben viele Ethnien auf dem Land unter sich.
Zhang Dongping sieht auch Vorteile durch die Tourismusindustrie. Seine
Schwester fährt seit sieben Jahren Taxi. "Im Winter läuft das Geschäft
halbwegs, da die Einheimischen nicht mit ihren Motorrädern fahren können",
sagt er. Im Winter, da falle zu viel Schnee. Im Sommer gleichen die
Touristen die Flaute etwas aus. Doch die Reisesaison in der Inneren
Mongolei ist von Ende Juli bis Anfang September nur kurz.
Dennoch, so richtig versteht Zhang Dongping die Touristen aus dem fernen
Peking und Schanghai nicht. Er weiß nicht so recht, warum sie eigentlich
kommen: "Was gibt es in Heischantou und in Kouan schon zu sehen", sagt er
und wundert sich über das Interesse für den Grenzübergang und den
Minderheitentourismus. Über den Grenzfluss Argun zwischen Russland und
China führt eine schmale Brücke. Ein paar Kasernen stehen dort; am
Checkpoint verlangen Soldaten der Volksbefreiungsarmee 20 Yuan Eintritt.
Noch einmal 50 Yuan kostet die kurze Tour mit einem kleinen Boot -
insgesamt rund sieben Euro.
"Das Schiff fährt nur bis zur Flussmitte, dort verläuft nämlich die
Grenze", sagt Herr Zhang. Die Preise steigen jedes Jahr, dennoch reisen
immer mehr Touristen in diesen fernen Winkel Chinas. Doch Zhang Dongping,
dem Chinesen mit den grünen Augen, ist das ganz recht.
26 Nov 2008
## AUTOREN
Sören Urbansky
## TAGS
Reiseland China
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