# taz.de -- Männer haben's schwer: Die chinesische Seele | |
> Was hat der Fisch davon, wenn er aus dem Schwarm ausschert? Nichts als | |
> Schwierigkeiten. Kann die Verabredung mit der bekannten | |
> Fernsehpsychologin das Geheimnis ein wenig lüften? | |
Bild: Teehaus in Shanghai | |
Ich habe einen Freund, der von sich sagt, er sei Pessimist. Für einen | |
Chinesen eine bemerkenswerte Feststellung. Alle Übrigen, die ich in Peking | |
getroffen habe, haben sich nie als etwas bezeichnet, schon gar nicht als | |
etwas so Schwieriges wie einen Pessimisten. Wenn überhaupt, würden sie sich | |
vereinzelt als Realisten, ganz vereinzelt vielleicht sogar als Optimisten | |
sehen. Schließlich brummt die Wirtschaft und strotzt das Land, Chinesen | |
gehen im Weltraum spazieren und haben im Medaillenspiegel den ersten Platz | |
belegt. | |
Doch eigentlich tut man das in China nicht: sich als etwas bezeichnen. Man | |
macht überhaupt kein Aufhebens von sich, schon gar nicht vereinzelt. Was | |
hat der Fisch davon, wenn er aus dem Schwarm ausschert? Nichts als | |
Schwierigkeiten. Nein, lieber bleibt man im Schutz der Allgemeinheit. Man | |
strebt nicht nach draußen, sondern ins Zentrum, ins Reich der Mitte. | |
Ich habe eine Freundin, die von sich sagt, sie täte nichts. Für eine | |
Ausländerin in Peking eine bemerkenswerte Feststellung. Alle Übrigen, die | |
ich dort getroffen habe, tun immerfort alles Mögliche. Beraten ein | |
Ministerium, leiten ein Institut, handeln mit Antiquitäten, schreiben ein | |
Buch, bereiten Schüler auf die Deutsch-Olympiade vor oder studieren | |
Chinesisch, um dann später ein Ministerium beraten oder mit Antiquitäten | |
handeln zu können. Sie aber winkt ab - nein, ich tue nichts. Neulich hat | |
sie die Chinesen als Marsmenschen auf Erden bezeichnet. Sie darf das sagen, | |
sie liebt China, lebt seit vielen Jahren dort. Aber sie fragt eben nicht | |
danach, was man sagen darf und was nicht. | |
Um die Rätsel der chinesischen Seele ein wenig zu lüften, habe ich mich | |
schließlich mit Jinyi Bi verabredet, einer bekannten Fernsehpsychologin. | |
Was wahrscheinlich eine Tautologie darstellt, denn unbekannte | |
Fernsehpsychologinnen dürfte es kaum geben. Sie lud mich zum Mittagessen in | |
ihrer Nachbarschaft ein, "nichts Besonderes, nur ein paar Häppchen". Tofu, | |
Teigtaschen, Pilze, ein bisschen Schwein, ein bisschen Huhn. Und scharfen | |
Fisch, versteht sich. Dazu verschiedene Gemüse, Pekinger Allerlei. Jinyi | |
erwies sich als eine resolute, lebenstüchtige, wohlgenährte Frau um die | |
vierzig. Sie handelt nebenbei mit Antiquitäten und schreibt gerade an ihrem | |
dritten Buch, berät aber zur Abwechslung kein Ministerium, sondern Liebes- | |
und Ehepaare, sofern sich diese eben so weit zu vereinzeln trauen, dass sie | |
ihre Nöte vor laufender Kamera auf den Tisch legen. | |
Wobei sie laut Jinyi so individualistisch gar nicht sind. Denn bei 85 | |
Prozent aller Partnerschaften gehe es um das Gleiche. Um Liebe? Falsch. Um | |
Sex? Auch falsch. Um Macht vielleicht, oder um Eifersucht, oder um die | |
grässliche, nicht auszuhaltende Einsamkeit, die andernfalls droht? Alles | |
falsch, beschied sie in ihrer forschen Art, während sie nach den | |
Lotoswurzeln angelte. Bei 85 Prozent aller Partnerschaften gehe es ums | |
Geld. Nicht immer offensichtlich vielleicht, und nicht immer gleich von | |
Anfang an, aber unausweichlich. | |
Jinyi griff sich einen Löffel, drehte ihn um und strich mit der hohlen Hand | |
darüber hin. "So fühlt sich eine gute Beziehung an. Rund und geschmeidig. | |
Du bleibst nirgendwo hängen, du verletzt dich nicht." Ein schönes Bild, | |
lächelte ich. "Eine schöne Illusion", erwiderte sie und rangierte den | |
Löffel aus. "Neun von zehn Ehen sind wie Gabeln oder Messer." | |
Bis dahin lebte ich in der Vorstellung, eine Partnerschaft, eine Ehe gar, | |
stelle ein lustvolles Bündnis zwischen zwei Individuen dar. Doch Jinyi | |
öffnete mir die Augen: Eine Ehe ist ein Joint Venture zwischen zwei | |
Familien. Punktum. Ein Geschäft zum beiderseitigen Vorteil, das jedoch | |
leicht zum beiderseitigen Nachteil gereichen kann. Ihr Menschenbild ist | |
durch fünfzehn Jahre als Scheidungsanwältin geprägt. Wie das mit dem | |
Antiquitätenhandel, den Psychoratgebern und der Fernsehshow zusammengeht? | |
Ach, meinte sie, multiple Karrieren seien inzwischen nichts Besonderes | |
mehr, schon gar nicht für Frauen. | |
Womit wir beim nächsten Problem waren: Chinas Frauen sind heute viel | |
unabhängiger als früher. Das behagt den Männern nicht. Wozu werden sie | |
überhaupt noch gebraucht? Jinyi schielte kurz nach dem Löffel, zuckte dann | |
jedoch mit den Schultern. Fest steht: Die Männer stecken in der Krise. Denn | |
was tun sie, kaum dass sie etwas Geld gescheffelt haben? Sie kaufen ein | |
Auto? Falsch. Sie gehen auf Reisen? Auch falsch. Nein, sie legen sich eine | |
Geliebte zu. Wie zur Feudalzeit und noch in den Jahren der Republik. Nicht | |
etwa zum Spaß, obwohl man das nicht ganz ausschließen sollte. Sondern aus | |
Pflichtgefühl. "Mehr Geld, mehr Sex", erklärte Jinyi und schob mir die | |
geschnetzelten Schweinelenden zu. Ab einem gewissen Status werde das | |
einfach erwartet. | |
Während ich über meinen Status und die damit einhergehenden Verpflichtungen | |
nachsann, fragte Jinyi, ob wir nicht doch noch Nudeln bestellen sollten? Au | |
ja, ermunterte ich sie, obwohl ich längst satt und zufrieden war. Doch wie | |
das alte Sprichwort sagt: Keine Liebe ist aufrichtiger als die zu gutem | |
Essen. | |
26 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Stefan Schomann | |
## TAGS | |
Reiseland China | |
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