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# taz.de -- Herr Zhao heißt nicht Fick: Auf die Betonung kommt es an
> Die chinesische Sprache ist gar nicht so vertrackt, wie man gemeinhin
> denkt. Manchmal aber doch …
Bild: Shanghai: Hier beginnt die Nanjing Lu-Fußgängerzone
Chinesisch ist keine schwere Sprache. Es verfügt nur über eine rudimentäre
Grammatik und wird weder dekliniert noch konjugiert. Unterschiedliche
Zeiten gibt es praktisch auch nicht. Auch die Aussprache ist keine
unüberwindliche Klippe. Zwar ist es richtig, dass die Betonung und die
Tonhöhe im Chinesischen eine wichtige Rolle spielen, allein weil es eine
Vielzahl Homonyme gibt. Das wird oft am Ma-Beispiel demonstriert. Da liest
man dann, dass "Ma ma ma ma ma?" so viel wie "Schimpft die pockennarbige
Mutter das Pferd?" bedeutet. Die unterschiedlichen "Ma" werden dabei
jeweils anders betont, damit das Pferd eben nicht die Mutter ist.
Man könnte aber mit "Ma" noch viel mehr lustige Sätze bauen, denn dieses
Wort hat allein zwanzig verschiedene Bedeutungen, darunter "Mammut",
"Kröte", "Achat", "Ameise" und "Hanf". Nimmt man das Wort "Li", kann man
sogar unter mehr als hundert verschiedenen Übersetzungen wählen, unter
anderem "Witwe", "Schweinestall", "Pflug", "Brautschleier" oder "Aal". Aber
auch solche Homonymgewitter lesen sich abschreckender als sie in der
Sprachpraxis sind.
Ich zum Beispiel kann mir keine Betonungsregeln merken und rede einfach
drauf los. Natürlich versuche ich dabei die Betonung der Einheimischen
nachzuahmen, und das geht erstaunlich oft gut. Wenn es nicht klappt, ist es
auch keine Tragödie. Ist mein Gegenüber nicht auf den Kopf gefallen, wird
er schon aufgrund des Kontexts verstehen, was ich von ihm will.
Außerdem sind die insgesamt vier Töne, die es im Hochchinesischen gibt,
keine große Herausforderung. Im Kantonesischen - das man in einigen
Gegenden Südchinas und in Hongkong spricht - gibt es neun Töne, wobei es
hier auch noch auf die Tonlänge ankommt. Die hochchinesisch Sprechenden
nennen diese Abart des Chinesischen "Vogelsprache", weil sie mehr geflötet
und gezwitschert wird. Das Hochchinesische seinerseits heißt übrigens auch
nur in einigen europäischen Sprachen "Mandarin". Auf Hochchinesisch sagt
man "Putonghua", Normal- oder Standardsprache, die weitgehend mit dem in
Peking gesprochenen Dialekt identisch ist.
Die Schriftzeichen sind es allerdings, die aus dem Chinesischen dann doch
eine schwere Sprache machen. Das Kangxi-Wörterbuch von 1716 verzeichnet
genau 46.964 Zeichen, moderne Quellen gehen sogar von insgesamt rund 80.000
Zeichen aus. Allgemein wird zwar behauptet, man käme mit nur 3.500 Zeichen
aus, um eine Zeitung zu lesen. Aber selbst wenn ich ein Zeichen pro Tag
behielte, bräuchte ich rund zehn Jahre, um diese 3.500 Zeichen im Kopf zu
speichern.
Dass das Schriftzeichensystem ineffektiv, unvernünftig und vorsintflutlich
ist, wissen natürlich auch viele Chinesen. Deshalb gab es auch in den
letzten hundert Jahren immer wieder Versuche, die Zeichen abzuschaffen und
sie durch ein phonetisches Alphabet zu ersetzen.
Führend dabei waren die revolutionäre "4.-Mai-Bewegung" von 1919 und der
berühmte Schriftsteller Lu Xun, der erklärte: "Wenn die Zeichen nicht
abgeschafft werden, wird China untergehen." Der Letzte, der versuchte, die
Zeichen durch ein Alphabet zu ersetzen, war Mao Zedong. Aber auch der große
Vorsitzende scheiterte an der Vielzahl von Problemen, die eine Umstellung
mit sich bringen würde. Um ein phonetisches Alphabet durchzusetzen, müsste
man sich zuerst auf eine verbindliche Aussprache einigen.
Doch schon die "Konferenz zur Vereinheitlichung der Aussprache" 1913 in
Peking scheiterte, weil sich ein Vertreter der Nordchinesen tödlich
beleidigt sah. Ein Südchinese hatte im Shanghaier Dialekt von einer
"Rikscha" gesprochen, der Nordchinese aber "Schildkrötenei" verstanden -
ein übles Schimpfwort, das er auf sich bezog. Er konnte zwar noch von einer
Prügelei abgehalten werden, verließ aber stante pede die Konferenz.
Einigen Reformern war damals bereits klar, dass sich Nord- und Südchinesen
niemals auf eine einheitliche Aussprache einigen würden. Sie schlugen
deshalb vor, das Chinesische gleich ganz abzuschaffen und es durch
Esperanto zu ersetzen. Eine exzellente Idee, der leider niemand folgen
wollte. Immerhin wurde aber 1956 eine verbindliche phonetische Umschrift
auf Basis des lateinischen Alphabets für das Hochchinesische eingeführt,
das sogenannte Pinyin. Das ist auch für Anfänger gut zu gebrauchen - allein
schon um zu wissen, wie Namen ausgesprochen werden - um keinen Chinesen zu
nahe zu treten.
Ein Bekannter von mir, der in Deutschland lebt, heißt mit Nachnamen Zhao.
Das wird auf Chinesisch ungefähr wie "Dschao" ausgesprochen. "Die Deutschen
aber", klagte mir Herr Zhao, "sprechen meinen Namen immer nur wie "Cao"
aus." Cao aber ist - entsprechend betont - das umgangssprachliche Wort für
Geschlechtsverkehr treiben, und so heißt Herr Zhao in Deutschland nur "Herr
Fick". Manchmal kommt es im Chinesischen eben doch auf kleine Unterschiede
an.
26 Nov 2008
## AUTOREN
Christian Y. Schmidt
## TAGS
Reiseland China
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