# taz.de -- Debatte Ökonomie: Blasphemie zur Adventszeit | |
> Heute ist "Buy Nothing Day". Ist ein Kaufstreik sinnvoll, wenn die | |
> Rezession droht? Ja! Denn wir brauchen endlich eine Ökonomie, die ohne | |
> materielles Wachstum auskommt. | |
Die Idee scheint auf den ersten Blick bizarr. Heute ist der internationale | |
Buy Nothing Day, der Kauf-nichts-Tag. Er wurde ausgerufen von | |
Konsumkritikern und wird zum Beispiel auch von Attac unterstützt. Seit 1992 | |
wird er jeweils am letzten Samstag im November begangen und soll schon in | |
80 Ländern Anhänger haben. | |
Wie der Name schon sagt: Heute sollen wir unser Geld bei uns behalten, die | |
Fußgängerzonen allenfalls als Flaniermeilen betrachten, den Besuch im | |
Baumarkt verschieben. Wie weit der Konsumboykott am Ende gehen soll, ist | |
nicht genau definiert: Dürfen wir heute zum Friseur gehen? Dürfen wir mit | |
der Bahn fahren? (Vielleicht nur, wenn wir die Monatskarte schon gekauft | |
haben?) Dürfen wir in die Kneipe oder ins Kino gehen? Na ja, Detailfragen | |
am Rande. | |
Spannender ist die grundsätzliche Frage: Wozu das Ganze? Zumal ein | |
Kauf-nichts-Tag gerade so überhaupt nicht in die Zeit zu passen scheint. | |
Schließlich wird - vom Polit-Establishment bis zu den Stammtischen - doch | |
gerade zu viel Zurückhaltung beim Konsum befürchtet. | |
Die Bundesregierung will den privaten Konsum sogar noch anheizen. Die | |
Wirtschaftsweisen fordern den Staat auf, seine Ausgaben zu erhöhen, um | |
Wachstum zu provozieren. Von links bis stramm konservativ geht das Wort von | |
der Konsumflaute und dem nötigen Anschub des Binnenkonsums locker über die | |
Lippen. Das ganze Land, von den Gewerkschaften bis zu den Arbeitgebern, | |
eint der Glaube an Problemlösung durch Wachstum. | |
Und in dieser Situation sollen wir auch noch für einen Tag in den | |
Käuferstreik treten? Die Antwort lautet: Ja. Denn nicht zu wenig Konsum ist | |
das Problem der nationalen und internationalen Wirtschaft, sondern zu viel | |
vom falschen. Erinnern wir uns: In den USA begann die Finanzkrise mit einem | |
Kaufrausch im Immobiliensektor, der über ungesicherte Kredite finanziert | |
war. Die zweite Schockwelle wird folgen, wenn ausfallende | |
Kreditkartenschulden die globalen Märkte erfassen werden. Und dann geben | |
auch noch die Staaten dem Wachstum zuliebe ihre nicht vorhandenen Gelder | |
aus. So gehört nicht viel Fantasie dazu, die nächste Krise durch | |
kollabierende öffentliche Haushalte kommen zu sehen. Wir merken: Jede | |
dieser Krisen wird befeuert durch Konsum, den wir uns bei genauer | |
Betrachtung gar nicht leisten können. | |
Klar, wer mit viel Geld spontanes Wachstum schafft, kann damit kurzfristig | |
als Retter der Wirtschaft dastehen. Er mag sich über die Wahlperiode | |
hinwegdilettieren. Doch dauerhaft wird er der Wirtschaft damit nicht | |
helfen, sondern sie vielmehr ruinieren. Denn jede neue Krise nach dem | |
Abflauen des provozierten Wachstums wird heftiger werden als die jeweilige | |
zuvor. | |
Über kurz oder lang nämlich muss das materiell-quantitative Wachstum vor | |
die Wand laufen. Zwangsläufig, denn die Grenzen des Wachstums sind in | |
Sicht. Sie sind der entscheidende Auslöser des Bebens der Weltwirtschaft. | |
Nun kann man zwar durchaus zu recht über die fehlende Kontrolle der | |
Geldmärkte oder die Gier der Finanzakteure lamentieren, doch das sind | |
Nebenschauplätze. Längst definieren die natürlichen Ressourcen das | |
ökonomische Limit: Energie und Rohstoffe sind knapp. Jeder politische | |
Wachstumsimpuls wird daher zur Folge haben, dass der Ölpreis wieder | |
emporschnellt und so das Wachstum wieder abwürgt. Naturgesetze lassen sich | |
eben nicht überlisten - selbst von Ökonomen nicht. | |
Beklemmend ist dabei, wie rar die nüchternen Analytiker in der Weltökonomie | |
sind. Jene, auf die man trifft, sind vor allem eines: keine reinen | |
Ökonomen. Der amerikanische Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Kenneth | |
Ewart Boulding sagte einmal: "Jeder, der glaubt, dass exponentielles | |
Wachstum für immer weitergehen kann in einer endlichen Welt, ist entweder | |
ein Verrückter oder ein Ökonom." Ein ähnlicher Satz wird auch dem | |
Evolutionsbiologen Jared Mason Diamond zugeschrieben. | |
Und dann natürlich Dennis Meadows, dem Autor des 1972 erschienenen | |
Bestsellers "Die Grenzen des Wachstums". Mit Blick auf die Turbulenzen der | |
Weltmärkte sagte er jüngst: "Die Art von Wachstum, die die Politiker | |
meinen, bringt steigenden Verbrauch mit sich. Deshalb wird es langfristig | |
nicht funktionieren." Leider ist solche Weitsicht den meisten Praktikern | |
und Theoretikern der Wirtschaft völlig fremd, sobald sie zwischen den | |
Modellen von John Maynard Keynes und Milton Friedman wandeln. Die | |
Unverzichtbarkeit des Wachstums ist ideologieübergreifender Bestandteil des | |
herrschenden ökonomischen Glaubensbekenntnisses. | |
Dabei präsentiert Meadows den Ökonomen sogar einen Lösungsansatz: Das | |
Wachstum könne nämlich "immer weitergehen, solange es immateriell ist." Man | |
könne sich schließlich "immer weiterbilden, immer besser Französisch | |
lernen". Sobald Wachstum jedoch zusätzliche Rohstoffe, Energie, Luft, | |
Wasser oder Landfläche verbraucht, wird es früher oder später zum Erliegen | |
kommen. Für Ökonomen ist diese Erkenntnis Blasphemie, für | |
Naturwissenschaftler hingegen banal - und für die Zukunft unserer | |
Gesellschaft überlebenswichtig. | |
Zurück zum heutigen Kauf-nichts-Tag. Natürlich ist es ziemlich egal, ob man | |
sich heute eine neue Hose kauft oder dies erst am Montag oder auch nächsten | |
Samstag tut. Das wissen vermutlich auch die Unterstützer der Aktion. | |
Deswegen gehört nicht viel Fantasie dazu, zu prophezeien, dass die | |
Kaufhäuser heute nicht weniger Geld einnehmen werden als sonst an | |
Samstagen. | |
Dennoch kann der Kauf-nichts-Tag ein Erfolg werden. Dann nämlich, wenn sein | |
Signal in der Ökonomenzunft ankommt, die bislang ihre Denkblockaden pflegt. | |
Die Wirtschaftswissenschaft brütet derzeit über staatlichen | |
Konjunkturprogrammen, die mit überflüssigen Produkten ein konjunkturelles | |
Strohfeuer entfachen sollen, das wenig später in eine noch größere | |
Depression mündet. Die Ökonomie betreibt die bizarre Folklore der | |
regelmäßigen Konjukturprognosen. Sie denkt immer nur daran, Wachstum zu | |
generieren - und merkt gar nicht, wie sehr dieser Weg in die Sackgasse | |
führt. | |
Die Zukunft liegt woanders. Wir brauchen den besten ökonomischen | |
Sachverstand des Landes für den Entwurf eines Ökonomiemodells, das ohne | |
materielles Wachstum bestehen kann. Vor dem Hintergrund der herrschenden | |
und kaum hinterfragten Wachstumsideologie mag das zwar ziemlich absurd | |
klingen, aber es ist unsere einzige Chance. Wir brauchen eine Art Bretton | |
Woods II, ein neues Weltfinanzkonzept, das unsere Wirtschaftsordnung im | |
Sinne von Meadows fitmacht für das 21. Jahrhundert. Wir brauchen ein | |
schlüssiges Finanz- und Steuerkonzept für die Nach-Wachstumsära. | |
Andernfalls werden wir ungebremst in die nächsten Turbulenzen schlittern. | |
Vielleicht sollte man sogar sagen: in die Katastrophe. | |
So stellt man am Ende fest, dass der Kauf-nichts-Tag sogar bestens in die | |
Zeit passt. Denn er ist eine Provokation für alle Wachstumsgläubigen. Eine | |
dringend nötige Provokation. | |
29 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
Bernward Janzing | |
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