# taz.de -- Ein Leben wie im Zirkus: Arme, reiche Britney Spears | |
> Betreutes Singen: Mit ihrem neuen Album "Circus" ist Britney Spears | |
> wieder dort angekommen, wo sie angefangen hat - entmündigt in den Fängen | |
> ihrer Familie. | |
Bild: "I'm Mrs. 'Oh my god, that Britney's shameless'": Britney bei der Bambi-V… | |
Irgendwie hat man sich Britney Spears Leben anders vorgestellt. Wird man | |
wirklich der berühmteste Popstar der Welt, um jeden Abend um halb zehn Uhr | |
ins Bett geschickt zu werden? Hat man die ganze Fron auf sich genommen, um | |
im Alter von 27 Jahren nicht mehr ohne Überwachung telefonieren zu können? | |
Seine zwei Kinder nur noch ab und zu sehen zu dürfen? Ohne Zugriff auf die | |
Millionen, die man verdient hat? Überwacht von Wächtern, die dafür von | |
diesen Millionen bezahlt werden? | |
Es ist kein Spaß, Britney Spears zu sein, wenn man nach einer großen | |
Reportage im aktuellen Rolling Stone geht und den Ankündigungen, die über | |
eine Dokumentation durchgesickert sind, die am Sonntag auf dem | |
US-amerikanischen MTV laufen wird und für die ein Team den Star einige | |
Wochen begleitet hat. Britney Spears hat heute, zum Erscheinen ihres | |
sechsten Albums "Circus", der Platte, die ihr Comeback signalisieren soll, | |
ungefähr so viel Rechte auf ihr Leben wie am Anfang ihrer Karriere, als | |
ihre ehrgeizige Mutter sie in den Mickey Mouse Club schleppte. So gut wie | |
gar keine nämlich. | |
Was ist hier passiert? Britneys Vater Jamie Spears hat die Kontrolle über | |
ihr Leben übernommen. Zusammen mit ihrem Manager Larry Rudolph, der mit den | |
schönen Worten zitiert wird: "Ihr Job ist es, Britney Spears zu sein, und | |
unglücklicherweise hat das eine innige Verbindung mit ihrem persönlichen | |
Leben. So kommt es zu dieser merkwürdigen Situation, in der sie ständig | |
Sicherheitspersonal um sich braucht." Das sind wahre Worte. Wenn der größte | |
weibliche Star seiner Generation zu sein bedeutet, dass man nur noch | |
betreut singen und betreut leben kann, ist das wirklich eine "merkwürdige | |
Situation". | |
Nun ist es nicht so, dass es keinen Grund gegeben hätte, sich Sorgen um | |
Britney Spears zu machen - im Nachhinein haben die Drogeneskapaden und | |
Ausgehnächte ohne Unterwäsche etwas herzerfrischend Anarchisches. Damals | |
gab es durchaus Kollegen, die sich Gedanken darüber machten, ob man nicht | |
vorsichtshalber schon mal einen Nachruf bestellen sollte. So schlimm kam es | |
dann doch nicht. Dafür gibt es jetzt "Circus", dieses eigenartig somnambule | |
Comeback. Eingespielt in sechsmonatiger Studioarbeit, wenn man sich | |
Britneys sonstige Lebensumstände anschaut, kann man sich ungefähr | |
vorstellen, wie das abgelaufen ist. Betreut wurde das Ganze von einer | |
Heerschar teurer Produzenten - eine Platte wie "Circus" ist ja ein Produkt | |
wie eine große Hollywood-Produktion. Arbeitsteilig bis ins kleinste Detail: | |
Da wird noch das kleinste Snareschnarren zum internationalen Pitch | |
ausgeschrieben. | |
Dementsprechend breit aufgestellt ist das ganze stilistisch, Mainstream | |
heißt heute ja vor allem Anschlussfähigkeit in alle Richtungen. Ein | |
wagemutiges Stück, wie es etwa "Toxic" einmal war, ist keines dabei - aber | |
ansonsten gibts was für jeden Geschmack. Die Themenauswahl der Songs: von | |
ihren Kindern ("My Baby"), dem Ende einer Beziehung ("Shattered Glass"), | |
dem Leben im Spotlight ("If you seek Amy", das ist Amy Winehouse), den | |
Paparazzi ("Kill the Lights") und dem Britney-Spears-Dasein im Allgemeinen | |
("Circus"). Anders als auf ihrem letzten Album "Blackout" hat Spears | |
diesmal ja kein heißlaufendes Partyleben zu kommentieren - dementsprechend | |
friedlich ist das ganze dann auch. Trotz eines Stücks wie "Lace and | |
Leather". Das muss wohl sein, besonders verrucht klingt es nicht. Das war | |
auf "Blackout" noch ganz anders, wo es so schöne Stücke gab wie "Get Naked | |
(I Got a Plan"). Zur neuen Familienfreundlichkeit passt dann auch ein | |
CD-Cover, das Britney für 2008 präsentiert wie eine | |
Schwiegertochter-Fantasie aus den Fünfzigerjahren. | |
Leben und Werk sind bei Britney Spears ein und dasselbe. So funktioniert | |
dieses Starmodell. Alles, was Britney tut und lässt, ist Teil des | |
Britney-Programms. Jeder Ausrutscher muss zum Teil der Inszenierung gemacht | |
werden. Alles ist Kommentar. Die konkreten Dinge, die passieren, sind ja | |
gar nicht das Irre an diesem Leben. Für sich genommen ist nichts | |
ungewöhnlich an Britneys Verhalten der vergangenen Jahre: Da geht jemand | |
durch eine ziemlich dreckige Scheidung, versucht sich von dem seelischen | |
Elend, das damit einhergeht, mit allen möglichen Mitteln abzulenken und | |
schlägt ein paar Mal über die Stränge. Das Irre ist die Öffentlichkeit. | |
Nicht dass es ähnliche Öffentlichkeiten noch nie gegeben hätte, gerade in | |
Los Angeles. Confidential etwa, das Klatschmagazin, das das Vorbild für | |
Hush-Hush in James Ellroys Roman "L.A. Confidential" abgab, bezog seine | |
ganze Kraft aus dieser Art von großartig-niederträchtigem | |
Klatschjournalismus. Das ist der Preis, den man dafür zahlen muss, dass man | |
eben berühmt ist und Leute alles über einen wissen wollen. Doch schaut man | |
sich etwa eine Internetseite wie [1][perezhilton.com] an, so ist die | |
Beschleunigung, die dieses Genre erfahren hat, genauso erstaunlich wie die | |
Reichweite. Wobei der Blogger Perez Hilton, ein etwas dickliches, tuntiges | |
Ekelpaket, mittlerweile selbst zum Star geworden ist: Gerade hat er die MTV | |
Music Awards moderiert. | |
Ein Superprominenter wie Britney Spears zu sein (oder Lindsay Lohan, Amy | |
Winehouse, Paris Hilton - interessanterweise gibt es in dieser Liga fast | |
nur Frauen), heißt in Echtzeit von überall auf der Welt beobachtet zu | |
werden. Wenn in so einer Karriere etwas schiefgeht, dann geht es richtig | |
schief. Jede Handlung verstärkt sich selbst, weil der nächste Auftritt in | |
der Öffentlichkeit, sei es nur ein Trip in die Shoppingmall, einen | |
Kommentar zum letzten Auftritt bildet. Diesen Mechanismus kann man sich | |
vorstellen, wie das Echo, das in "Jim Knopf und die Wilde Dreizehn" ein | |
Gebirge zum Einsturz bringt, weil es sich immer weiter selbst verstärkt und | |
nur von einem starken Regen weggewaschen werden kann. Bei Britney regnete | |
es lange Zeit nicht. Es gab dafür einige Gewitter. Und einen Tsunami, der | |
sie in den Schoß ihrer Familie zurückgespült hat. | |
In einer gewissen Art und Weise schließt sich damit der Bogen. Dort ging es | |
für Britney ja auch los, als Schützling einer überehrgeizigen Mutter Lynne, | |
die ihre Tochter zu Talentwettbewerben schleppte. Sie ebnete ihr damit den | |
Weg in den Mickey Mouse Club, eine Talentschmiede des Disney-Konzerns, in | |
der auch Justin Timberlake und Christina Aguilera groß wurden. Dass Britney | |
nun entmündigt unter der Vormundschaft ihres Vaters gelandet ist (der seit | |
einiger Zeit von seiner Frau getrennt lebt), während Britneys Mutter mit | |
einem Buch über die Karriere ihrer Tochter durch die Gegend tingelt, wo sie | |
enthüllt, wann Britney das erste Mal Drogen nahm und mit wem sie das erste | |
Mal Sex hatte, ist noch so eine Bizarrerie in dieser großen amerikanischen | |
Tragikomödie. | |
29 Nov 2008 | |
## LINKS | |
[1] http://perezhilton.com/ | |
## AUTOREN | |
Tobias Rapp | |
## TAGS | |
Britney Spears | |
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