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# taz.de -- die wahrheit: Finessen der Wohnlichkeit
> Unpraktische Einrichtungsideen 2008: Wie man es sich ungemütlich machen
> kann.
Bild: Couch mal anders: typisches rundes Colani-Design
Zu den glücklichen Gewinnern der Awards für unpraktische Einrichtungsideen
gehört in diesem Jahr eine vierköpfige Familie aus Duisburg, die den
dritten Platz belegen konnte. Udo Jossig, der Haushaltsvorstand, hatte
ursprünglich nur einen Stellplatz für das Bügelbrett gesucht. Dafür schien
sich der enge Mehrzweckraum hinter der Küche anzubieten. Zwischen dem
Wäschekorb und einem etwas instabilen, mit leeren Pfandflaschen
befrachteten Sperrmüllregal standen bereits ein Schrubber, ein Besen und
eine Trittleiter an der Wand. Der Entschluss, dort auch das Bügelbrett
unterzubringen, erwies sich jedoch als Fehler: Beim Ausräumen der
Trockenschleuder stieß Udo Jossigs Frau Brigitte nun fast jedes Mal
versehentlich das Bügelbrett um und brachte dadurch auch den Schrubber und
den Besen und mitunter sogar die Trittleiter zu Fall, und aus dem
wackeligen Regal purzelten bei der kleinsten Erschütterung die blöden
Plastikflaschen zu Boden. "Ich weiß gar nicht mehr, wie wir das acht Jahre
lang ausgehalten haben", sagt Brigitte Jossig, "aber wenn wir da jetzt
einen Preis für bekommen, dann hat sich das ja doch irgendwo gelohnt."
Den zweiten Platz hat die Jury der Pensionswirtin Annemarie Teubner-Klose
aus Regensburg für die Innenausstattung ihrer sogenannten Fürstensuite
zuerkannt. Eine klobige Nähmaschine aus Gusseisen erschwert im Vorflur den
Zugang zum Schlafgemach, das von einem monumentalen Kleiderschrank
beherrscht wird. Durch die schmale Pforte kann er niemals gepasst haben,
und so muss man wohl annehmen, dass die Zimmerwände irgendwann im
Barockzeitalter rings um dieses Möbelstück errichtet worden sind. Das
Bettgestell weist wiederum so ungünstige Formen auf, dass man es komplett
zerlegen müsste, um die Kleiderschranktüren öffnen zu können.
Entscheidend für die Preisvergabe war jedoch der Sanitärbereich mit all
seinen Finessen vom röhrenden Frischluftgebläse und der abschüssigen
Waschbeckenkonsole bis zur rasiermesserscharfen Unterkante des Deckels der
Klopapierhalterung und dem Einfall, den Minutenschalter für das Deckenlicht
in drei Meter Distanz von der Toilettenschüssel zu installieren. Sehr dicht
neben der Schüssel verläuft dafür ein glühendheißes Rohr an der Wand,
dessen einzige Funktion darin zu bestehen scheint, unvorsichtigen Gästen
Verbrennungen ersten bis zweiten Grades zuzufügen.
Doch das ist alles gar nichts im Vergleich mit den Unannehmlichkeiten, die
das Gästezimmer im Landhaus des Journalisten Rayk Wieland im
mecklenburgischen Tüschow bereithält. Gegen das Interieur ist nicht viel
einzuwenden; umso mehr aber gegen die Qual der Wahl zwischen der Gefahr
eines Hitzschlags (bei geschlossenem Fenster im Sommer) und dem Ansturm
nachtaktiver Insekten, die hereindrängen, sobald der Gast das Fenster auch
nur auf Kipp stellt. Mit dem Glutkegel seiner Zigarre hat der Hausherr beim
Gestikulieren einmal unabsichtlich ein kleines Loch in das Mückennetz vor
dem Fenster gebrannt, und seither bewegt sich in jeder Sommernacht die
gesamte ostzonale Insektenpopulation mit verblüffender Zielsicherheit auf
dieses Nadelöhr zu. Auch wenn das Innere des Hauses in tiefer Dunkelheit
liegt, erfolgt unaufhörlich ein Zustrom geflügelter Zimmergenossen, deren
grenzenlose Unternehmungslust in einem lebhaften Kontrast zum menschlichen
Ruhebedürfnis steht. Es ist Rayk Wieland gelungen, bei sich daheim allein
mit einer ungeschickten Handbewegung die Hölle auf Erden zu erschaffen, und
daher gebührt ihm der diesjährige Hauptpreis: eine achtstündige
Tretbootfahrt mit Luigi Colani auf dem hannoverschen Maschsee.
10 Dec 2008
## AUTOREN
Gerhard Henschel
## TAGS
Design
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