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# taz.de -- Expressionismus: Maler der traurigen Gestalt
> Wiederentdeckt: Das Hamburger Ernst Barlach Haus zeigt den
> kriegsversehrten und früh verstorbenen Maler Walter Gramatté. In seinem
> Werk überzeugen vor allem die Portraits. In ihnen hat er die
> Verletzlichkeit des menschlichen Lebens eingefangen.
Bild: Malte gern traurige Menschen: Walter Grammatté.
Ein Revolutionär der Malerei war Walter Gramatté nicht, konnte es
vielleicht nicht sein. Schon aus dem einfachen Grund, weil er um ein paar
Jahre zu spät geboren wurde. 1897, da konnten die großen späteren
Expressionisten, Schmidt-Rottluff, Schiele oder Kokoschka schon längst den
Pinsel halten. Und als Gramatté 1914 mit 17 Jahren nach dem Gewehr griff
und in den Krieg ging, hatten sie ihre großen Schlachten bereits geschlagen
und dem Expressionismus in der Kunst zum Durchbruch verholfen.
"Verschollene Generation" nennt man diese zu spät gekommenen deutschen
Künstler, denen nur die kurze Zeit zwischen zwei Kriegen blieb, um sich zu
entfalten. Und deren Werk nicht selten in den brennenden Städten der
letzten Kriegsjahre zusammenschrumpfte. Zumindest letzteres Schicksal blieb
Gramatté erspart - er starb 1929, mit 32 Jahren, in Hamburg.
Das Schöne an der Wiederentdeckung eines Künstlers, wie sie jetzt im
Barlach-Haus mit Walter Gramatté oder neulich mit dessen Zeitgenossen
Eduard Bargheer in der Kunsthalle zu erleben war, ist: Wir treten den
Bildern dieser Maler unbefangen-ungekünstelt gegenüber. Wir stehen nicht
vor DEM Klee, oder DEM Goya, gehen nicht in die Knie, ehrfurchtsvoll, weil
wir meinen, nun müsse gleich das Genie gewitternd aus dem Bild
hervorbrechen - was es dann nie tut. Wir schauen uns einen Maler wie
Gramatté situationsbefangen an, vielleicht verliebt und euphorisch,
vielleicht niedergeschlagen, und das tragen wir an die Bilder heran. In
meinem Fall, ganz banal: Müdigkeit ob des ewig trüben Himmels hierzulande.
Da wirkt ein flüchtiger Gang durch die Ausstellung wie ein schriller
Wecker, ein Schlag ins Gesicht: Grelle Farben, verzerrte Gestalten,
entfesselte Elemente. Und Gramatté zwischen den Stilen: expressionistisch,
symbolistisch, surrealistisch. Man kann sich treiben lassen, eine
Chronologie gibt es nicht, die Werke sind locker thematisch gegliedert.
Ein Großteil sind Portraits. Sehr suggestiv hat Gramatté etwa 1918 eine
Dame mit Kakteen gemalt. Die Perspektive von oben herab staucht die schwarz
gekleidete Person zusammen, gibt ihr eine gnomenhafte Gestalt, ohne Hals,
dafür mit übergroßen Auge, und ebensolchen ineinander verkeilten Händen,
rechts und links davon stachelige Winzwuchspflanzen. Übergroße Hände
dominieren auch das Portrait seines Freundes Wolf Przygode, diesmal über
der Brust verschränkt, grell aus dem Dunkel hervor leuchtend, fleckig, mit
harten Glanzlichtern übersät und rot geschwollen - obszön das Fleisch in
seiner Lebendigkeit.
Oder das Bildnis der bekannten Kunstwissenschaftlerin und Freundin Rosa
Schapire: Gramatté malt sie so eckig und ungelenkt, als wolle er auch hier
den Nachweis führen, dass der Mensch in die Welt nun mal nicht passe. Was
im Bild von einer namenlosen Frau auf Hiddensee noch deutlicher wird: Mit
spärlichen Strichen, ein unförmiger Schädel, müde, rot umlegte Augen, ein
entzwei gebrochener Mund, bannt der Maler die ganze Trostlosigkeit und
Leere des menschlichen Lebens auf die Leinwand.
Nichts liegt näher, als hier die Biographie zur Erklärung heranzuziehen.
Die Erlebnisse an der Front, die den jungen Mann aus Berlin zutiefst
erschüttern. Eine Kriegsverletzung. Nach dem Krieg fortwährend leidend.
Arthrose der Wirbelsäule, Lungen- und Darmtuberkulose, die ihn regelmäßig
zur Kur ins Krankenhaus Hamburg-Eppendorf führen. Und an denen er trotzdem
unaufhaltbar dahinsiecht.
Überbewerten solle man diese Lebenshintergründe allerdings nicht, sagt
Karsten Müller, der die Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Kirchner
Museum Davos zusammengestellt hat. Gramatté habe mitten im Leben gestanden,
die existenzialistische Zuspitzung seiner Bilder könne auch eine
künstlerische Strategie sein.
Die vielen Portraits seiner Frau, einer damals berühmten Pianistin,
sprechen für diese Sicht. Er malt sie stets in schlichten, häuslichen
Interieurs, nie in Abendgarderobe am Flügel auf den großen Bühnen. Gramatté
zeigt sie uns lieber an einem kleinen Harmonium, ganz in Schwarz gekleidet
und durch die die notorische Perspektive von schräg oben auch sehr klein,
und neben ihr ein Spiegel, und darin - mehr Schemen als Mensch - Gramatté
selbst, der Maler der traurigen Gestalt, mit hängenden Schultern. Oft hat
er sich so gemalt: Müde oder traumverhangen wie im wunderbaren
"Selbstbildniss mit rotem Mond" vor einem Hintergrund aus Dämmerblau.
Neben den Portraits und Selbstportraits wirken andere Bilder Gramattés
allerdings nur um so matter. Eins seiner Stillleben etwa ist
kompositorisch, aber auch farblich so kraftlos wie das Motiv: Vase mit
welkende Blumen. Oder das "Haus Rauert" in einem Hamburger Villenviertel:
In Sonntagsmalermanier verklärend hingehuscht, um Freunden eine Freude zu
machen. Auch die Landschaftsbilder wirken behäbig, namentlich der "Morgen
am Meer". Gramatté malt ihn in fließender Kontur mit blautönener Palette -
nur eben ohne den Schwung und die Eleganz der an Munch geschulten Hamburger
Sezessionsmaler.
Dafür wird man am Ende der Ausstellung mit der "Kreuzabhängung Jesu"
konfrontiert und entschädigt. Das großflächige Ölbild enthält alles, was
Gramatté so stark macht: die verletzliche Kreatur, die widrigen Gliedmaßen
in Gestalt von Händen, die aussehen wie Klauen, leidvolle lemurenhafte
Köpfe, dunkel, bedrückend.
Auch draußen vor der Tür ist der Himmel immer noch grau. Doch anders jetzt.
Es ist nicht mehr das alberne Alltagsgrau. Sondern ein ernstes, ein
existentielles Grau. Eines, das schon fast wieder erhebend wirkt.
10 Dec 2008
## AUTOREN
Maximilian Probst
Maximilian Probst
## TAGS
Museum
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