# taz.de -- Zwischen Altruismus und Kommerz: Leichenteile fürs Forschungslabor | |
> Drei Unikliniken organisieren die altruistische Gewebespende und | |
> profilieren sich zugleich im prestigeträchtigen Tissue Engineering - dem | |
> Züchten von Gewebe. | |
Bild: Transplantation einer Niere. | |
Der Chirurg Axel Haverich gilt an der Medizinischen Hochschule Hannover | |
(MHH) als "Vater der Gewebezüchtung"- des Tissue Engineering. So hat er | |
eine Herzklappe konstruiert, die im Körper von Kindern angeblich mitwächst. | |
Zunächst experimentierte das Forscherteam um Haverich mit Herzklappen von | |
Schafen. Die ersten Heilversuche an Menschen startete Haverich Mitte 2002 - | |
nicht in Hannover, sondern im fernen Moldawien. | |
Ausgangsmaterial für die ethisch wie medizinisch umstrittenen Operationen | |
waren menschliche Herzklappen, entnommen von Leichen. Im ersten Arbeitsgang | |
wurden die Klappen durch Spülen von sämtlichen Zellen der früheren Besitzer | |
befreit, so dass nur Stützgerüste aus Kollagen übrig blieben. Diese wurden | |
mit Zellen besiedelt, die man zuvor von den kranken Kindern gewonnen hatte, | |
für die die Klappen gedacht waren. | |
Erst nachdem 18 Kinder in Moldawien die neuartige Klappe eingepflanzt | |
bekommen hatten, wagte Haverich, sie im September 2008 auch einem deutschen | |
Kind zu transplantieren. Dass der neuartige Therapieansatz langfristig | |
hilft und sicher ist, muss aber noch geprüft werden - Haverich hofft, dass | |
die Klappe 2011 zugelassen werden kann. | |
Haverich betreibt viele Projekte auf dem Gebiet des Tissue Engineering, das | |
Transplanteure gern als "Zukunftstechnologie" darstellen. Auch Venen, | |
Venenklappen und Luftröhren sollen in Hannover nach dem Prinzip der | |
mitwachsenden Herzklappe von Spenderzellen befreit und mit patienteneigenen | |
Zellen besiedelt werden. | |
Die ehrgeizigen Projekte sind Teil des "Exzellenzclusters Rebirth - From | |
Regenerative Biology to Reconstructive Therapy", das Haverich selbst | |
koordiniert. "Rebirth" wird fünf Jahre lang von der Deutschen | |
Forschungsgemeinschaft gefördert: mit insgesamt 42 Millionen Euro bis Ende | |
2011. Damit zählt Hannover zur deutschen Spitzenforschung im Tissue | |
Engineering - ebenso wie Dresden mit dem Exzellenzcluster "From Cells to | |
Tissues to Therapies" und Leipzig mit dem Translationszentrum für | |
Regenerative Medizin. | |
Eben diese drei Kliniken schlossen sich zu einem Konsortium zusammen und | |
kauften im 2007 die Gemeinnützige Gesellschaft für Gewebetransplantation, | |
die seither Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) heißt. | |
Eine Hauptmotivation der MHH sei der aus der Transplantationsmedizin heraus | |
betriebene Forschungsschwerpunkt Tissue Engineering gewesen, "insbesondere | |
im Herzbereich", erklärte Konsortiumssprecher Holger Baumann Ende 2007 in | |
einem Pressegespräch. | |
Hat Baumann sich da verplaudert? Die DGFG soll doch - wie ihre Vorgängerin | |
- ausschließlich die Spende und Verteilung menschlicher Gewebe für | |
medizinische Zwecke organisieren. Rasch ergreift DGFG-Geschäftsführer | |
Martin Börgel das Wort und versichert, alle drei Universitäten hätten die | |
Einrichtung in dem Bewusstsein übernommen, dass es ihnen primär um die | |
klassische Gewebetransplantation gehe. | |
Die DGFG hat offenbar erkannt, dass die Öffentlichkeit sensibel | |
registriert, wofür Gewebe entnommen und verwertet werden sollen. Die | |
Akzeptanz der Gewebespende könnte abnehmen, wenn diese mit kommerziellen | |
Aspekten in Verbindung gebracht wird. Forschungsprojekte im Bereich Tissue | |
Engineering gehen jedoch mittelfristig fast immer mit geschäftlichen | |
Interessen einher. | |
Haverich ist ein Beispiel dafür. Als wissenschaftlicher Kopf der 2001 | |
gegründeten Firma Artiss hatte er bereits den Börsengang vor Augen, | |
berichtete die Neue Presse in Hannover zur Inbetriebnahme der Labors im | |
Medical Park der Stadt. Artiss sollte unter anderem die biotechnologisch | |
veränderte Herzklappe von Haverich zur Marktreife bringen. Die | |
Beteiligungsgesellschaft Pricap Venture Partners AG spendierte zur Gründung | |
von Artiss 3,3 Millionen Euro. Dann allerdings entwickelten sich die | |
Projekte nicht so, wie die Risikokapitalgeber sich das vorstellten. Als | |
2006 das Aus für Artiss kam, gründete Haverich die Corlife GbR. Nun soll | |
diese sich um Herstellung und Zulassung für die biotechnologisch veränderte | |
Herzklappe kümmern. | |
Eine Gewebebank im näheren Zugriff zu haben könnte für Projekte im Bereich | |
des Tissue Engineering von Vorteil sein, meint ein Insider der Szene. | |
Universitäten seien in der Forschung und bei der Vergabe von | |
Forschungsgeldern benachteiligt, wenn sie bei der Gewebeverteilung nicht | |
zum Zuge kämen. Ohne den nötigen, menschlichen Rohstoff werde es keine Uni | |
zu einem "Silicon Valley des Tissue Engineering" bringen. Aber dürfen | |
Gewebe überhaupt für Forschungszwecke benutzt werden, wenn sie entnommen | |
wurden, um Patienten mit Transplantaten zu versorgen? Müssen Spender - oder | |
stellvertretend ihre Angehörige - zusätzlich über eine mögliche | |
kommerzielle Verwertung informiert werden? Und wie müsste eine | |
Einwilligungserklärung gestaltet sein, damit sie Forschung und Herstellung | |
von neuartigen Gewebeprodukten umfasst? Im Organspendeausweis steht dazu | |
nichts. | |
Die Organisatoren der Gewebespende gehen diese Fragen neuerdings offensiver | |
an. Bei einer Expertentagung der DGFG in Berlin erklärte Wolfgang Fleig, | |
Medizinischer Vorstand der Universitätsklinik Leipzig, Chirurgen würden "in | |
zehn bis zwanzig Jahren wahrscheinlich in der Lage sein, aus wenigen | |
Ausgangsmaterialen sehr viele verschiedene Endprodukte für die Verwendung | |
am Patienten herzustellen". Es sei zu klären, inwieweit die Forschung | |
selbst dann mit Geweben versorgt werden könne, wenn diese knapp seien. | |
Andernfalls werde es keinen medizinischen Fortschritt geben. | |
Die Hamburger Politologin Ingrid Schneider sieht das anders. Gewebe sei | |
kein Rohstoff wie andere Rohstoffe. Der menschliche Körper habe vielmehr | |
eine besondere Qualität, der bei der Verwertung Rechnung getragen werden | |
müsse. Gewebe von Verstorbenen müsse sparsam eingesetzt werden und nur | |
dann, wenn es keine Alternativen gebe. "Erst muss dafür gesorgt werden, | |
dass der Bedarf für medizinisch notwendige Anwendungen gedeckt wird", sagt | |
Schneider. Wissenschaftlicher Fortschritt sei damit keineswegs | |
ausgeschlossen: "Die Forscher können sich nach Zustimmung des Patienten bei | |
Operationsabfällen versorgen." | |
11 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Martina Keller | |
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