# taz.de -- Überlebenstraining im Wald: Gut im Futter | |
> Überleben in Wald, Wiese und Wirtschaftskrise? Der Besuch in einer | |
> Wildnisschule zeigt, wie das auch ohne Picknickkorb geht. Denn am Ende | |
> dreht sich immer alles ums Essen. | |
Bild: Letzter Ausweg aus der Finanzkrise: Flucht in die Natur. | |
Wir verlassen die Autobahn hinter Bremen, fahren ein paar Kilometer | |
Richtung Wildeshausen und biegen nach links ab, auf eine holprige, kaum | |
befahrene Straße. Erst säumt Vieh den Weg, später dunkler Nadelwald. Die | |
Welt um uns herum wird ruhiger. Ein verbeultes Schild am Wegesrand weist | |
darauf hin, dass militärisches Gefährt die Straße kreuzen könnte. Es ist | |
Freitagmittag. Hier also wollen wir unser Wochenende verbringen? Mir kommen | |
Zweifel. | |
Dabei lag es nah: Die schlechten Wirtschaftsnachrichten häufen sich in den | |
letzten Monaten, selbst das Geld der Menschen, die eigentlich gar keines | |
besitzen, beginnt langsam vor sich hin zu kokeln. Da schien der Kurs | |
"Essbare Wildnis" der Wildnisschule Wildeshausen plausibel. Nach einer | |
guten Vorbereitung auf den endgültigen Zusammenbruch. Zum Wohl zukünftiger | |
Generationen packte ich meinen dreijährigen Sohn ins Auto und wir machten | |
uns auf den Weg. | |
Wir steuern eine Lichtung am Wegesrand an, ein kleines Grüppchen steht | |
schon zusammen. Ich parke ein bisschen weiter hinten, wie die meisten. Es | |
ist ein bisschen unangenehm, hier mit dem Auto vorzufahren. Manche gleichen | |
noch nervös ihr Gepäck mit der Materialliste ab. Ich stelle mich vor, die | |
anderen kennen sich schon. Für sie ist es der dritte Teil einer | |
Weiterbildung, das erste Mal sind sie draußen. Jakob aus Bremen ist da, er | |
ist Waldkindergärtner und hat seinen zweijährigen Sohn Anton dabei. Eva ist | |
Zimmerin und studiert Pädagogik, Margot arbeitet seit dreißig Jahren in der | |
Jugendhilfe. Hajo macht Kommunikationstraining in Unternehmen, Georg ist | |
Fahrlehrer bei der Bundeswehr, bald geht er in Rente. Ein buntes Dutzend | |
hat sich hier versammelt. | |
Zwei Frauen marschieren auf zu uns und begrüßen uns knapp. Sie stellen sich | |
als Judith Wilhelm und Myriam Kentrup vor und winken uns hinter sich her, | |
"in unser Klassenzimmer". Zu Fuß geht es durch den Wald, nur ein paar | |
hundert Meter. Dann lichtet sich das Geäst und wir stehen mitten in der | |
Wildnisschule. Und die ist gar nicht so strukturschwach, wie ich sie mir | |
vorgestellt habe. Ein großes Backsteinhaus steht da. Hier sind die Küche, | |
ein paar Tagungsräume und die Toiletten. "Heute Abend und morgen Früh | |
bekommen wir noch Essen aus dem Haus", erklärt Judith, "danach hat die | |
Köchin Urlaub." Sie kichert, mir wird mulmig. | |
Unsere Wildnis ist ein unüberschaubares Gelände aus sandigen Hügeln, Wiesen | |
und Wald, im Westen fließt die schmale Delme am Waldrand entlang. Auf den | |
ersten Blick wirkt die Umgebung nicht unbedingt appetitanregend. Direkt vor | |
uns erhebt sich ein riesiges Stoffzelt, mein Sohn erkennt es als Tipi. Um | |
eine Feuerstelle sind knöchelhohe Holzbänke zum Kreis aufgestellt. Wir | |
setzen uns. Was wir denn erwarteten, werden wir gefragt. So wird das an | |
diesem Wochenende häufiger sein. Bevor eine der beiden Pädagoginnen | |
erläutert, vermittelt, hilft, können wir unsere eigenen Antworten und | |
Lösungen finden. | |
Unsere Erwartungen also: Einige sprechen von ihrer Angst vor dem | |
wirtschaftlichen Fiasko, von der Erwartung, sich in einer Krisensituation | |
selbst versorgen zu können. Und von der Hoffnung, das Wissen um | |
Versorgungsmöglichkeiten möge ihnen Sicherheit geben. Sie scheinen eine | |
ähnlich naive Vorstellung zu haben wie ich. Die nämlich, notfalls auf | |
Subsistenzwirtschaft umsteigen zu können. Daneben wird auch der Wunsch nach | |
neuen beruflichen Impulsen geäußert, es sei ja schließlich eine | |
Fortbildung. | |
Um subsistenzielles Wirtschaften ginge es der Wildnisschule weniger, | |
erläutern Myriam und Judith. Viel eher darum, altes Wissen über die Natur | |
in unsere modernen Leben zu bringen. Sie sprechen über vernetztes, | |
prozessorientiertes und kreatives Denken, dass wir am effektivsten in der | |
Natur lernen könnten. | |
Am Abend sitzen wir am Feuer und reden, lachen, singen. Ich schlafe | |
schließlich mit meinem Sohn und sieben anderen in einem großen Tipi. | |
Beim Frühstück am heimeligen Feuer formulieren wir Minimalziele: Am Abend | |
solle es Fisch geben und einen Salat, und ein Sonntagsfrühstück ohne | |
Kaffee, Marmelade komme gar nicht in Frage. Etwas ratlos starren wir in die | |
Gegend. Hier also wächst unser Abendessen? Und unser Buffet? Puh. | |
Judith und Myriam begleiten uns auf einen ersten Rundgang durch Wald und | |
Wiese. Alle paar Meter jauchzen sie auf und pflücken etwas, ein Kraut, eine | |
Beere, einen Pilz. Die beiden Kinder folgen schnell ihrem Beispiel und | |
stecken sich alles in den Mund, kauen auf Schafgarbenblättern, Vogelmiere | |
und Spitzwegerich. Auch ich probiere die Kräuter. Und plötzlich ist der | |
Eindruck von Kargheit dem einer ungeheuren Fülle gewichen. Bis zum Mittag | |
folgen wir den beiden, vergleichen Geschmäcker, diskutieren, lernen. | |
Ganz vergessen sind die Ängste dadurch nicht. Als Anton sich einen | |
knolligen Pilz einverleiben möchte, entfährt Jakob ein "Nein!", und er | |
entreißt ihm ein weißes Kügelchen. "Kein Problem", beschwichtigt Myriam, | |
"bei Pilzen ist es schon gut, genau hinzuschauen." Dieses Hexenei sei | |
genießbar, am besten brate man es in dünnen Scheiben. | |
Später teilen wir uns auf, jeder bekommt eine Aufgabe. Eva will | |
Kräuterfrischkäse zubereiten, alles, was ihr zur Verfügung steht, sind ein | |
paar Liter Milch vom Bauern. Hajo und Georg "gehen eine Kaffeeplantage | |
suchen", Jakob und ich kümmern uns mit den beiden Kindern um die | |
Frühstückseier. Den ganzen Nachmittag kriechen wir durchs Unterholz, tapsen | |
gebückt Wegesränder entlang und knien in feuchten Wiesen. Dass wir hier für | |
unser eigenes Essen unterwegs sind, stimmt uns euphorisch. | |
Abends tragen wir unsere Beute zusammen: Es gibt ein Kaninchen, Forellen | |
und Gemüse aus dem Erdofen, Hexeneier, einen riesigen Salat, Käse, selbst | |
gebackenes Brot. Alle erzählen, wie ihr Beitrag zum Buffet entstanden sei. | |
Eva berichtet mit leuchtenden Augen, wie sie die Milch auf dem Feuer | |
erwärmt und mit Vogelbeerensaft gesäuert habe. Und wie sie Brennnesselsamen | |
sammelte und in den Käse rührte. Alle stimmen zu, dass ihr Käse frischer | |
schmecke als jeder Kräuterfrischkäse aus der Kühltruhe. Wer das Tier erlegt | |
habe, wird gefragt. Das sei gekauft, denn Jagen dürfe man hier nicht. Aber | |
ausgenommen und zubereitet hätten wir es selbst. Wir sind pappsatt. | |
Als er sich vorbereitet habe, erzählt Jakob später, sei er sicher gewesen, | |
geschmackliche Entbehrungen erleiden zu müssen. Nun aber sei ihm | |
aufgefallen, dass das Gegenteil der Fall sei. Und wirklich: Vieles schmeckt | |
neu und unerwartet, manches fordert unsere konditionierten Gaumen heraus. | |
Erst muss man sich überwinden, dann beginnt man seine leicht nussige | |
Bitterkeit im Salat zu schätzen. Das größere Problem hier draußen ist ein | |
anderes: Man hat den ganzen Tag damit zu tun, seine Nahrung zu | |
organisieren. "Die Zivilisation schmeckt gar nicht unbedingt gut, sie lässt | |
uns aber ungeheuer viel Zeit, in der wir uns nicht ums Essen kümmern | |
müssen", sagt Jakob. | |
Und wir müssen uns weiter kümmern: Den ganzen Tag lang haben wir an einem | |
Ofen für die Frühstückseier gebaut. Ein Loch gebuddelt, es mit Lehm | |
ausgekleidet, es fünfzehn Stunden lang ausgebrannt, um es wasserdicht zu | |
machen. Wir haben Weidenkörbchen geflochten, in denen die Eier gekocht | |
werden sollen. Am Sonntag bringen wir vier große Steine zum Glühen und | |
legen sie in das Wasserloch. Bald kocht das Wasser, wir halten das | |
Weidenkörbchen mit zwanzig Eiern hinein und warten. Nach einer halben | |
Stunde nehmen wir sie raus - sie sind perfekt. Hajo und Georg waren bis | |
jetzt mit dem Kaffee zugange. Sie haben Löwenzahnwurzeln ausgegraben, sie | |
gewaschen und zerschnitten. Nun sind die Wurzeln endlich so trocken, dass | |
sie sie rösten und zerstoßen können. Sie brühen uns einen Löwenzahnkaffee | |
auf. Der schmeckt zwar nur so ähnlich wie Kaffee, aber gar nicht schlecht. | |
Brot gibt es zum Frühstück, den Frischkäse und auch, überraschend, | |
Traubenkirschenmarmelade. | |
Gegen Mittag verabschieden wir uns voneinander. Alle haben das Gefühl, | |
Ungeheures entdeckt zu haben an diesem Wochenende. Dabei haben wir doch nur | |
zusammen gekocht. Als ich am Montagfrüh beim Bäcker stehe und Brötchen | |
kaufe, muss ich lachen. | |
11 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Jan Kühnemund | |
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